Christoph Randler

Verhaltensbiologie


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Analysen beruhen zum Großteil auf bereits publizierten Daten. Es ist jedoch auch möglich, zuerst eine Hypothese aufzustellen und dann zu prüfen, ob alle erforderlichen Daten veröffentlicht sind, und noch fehlende selbst zu erheben. In der Analyse werden Original- und Sekundärdaten kombiniert.

      Modellbildung

      Bei der Modellbildung lassen sich mathematische und physische Modelle unterscheiden. Bei der mathematischen Modellbildung werden aus der Theorie heraus und aus vorhandenen Studien Annahmen formuliert, die daraufhin mathematisch abgebildet werden. Die Modelle werden dann anhand der Realität überprüft. Als einfaches Beispiel für die mathematische Modellierung eignet sich der Effekt der Gruppengröße auf die Sicherheit eines Tieres (Prädation, → Kap. 6). Das mathematische Modell versucht, alle relevanten Faktoren in Einklang zu bringen und ggf. verschiedene Szenarien zu entwickeln. Hier sind Computer mittlerweile wichtige Hilfsmittel geworden (Houston & McNamara 1999). Modelle sind auch situationsabhängig, d.h. ein Tier reagiert unter verschiedenen Umweltbedingungen verschieden (situationaler Ansatz; Houston & McNamara 1999). Die Überprüfung an der Realität durch Beobachtung oder Experiment zeigt dann, welches Modell am wahrscheinlichsten ist und die Variation im beobachteten Verhalten am besten erklärt.

      Physische Modelle sind wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung, wie sich am Beispiel der Präriehunde (Cynomys ludovicianus) zeigen lässt. Diese Tiere leben in großen unterirdischen Kolonien und sind auf eine gute Belüftung ihres Höhlensystems angewiesen. Um die optimale Belüftung zu finden, bauten Forscher selbst verschiedene Höhlen. Ihre Modelle verglichen sie dann mit den realen Bauten der Präriehunde. Das am besten belüftete Modell wies einen höheren Krater (mit Kaminfunktion) und einen flacheren Krater (für den Lufteintritt) auf. Die Forscher konnten daraufhin Rückschlusse auf die relevanten Baukriterien der Präriehunde beim Bau ihrer Kolonien ziehen.

      Bei der Erfassung des Verhaltens steht stets die Betrachtung des (ganzen) Tieres als Organismus im Vordergrund. Wie sich ein Tier jeweils verhält, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Grundsätzlich unterscheidet man dabei zwischen internen und externen Faktoren (und Prozessen). Bei internen (auch: intrinsischen) Faktoren und Prozessen handelt es sich um genetische, hormonelle, physiologische, motorische oder neurobiologische Prozesse, bei externen (auch: extrinsischen) um soziale und ökologische Faktoren und Prozesse.

      Ein Beispiel: Das Balzverhalten der Stockente (Anas playtrhynchos) läuft weitgehend stereotyp ab, d.h., es ist in seiner Grundlage vererbt und beruht daher auf internen Faktoren. Zentral sind beispielsweise genetische Faktoren, was bewiesen wurde, als es gelang, mittels gezieltem Knock-out (Ausschalten von Genen) das Balzverhalten zum Verschwinden zu bringen. Aber auch Hormone spielen eine wichtige Rolle, da durch die experimentelle Verabreichung von Testosteron das Balzverhalten gezielt ausgelöst werden kann. Als weiterer interner Faktor ließ sich die Tageslänge identifizieren, da Stockentenmännchen ab einer gewissen Tageslänge mit der Balz beginnen, auch wenn weit und breit kein Weibchen zu sehen ist.

      Weil die Verhaltensbiologie stets das ganze Tier im Auge hat, wird oft darauf verwiesen, dass sie in ihrer Ausrichtung eine stark integrative Funktion ausweist.

      Bei der Planung und Analyse von verhaltensbiologischen Studien können verschiedene Probleme auftreten, die hier aufgrund gewisser interpretativer Spielräume häufiger vorkommen als in anderen Disziplinen der Biowissenschaften. Man bezeichnet die Verhaltensbiologie deshalb auch als die «Sozialwissenschaft unter den Naturwissenschaften».

