Gerhard Langer

Midrasch


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      Gerhard Langer

      Midrasch

      Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

       [Zum Inhalt]

      |V|Vorwort und Einführung

      Midrasch ist eine umfassende und facettenreiche Auseinandersetzung mit der Schrift, die ihre Wurzeln in der Bibel selbst hat und bis in die Gegenwart reicht. Dieses Buch nähert sich dem Phänomen Midrasch mit der Absicht an, es nicht nur zu definieren, sondern in seinen unterschiedlichen Ausprägungen zu beschreiben, seine Hermeneutik zu illustrieren und Anleitungen für den Umgang mit ihm zu bieten. Im Vordergrund steht dabei nicht die detaillierte Vorstellung einzelner Midraschschriften. Diesbezüglich sei auf Günter Stembergers Standardwerk Einleitung in Talmud und Midrasch (München 92011) verwiesen.

      Nach einem Forschungsüberblick (I) ist zunächst zu klären, was Midrasch ist (II). Dabei geht es nicht nur um eine Begriffsbestimmung von darasch/Midrasch, sondern um den Referenzrahmen, in dem Midrasch entstand und in dem er verstanden und ausgelegt werden muss. Erläuterungen zu den hermeneutischen Grundlagen des Midrasch schließen sich an (III). Ein vierter Teil widmet sich der Herkunft des Midrasch in vorrabbinischer Zeit und der Entwicklung midraschischer Elemente außerhalb der rabbinischen Literatur. Ein Abschnitt thematisiert, wie Midrasch methodisch ausgelegt werden soll/kann (V). Ein weiterer Teil fokussiert auf einzelne Schritte des methodischen Vorgehens, so auf Formelemente des Midrasch (VI) und auf Redaktionskritik (VII). Weitere Abschnitte beschäftigen sich mit Midrasch als Exegese (VIII), mit Midrasch im Kontext des Rechts (Halacha) (IX), der Haggada (X), der Liturgie (XI) und der Geschichtsbetrachtung (XII). In all diesen Abschnitten steht Midrasch als Phänomen der rabbinischen Epoche im Mittelpunkt. Diese wird in der Regel in der Zeitspanne zwischen der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n.Z. bis etwa um 1000 angesiedelt. Auch wenn Midrasch seine spezifische Ausprägung durch die Rabbinen bekommt und berechtigte Einwände gegen eine Ausweitung des Begriffs auf frühere oder spätere Epochen und Kontexte bestehen, so lassen sich seine Spuren bis in die Moderne verfolgen. In einem weiteren Teil wird daher die Entwicklung vom Mittelalter bis heute kurz in den Blick genommen (XIII). Dieser Abschnitt behandelt u.a. mittelalterliche Kommentare, Predigten, jiddische Bearbeitungen, Sammelwerke und Anthologien sowie so genannte moderne Midraschim. Am Ende des Buches steht eine kurze Faktensammlung zu den wichtigsten Midraschwerken (XIV).

      |VI|Jedem Abschnitt (ab II) ist ein kurzes Literaturverzeichnis mit einigen wichtigen Referenzwerken der Sekundärliteratur vorangestellt. Am Schluss des Buches findet sich weiters eine ausführliche Literaturliste zu Primär- und Sekundärliteratur.

      Mit seinen 14 inhaltlichen Einheiten (inklusive Faktensammlung) eignet sich das Buch als Grundlage für den Lehrbetrieb. Seine Adressatinnen und Adressaten sind darüber hinaus nicht nur Studierende der jüdischen Studien und verschiedener benachbarter Disziplinen, sondern all jene, die sich intensiver mit jüdischer Traditionsliteratur auseinandersetzen und ihre Arbeitsweisen und Hintergründe verstehen wollen.

      Um einem so komplexen Phänomen wie Midrasch gerecht zu werden, reicht ein Lehrbuch keineswegs aus. Hier wird eine Auswahl an Themen, an Beispieltexten und an vorgestellter Sekundärliteratur geboten. Vieles wird nur angerissen, manches gar nicht behandelt, wie etwa Midrasch(-Materialien) in samaritanischen (vgl. dazu Crown, Samaritan Midrash) oder muslimischen Texten (vgl. dazu die Aufsatzsammlung von Schreiner, Die jüdische Bibel in islamischer Auslegung).

      Das Buch hat keine Fußnoten. Kurztitel verweisen auf das ausführliche Literaturverzeichnis, in dem schwerpunktmäßig jüngere Arbeiten verzeichnet sind und das keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wenn nicht anders angegeben, wurden die im Buch zitierten fremdsprachigen Texte von mir selbst übersetzt.

