Christoph Randler

Verhaltensbiologie


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ein und desselben Verhaltens bei unterschiedlichen Individuen – z.B. das Beutefangverhalten bei der Erdkröte (Bufo bufo) – allgemeingültige Aussagen über dieses Verhalten generieren lässt.

      Einen anderen Ansatz verfolgt die Vergleichende Psychologie, welche weniger auf das Verhalten bei einzelnen Arten fokussiert, sondern nach artübergreifenden allgemeinen Grundsätzen des Verhaltens sucht. Die vergleichende Psychologie entstand in den USA parallel zur klassischen Ethologie in Europa. Erfolgversprechende Ansätze der Vergleichenden Psychologie untersuchen beispielsweise Unterschiede im Verhalten oder in der Entstehung von Verhalten (der sogenannten «Verhaltensontogenese») von Menschenaffen und Menschen. Da sich die Ethologie und die Vergleichende Psychologie recht nahe sind, kam es mehrfach zu fruchtbarer Zusammenarbeit, wodurch u.a. die Forschungsrichtungen der Verhaltensökologie und der Soziobiologie entstanden. Beiden Forschungsrichtungen ist gemeinsam, dass sie die Fitnessmaximierung ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellen, d.h., den Überlebensvorteil und – noch wichtiger – den möglichst hohen Fortpflanzungserfolg als wichtigste Messgrößen untersuchen. Während die Verhaltensökologie auf die Wechselwirkungen zwischen dem sich verhaltenden Tier und seiner (belebten und unbelebten) Umgebung fokussiert, richtet sich der Blick der Soziobiologie auf die biologischen Grundlagen von sozialem Verhalten. Einen veritablen Aufschwung erlebte die Soziobiologie 1975 durch das Buch Sociobiology: The new synthesis von Edward O. Wilson (*1929), in dem der Autor Verhalten als etwas Egoistisches bezeichnete, nämlich als Mittel zu dem Zweck, den eigenen Fortpflanzungserfolg zu maximieren.

      Verhaltensbiologen stellen in erster Linie allgemeine oder abstrakte Fragen, die sie dann mit verschiedensten Methoden und an verschiedenen Tiergruppen/-arten untersuchen. Es gibt generell zwei Vorgehensweisen in der Verhaltensbiologie (Lehner 1996):

      1. Im Zentrum steht das Interesse an einer bestimmten Tierart

      2. Im Zentrum steht die Untersuchung einer bestimmten Forschungsfrage

      Obwohl viele Verhaltensbiologen eine bevorzugte Tierart haben, ist es in der Regel die Forschungsfrage (oder ein generelles Konzept), die im Zentrum ihrer Forschung steht, und nicht die bevorzugte Tierart. Bei der Auswahl der zu untersuchenden Tierart spielt primär deren Eignung und Verfügbarkeit eine Rolle. Aus diesem Grund werden oft Tierarten ausgewählt, die häufig sind und in vielen Habitaten vorkommen und daher Stichproben ermöglichen, die groß genug sind, um zu statistisch signifikanten Resultaten zu kommen. Auch werden häufig Tierarten gewählt, die leicht im Labor zu halten sind oder bereits als Labortiere zur Verfügung stehen, wie z.B. Mäuse und Ratten.

      Die Schwerpunkte in der Verhaltensbiologie verschieben sich von Zeit zu Zeit, wobei sich die Themen stärker ändern als die untersuchten Tiergruppen. Auf einer typischen Konferenz (International Behavioral Ecology Congress 2012) beschäftigten sich 37 % der vorgestellten Arbeiten mit Vögeln, 26 % mit Insekten, 15 % mit Fischen und 15 % mit Säugetieren. Die Beliebtheit der Vögel mag daher rühren, dass sie meist tagaktiv, oft auffallend gefärbt und auch rufaktiv sind und sich deshalb gut im Freiland beobachten lassen, während sich Fische und Insekten gut für Experimente im Labor eignen.

      | Abb. 1-2

      Verhaltensbiologen arbeiten teilweise im Freiland (Zypern 2008). Foto: C. Randler.