      Grafen und Hails (2002) nennen drei wichtige Aspekte, die für Experimente und Beobachtungen gleichermaßen bedeutend sind:

      • Replikation

      • Randomisierung

      • Blocking

      Replikation bedeutet, dass eine ausreichende Anzahl an unabhängigen Beobachtungen oder Experimenten vorliegen muss. Nur von einem einzigen Individuum auf eine Population zu schließen, wäre keine gute wissenschaftliche Praxis. Um zu testen, ob männliche Amseln (Turdus merula) früher fliehen als Weibchen, müssen mehrere Männchen und Weibchen untersucht werden. Aber das alleine reicht nicht aus, um generalisieren zu können. Um beim Amselbeispiel statistisch korrekt auswertbare Daten zu bekommen, müssen die Experimente mehrmals durchgeführt werden, und zwar an verschiedenen Amselindividuen. Damit wäre eine Replikation auf der Ebene der abhängigen Variablen erreicht (d.h. auf der Ebene jener Variable, die untersucht werden soll). Allerdings ist eine Replikation auch auf der Ebene des Stimulus (oder der unabhängigen Variable) nötig. Dies bedeutet, dass im Idealfall ebenso viele Katzen an dem Experiment teilnehmen sollten wie Amseln, da sonst das Risiko besteht, es lediglich mit einer Pseudo-Replikation zu tun zu haben. Allerdings ist der Idealfall nicht in jedem Falle gegeben, was bei der Datenauswertung berücksichtigt werden muss.

Revier AMännchen 1Weibchen 1 Revier BWeibchen 2Männchen 2 Revier CMännchen 3Weibchen 3
Revier DWeibchen 4Männchen 4 Revier EMännchen 5Weibchen 5 Revier FWeibchen 6Männchen 6

      Obwohl eine gut geplante Stichprobenauswahl sehr wichtig ist, genügt bei einigen Studien bereits die Stichprobe N = 1, auch wenn dies gegen die Intuition (und gegen die Forderung nach der Möglichkeit von Replikation) spricht. Selbst wenn es nur einen Papagei gibt, der sprechen kann, oder nur einen Hund, der zählen kann, oder nur einen Menschen, der den Marathon schneller als in zwei Stunden laufen kann, so genügt dies, um zu zeigen, dass die jeweilige Fähigkeit durch den Papagei (resp. den Hund, den Menschen) de facto möglich ist. Wichtig ist dabei das korrekte Formulieren der Hypothesen: Wenn man postuliert, dass die Dinosaurier ausgestorben sind, dann genügt die dokumentierte Beobachtung eines einzigen heute lebenden Exemplars, um die Hypothese zu falsifizieren.

      Randomisierung bedeutet die zufällige Auswahl eines Individuums für die Beobachtung oder das Experiment, um zu vermeiden, dass bestimmte Individuen (z.B. besonders auffällig aussehende oder laut rufende) bevorzugt oder vermieden werden.

      Beim Blocking geht es darum, Störvariablen auszuschließen, um ungewollte Variation zu verhindern. Man könnte z.B. männliche und weibliche Amseln bezüglich ihres Verhaltens gegenüber Katzen vergleichen, und dabei Amseln in verschiedenen Katzenrevieren (= Blocks) beobachten (z.B. zur selben Tageszeit und am selben Wochentag), sodass diese Variablen kontrolliert werden (→ Tab. 2-4). In diesem Fall müssen bestimmte statistische Standards eingehalten werden (Ruxton & Colegrace 2016).

      Für eine eingehende Diskussion weiterführender Aspekte und Probleme (z.B. Pseudo-Replikation, Habituation, Validität, Observer Bias, Reliabilität, Reihenfolgeneffekte etc.) sei auf die weiterführende Literatur verwiesen (z.B. Martin & Bateson 1993, Naguib 2006).

      Weiterführende Literatur

      Dawkins MS (2007): Observing animal behaviour. Design and analysis of quantitative data. Oxford University Press, Oxford, 158pp.

      Lehner PN (1996): Handbook of Ethological Methods. 2nd ed. Cambridge University Press, Cambridge, 672pp.

      Martin P, Bateson P (1993): Measuring behaviour. 2nd ed. Cambridge University Press, Cambridge, 222pp.

      Naguib M (2006): Methoden der Verhaltensbiologie. Springer, Heidelberg, 233pp.

      Ruxton G, Colegrave N (2016): Experimental design for the life sciences. 4. Aufl. Oxford