      Rabbinische Quellentexte wurden, sofern nicht anders am Schluss des Zitates ausgewiesen, von mir aus der Datenbank Maʾagarim der hebräischen Sprachakademie übersetzt. Am Ende des Buches finden sich ein Überblick über die verwendeten Versionen und Übersetzungen, Abkürzungsverzeichnisse und weitere Indizes. Deutsche Übersetzungen wurden meist leicht bearbeitet (neue deutsche Rechtschreibung, Angleichung der Transkription, leichte Textadaptionen). Dies ist dann durch den Hinweis „Übersetzung nach NN“ gekennzeichnet.

      An dieser Stelle möchte ich mich bei jenen Personen bedanken, die maßgeblich zu diesem Buch beigetragen haben. Dank geht an die Reihenherausgeber sowie an Dr. Henning Ziebritzki und Rebekka Zech vom Verlag für die hervorragende Betreuung und an Dr. Hans Cymorek für das überaus gründliche Lektorat. Der Kontakt vor allem zum Kollegen René Bloch als „Sprecher“ der Gruppe war stets ausgesprochen fruchtbar. Ich danke Paul Mandel und Azzan Yadin für zahlreiche anregende Mails und die Bereitstellung bislang unpublizierter wichtiger Beiträge. Armin Lange sei für seine Hilfe im Bereich der Qumrantexte bedankt, Agnethe Siquans für viele wichtige Informationen zu den Kirchenvätern, |VII|Dagmar Börner-Klein für den Austausch zu den von ihr übersetzten Texten und vor allem zu Jalqut, Lydia Miklautsch und vor allem Armin Eidherr für wichtige Hinweise zu jiddischen Quellen. Dank gilt auch Michael Fishbane und Joanna Weinberg, die ihren Band Midrash Unbound bereits vor dem offiziellen Erscheinen im Buchhandel zur Verfügung gestellt haben.

      Eine Person ist hier besonders herauszugreifen, da sie seit vielen Jahren als Vorbild und wertvolle Unterstützung fungiert. Ich spreche von Günter Stemberger, dem Emeritus des Instituts für Judaistik in Wien, der unzählige Tipps für dieses Buch beigesteuert hat, mit dem er in verschiedenen Abschnitten vertraut war, dessen Arbeiten zu den Grundfesten der rabbinischen Forschung gehören, die nicht genug gewürdigt werden können. Danke für jedes Gespräch.

      Speziell möchte ich Frau Dr. Constanza Cordoni hervorheben, die als meine Mitarbeiterin von Anfang an am Zustandekommen des Buches beteiligt war. Forschungsüberblick und Faktensammlung gehen maßgeblich auf sie zurück. Zahlreiche Hinweise, Beispiele, Korrekturen und Hilfen bei Übersetzungen sind ihr zu verdanken. Alle verbliebenen Fehler und Irrtümer gehen auf mich zurück.

      Wien, April 2016

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      |1|I. Midrasch in der Forschung

      Der folgende Abschnitt widmet sich zentralen Tendenzen in der Erforschung des Midrasch. Hier ist grundsätzlich auch auf die Einleitung in Talmud und Midrasch von Günter Stemberger zu verweisen. Einen brauchbaren Literaturüberblick bieten auch Lennart Lehmhaus (As it is Written) und Lieve Teugels (Two Centuries).

      1. Die Wissenschaft des Judentums

      Mit der Gründung des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden 1819 setzt die neuzeitliche wissenschaftliche Beschäftigung mit Midrasch ein. Die wichtigste Persönlichkeit in dieser ersten Periode der Wissenschaft des Judentums war Leopold ZunzLeopold Zunz, der mit seinem Buch Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden (1832) die Grundlagen für eine moderne Erforschung des Midrasch legte. Zunz gelang es, ohne auf Vorarbeiten zurückgreifen zu können, zahlreiche Werke der Midraschliteratur zu beschreiben und bedeutende Einführungen vorzulegen, aber auch einen Midrasch, Pesiqta de-Rav Kahana, zu rekonstruieren, der bislang nur aus verstreuten mittelalterlichen Zitaten und Anspielungen bekannt war.

      Charakteristisch für diese Periode in der Beschäftigung mit Midrasch und mit rabbinischer Literatur im Allgemeinen ist das Aufkommen der historisch-kritischen Methode, die sich in den deutschen Universitäten durchsetzt. Historische Fragen, Biografien, Philologie und Sprachwissenschaft stehen im Mittelpunkt des InteressesHistorische Fragen, Biografien, Philologie und Sprachwissenschaft stehen im Mittelpunkt des Interesses. In dieser Zeit werden zahlreiche Textausgaben angefertigt. Als Herausgeber wirken in Wien Adolf Jellinek (kleine Midraschim), Eisik Hirsch Weiß (Sifra, MekhJ) und Meir Friedmann (Sifre, MekhJ, PesR, SER); in Lemberg Salomon Buber (PesK, eine Tanchuma-Fassung, MidTeh, Sechel Tov) und in Breslau Hayyim Saul Horovitz. Louis Ginzberg