Christoph Randler

Verhaltensbiologie


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Freiland als auch im Labor, oft sogar in Kombination, und benutzen vielerlei Methoden, von relativ simplen Beobachtungen mittels Fernglas bis hin zu automatischen Registrierungen und molekularen Analysen.

      In der Verhaltensbiologie steht das Testen von Hypothesen im Vordergrund. Die wichtigsten Typen von Hypothesen in der Verhaltensbiologie sind:

      • adaptive (ultimate) Hypothesen, die den Überlebenswert bestimmter Verhaltensweisen betreffen,

      • kausale (proximate) Hypothesen, die sich mit Fragen beschäftigen, die das «Funktionieren» bzw. die Mechanismen bestimmter Verhaltensweisen betreffen,

      • entwicklungsbiologische (ontogenetische) Fragen, bei denen es um die Entwicklung von Verhalten beim Individuum geht und

      • phylogenetische Hypothesen, die sich mit dem Entstehen von Verhalten im evolutiven Zusammenhang beschäftigen.

      Wissenschaftler formulieren Hypothesen so, dass sie widerlegt (falsifiziert) werden können. Sie tun dies deshalb, weil ein einziges Beispiel genügt, um eine Hypothese zu widerlegen, während man unendlich viele Belege benötigen würde, um Hypothesen zu bestätigen (verifizieren). Da Letzteres im Prinzip also gar nicht möglich ist, kann wissenschaftlicher Fortschritt besser auf dem Weg der Falsifikation als auf dem Weg der Verifikation erlangt werden. In der Praxis wird diesem Ansatz allerdings nicht in aller Strenge gefolgt; sprechen sehr viele Daten für eine Hypothese, so gilt sie als bestätigt, auch wenn es theoretisch noch immer möglich ist, dass ein weiteres Beispiel sie falsifiziert.

      Forschungsmethodische Ansätze können konzeptuell, theoretisch oder empirisch sein (Dugatkin 2014). Konzeptuelle Ansätze entstehen, wenn verschiedene Aspekte, die bislang nicht miteinander in Verbindung gebracht wurden, miteinander verknüpft werden oder bislang schon Bekanntes «neu gedacht» wird (wie z.B. in der Soziobiologie; vgl. → Kap. 11). Theoretische Ansätze basieren hingegen in der Regel auf Modellierungen, statistischen Annahmen und (Gedanken-)Modellen (wie beim Thema optimale Nahrungssuche; vgl. → Kap. 5.2), während empirische Ansätze auf Beobachtungen und Experimenten beruhen. Oft beginnt die Forschung mit konzeptuellen und theoretischen Ansätzen, die in der Folge empirisch untersucht werden (deduktives Verfahren). Die empirischen Ansätze folgen meist einem induktiven Verfahren. Häufig steht an dessen Anfang die Beobachtung eines Verhaltens, welches die Forscherin verstehen will. Um dahin zu gelangen, formuliert sie Hypothesen, die sie in der Folge empirisch prüft und damit falsifiziert oder verifiziert (→ Kap. 2.1). Dieses Verfahren ist als Bottom-up-Strategie bekannt. Sie steht allerdings im Gegensatz zu dem, was die Wissenschaftstheorie als ideale Vorgehensweise postuliert. Gemäß der wissenschaftstheoretischen Doktrin sollte nämlich am Beginn eines Erkenntnisvorgangs stets eine Theorie stehen, aus der dann Hypothesen abgeleitet werden (Buss 2008). Der Kerngedanke dieser Top-down-Strategie ist es, dass es bei der Formulierung von Hypothesen sinnvoll ist, auf den bereits bestehenden Wissenskorpus der Forschung zurückzugreifen, und die Hypothesen zur Erklärung eines Verhaltens also aus dem Wissen herzuleiten, welches bereits als wissenschaftlich gesichert gilt. In der Praxis wird diesem Widerspruch in der Regel mit einem «sowohl als auch» begegnet; verhaltensbiologische Forschung setzt also sowohl auf die Bottom-up- als auch auf die Top-down-Strategie; dieses «sowohl als auch» wird auch das Interdependenz-Modell genannt (vgl. → Abb. 2-1).

      Interdependenz-Modell (Wechselwirkungen). Der Bottom-up-Ansatz schließt aus Beobachtungen auf eine allgemeingültige Theorie, der Top-down-Ansatz dagegen geht von einer allgemeingültigen Theorie aus und untersucht dann ein einzelnes Merkmal/Verhalten bzw. versucht, dieses durch eine Hypothese vorherzusagen. (Neu gezeichnet nach Voland 2013.)