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      Aktuell stark beforschte Themen sind die sexuelle Selektion, Kommunikation und Signale sowie die «Life History». Owens (2006) unterzog Publikationen in der Verhaltensbiologie einer genaueren Analyse und zeigte, dass der Anteil von Themen wie «optimale Nahrungssuche», «Paarungssysteme» und «fluktuierende Asymmetrie» zwischen 1980 und 2004 abnahm, während «sexuelle Selektion», «Wirt-Parasit-Interaktionen» und «Signale bei Tieren» häufiger untersucht wurden.

      Die meisten Stellen im Bereich der Verhaltensbiologie sind an wissenschaftlichen Instituten oder Universitäten lokalisiert und damit naturgemäß zahlenmäßig beschränkt. Alternativ gibt es einige Stellen in den angewandten Biowissenschaften, so z.B. im Naturschutz, oder bei Behörden, vereinzelt auch in Zoos. Um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, kann es sinnvoll sein, sich nicht nur auf eine einzelne Tierart/-gruppe zu fokussieren, aber dennoch klare Schwerpunkte zu setzen. Hilfreich sind auch Aufenthalte an ausländischen Instituten und Universitäten. Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Verhaltensbiologie gibt es auch «verschlungene» Pfade in der Berufswelt, z.B. im Bereich der Endokrinologie.

      Die Arbeit von Verhaltensbiologen ist äußerst vielfältig, weshalb die Anforderungen sehr unterschiedlich sind. Wer viel im Freiland arbeitet, benötigt ein gewisses Improvisationstalent, da technische Geräte manchmal ein «Eigenleben» führen und im Regenwald oder der Antarktis der Kundendienst oder die Hotline nicht funktionieren oder erreichbar sind. Im Gegensatz dazu sind bei der Laborarbeit andere Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich, so z.B. Geduld und die Fähigkeit, ermüdende Tätigkeiten konzentriert und gewissenhaft durchzuführen. Generell haftet der Verhaltensbiologie – zumindest in der Bevölkerung – etwas romantisch Verklärtes an und es wird vergessen, dass Verhaltensbeobachtung auch das akribische Registrieren von Verhaltensweisen umfasst und manchmal endlose Stunden des langweiligen Wartens mit sich bringt, z.B. dann, wenn sich die zu untersuchende Schimpansenhorde tagelang nicht zeigen will. Hier hilft eine hohe Frustrationstoleranz weiter. Gute Kenntnisse der verschiedensten Tierarten sind von Vorteil und – weil die Datenanalysen oft einen gewichtigen Teil der Büroarbeit ausmachen – auch umfangreiche Statistikkenntnisse.

      Weiterführende Literatur

      Alcock J (2005): Animal Behaviour. An evolutionary Approach. Sinauer Associates, Sunderland, 579pp.

      Breed MD, Moore J (2012): Animal Behaviour. Academic Press, Burlington, 475pp.

      Kappeler, PM (2012): Verhaltensbiologie. 3. Aufl. Springer, Heidelberg, 641pp.

      Online

       www.bachelor-bio.de

       www.master-bio.de

Methoden der Verhaltensbiologie | 2

      Inhalt

       2.1 Verhaltensbiologen testen Hypothesen

       2.2 Forschungsansätze

       2.3 Methodenrepertoire der Verhaltensbiologie

       2.4 Integrative Funktion der Verhaltensbiologie

       2.5 Probleme bei verhaltensbiologischen Studien

      Die Verhaltensbiologie testet Hypothesen und verfügt über ein reichhaltiges Repertoire an Methoden der Datensammlung sowie der Analyse von Original- und Sekundärdaten. Bei Originaldaten handelt es sich um Messwerte, die ein Wissenschaftler selbst erhoben, gemessen oder beobachtet hat. Bei Sekundärdaten erfolgt eine (Re-)Analyse bereits veröffentlichter und/oder frei zugänglicher Daten. Verhaltensbiologen vergleichen sowohl Individuen einzelner Arten untereinander als auch verschiedene Arten miteinander. Hypothesen-geleitete