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      Die Verhaltensbiologie verfügt über ein reichhaltiges Repertoire an Methoden, das in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden kann. An erster Stelle steht die Unterscheidung zwischen Originaldaten und Sekundärdaten. Bei Originaldaten handelt es sich um Daten, die der Wissenschaftler selbst erhoben, gemessen oder beobachtet hat. Sie werden durch Beobachtungen oder durch Experimente gewonnen. Bei Sekundärdaten erfolgt eine (Re-)Analyse bereits veröffentlichter und/oder frei zugänglicher Daten.

      2.3.1 | Beobachtungen

      Bei Beobachtungen wird das Verhalten von Tieren beschrieben und analysiert. Aus diesen Beschreibungen werden dann Schlussfolgerungen gezogen, wie z.B. Erklärungen und Vorhersagen. Ein Beispiel: Beobachtet man, dass Amseln (Turdus merula) flüchten, sobald sich ihnen eine Hauskatze (Felis catus) nähert, so kann man die Fluchtdistanz von Amseln ermitteln, in dem man bei zahlreichen «Amsel-flieht-vor-Katze»-Beobachtungen misst, wie nahe die Amsel die Katze herankommen lässt, bevor sie davonfliegt. Die anschließend ermittelte durchschnittliche Distanz – die Fluchtdistanz – erlaubt dann Voraussagen über künftiges Verhalten von Amseln. In anderen Worten: Sie erlaubt die Prognose, dass eine Amsel davonfliegen wird, falls sich ihr eine Katze auf eine bestimmte Distanz nähert (Wenn-Dann-Logik). Beobachtungen dieser Art sind fast immer beschreibend. Sie können zwar hilfreich sein, um erste Anhaltspunkte zur Erklärung von Verhalten zu generieren, sind aber oft sehr allgemein und bringen nur beschränkte Erkenntnis.

      Verhaltensbiologen testen solche, auf Beobachtung basierende Hypothesen auf verschiedene Weisen (verändert nach Dawkins 2007):

      • Vergleiche von Individuen innerhalb einer Art (Variation zwischen Individuen): Dabei werden verschiedene Individuen beobachtet, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen; man würde also jeweils verschiedene Amseln beim Zusammentreffen mit einer Katze beobachten, um zu sehen, ob die Amsel ab einer bestimmten Distanz immer vor der Katze flieht oder nicht. Man kann davon ausgehen, dass zwischen den Individuen Unterschiede in der Fluchtdistanz bestehen, dass also nicht alle Amseln bei der exakt gleichen Entfernung flüchten.

      • Vergleiche desselben Individuums in verschiedenen Kontexten: Hierbei werden dieselben Individuen betrachtet, aber in verschiedenen Situationen, um herauszufinden, welchen Einfluss diese haben. Bei derselben Amsel wird also einmal die Fluchtdistanz beobachtet, wenn sie Junge zu versorgen hat, und ein weiteres Mal, wenn diese ausgeflogen sind. So kann man den Einfluss der Jungenaufzucht auf die Fluchtdistanz untersuchen.

      • Vergleiche zwischen verschiedenen Arten: Hier werden z.B. verschiedene Vogelarten beobachtet und ihre Reaktion auf Katzen protokolliert, um zu vergleichen, ob baumbewohnende Vogelarten anders auf die Anwesenheit einer Katze reagieren als bodenbewohnende.

      Abb. 2-2 | A) Katze (Felis catus), B) Amsel (Turdus merula). Fotos: C. Randler.

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      Häufigkeit verschiedener Tiergruppen und Methoden in der Verhaltensbiologie. (Neu gezeichnet nach Owens 2006.)

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      Lässt sich weiter feststellen, dass Amseln bei einer Katze eine größere Fluchtdistanz haben als bei einem Menschen, so kann aus den Beobachtungen selbst keine Erklärung für dieses Verhalten hergeleitet werden; es bleibt bei der rein deskriptiven Feststellung, dass sich die Amsel so verhält, wie sie es nach den Beobachtungen eben tut. Man könnte aber vermuten, dass Menschen für die Amsel weniger bedrohlich sind. Eine weitere Schwierigkeit von Beobachtungen besteht darin, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterschiedliche Fluchtdistanz bei Katzen und Menschen gar nichts mit dem Typus eines Prädators zu tun hat, sondern