Daniel Stökl Ben Ezra

Qumran


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Geheimschriften (Cryptic A, B und C) ist nur die erste (Cryptic A) mehrfach bezeugt. Vor der Entdeckung der Qumranrollen war dieses Alphabet unbekannt und lange wurde es für qumranspezifisch erachtet. Vor kurzem hat man allerdings in Jerusalem eine Steintasse mit einer kryptischen Inschrift entdeckt. Seine Herkunft ist nach wie vor unklar.

      Das SchriftregisterSchriftregister (Kursive vs. Buchschrift) gibt uns wichtige Auskunft über den Verwendungszweck einer Rolle. Gewöhnlich wird Kursivschrift für Dokumente (Verträge, Briefe, Listen) verwendet, von denen aber nur sehr wenige aus Qumran kommen. Die große Mehrheit der Qumranrollen ist Literatur und daher in formeller oder semiformeller Buchschrift geschrieben. Die wenigen literarischen Texte in Semikursiv- oder Kursivschrift sind wahrscheinlich Privatkopien. Auch ein Laie erkennt den Qualitätsunterschied von z.B. 4Q175 zur Tempelrolle. Manche verwenden die Bezeichnung ‚Kalligraphie‘ synonym mit ‚Buchschrift‘, doch gibt es sowohl kalligraphische, professionelle als auch laienhafte Buchschrift.

      Systeme für die ausführliche Vokalisierung oder für die Intonation wurden erst im Mittelalter erfunden. Auch regelmäßige Satzzeichen gibt es in Qumran noch nicht. Immerhin werden im Gegensatz zur griechischen scriptio continua Worte durch einen Leerraum getrennt. Zur Gliederung in Abschnitte werden manchmal größere Leerräume, halbe oder ganze Leerzeilen verwendet. In seltenen Fällen werden poetische Stücke stichisch gesetzt, d.h. ähnlich einer zweispaltigen Tabelle mit einem klaren Anfang für jeden Halbvers. Alle Markierungen der Schreiber hat Emanuel Tov in seinem grundlegenden Werk gründlich studiert.

      Für die KorrekturKorrektur von Schreibfehlern sehen wir unterschiedliche Systeme (Tov, Scribal Practices, 222–230): Fehler auf einem |45|Papyrus konnte man einfach mit einem Schwämmchen abwischen, während man sie vom Leder/Pergament abkratzen muss (was Spuren zurücklässt). Oft sind Buchstaben einfach überschrieben worden. Was der gleiche oder ein anderer Schreiber für falsch hielt, wurde durchgestrichen oder durch Punkte über und/oder unter den Buchstaben markiert. Zusätze wurden zumeist kleiner und etwas hochgestellt an die gewünschte Stelle zwischen die Buchstaben oder Worte gesetzt, seltener auch an den Rand oder unter die Buchstaben. Dies führt dann zu der höchst interessanten Frage, auf welcher Basis der Text korrigiert wurde (s.u. Bibel, S. 200 zu 4QJera).

      |47|3 Vom Fragment zur Rolle: Konstruktion, Editionen und Hilfsmittel

      Bearman, Gregory/Pfann, Stephen/Spiro, Sheila, Imaging the Scrolls: Photographic and Direct Digital Acquisition. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd. 1, 472–495.

      Beyer, Klaus, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 2 Bde., Göttingen 1984; 2004.

      García-Martínez, Florentíno, Old Texts and Modern Mirages. The ‚I‘ of Two Qumran Hymns. In: ders., Qumranica Minora I, Leiden 2007, 105–125.

      Lange, Armin, Computer Aided Text-Reconstruction and Transcription, Tübingen 1993.

      Muraoka, Takamitsu, A Grammar of Qumran Aramaic, Leiden 2011.

      Pfann, Stephen, ‚Kelei Dema‘. Tithe Jars, Scroll Jars and Cookie Jars. In: Brooke, George/Davies, Philip (Hgg.), Copper Scroll Studies, London 2002, 163–179.

      Qimron, Elisha, The Hebrew of the Dead Sea Scrolls, Atlanta 1986.

      Rabin, Ira, „Archaeometry of the Dead Sea Scrolls“, Dead Sea Discoveries 20 (2013) 124–142.

      Reed, Stephen/Lundberg, Marilyn/Phelps, Michael, The Dead Sea Scrolls Catalogue, Atlanta 1994.

      Reymond, Eric, Qumran Hebrew: An Overview of Orthography, Phonology, and Morphology, Atlanta 2014.

      Schattner-Rieser, Ursula, L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Prahins 2004.

      Stegemann, Hartmut, Methods for the Reconstruction of Scrolls. In: Schiffman, Lawrence (Hg.), Archaeology and History in the Dead Sea Scrolls, Sheffield 1990, 189–220.

      Steudel, Annette, Probleme und Methoden der Rekonstruktion von Schriftrollen. In: Fieger, Michael/Schmid, Konrad/Schwagmeier, Peter (Hgg.), Qumran – die Schriftrollen vom Toten Meer, Göttingen 2001, 97–109.

      Steudel, Annette, Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde, Leiden 1994, 5–22; 57–70.

      Tigchelaar, Eibert, Constructing, Deconstructing and Reconstructing Fragmentary Manuscripts: Illustrated by a Study of 4Q184 (4QWiles of the Wicked Woman). In: Grossman, Maxine (Hg.), Rediscovering the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids/Cambridge 2010, 26–47.

      Tigchelaar, Eibert, To Increase Learning for the Understanding Ones. Reading and Reconstructing the Fragmentary Early Jewish Sapiential Text 4QInstruction, Leiden 2001 (Beispielhafte Anwendung).

      Tov, Emanuel, Revised List of the Texts from the Judaean Desert, Leiden 2010.

      |48|Tov, Emanuel (Hg.), The texts from the Judaean desert: Indices and an introduction to the ‚Discoveries in the Judaean desert‘ series, Oxford 2002 (DJD 39).

      Tov, Emanuel (in Zusammenarbeit mit Pfann, Stephen), The Dead Sea Scrolls on Microfiche: Companion Volume, Leiden 1993.

      Ulrich, Eugene, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, Leiden 2010.

      Die Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library der Israel Antiquities Authority: www.deadseascrolls.org.il

      Die Digital Dead Sea Scrolls des Shrine of the Book: dss.collections.imj.org.il

      3.1 Vom Fragment zu Fragmentengruppen

      Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, wie man ein – gut lesbares – Einzelfragment entziffert. Wie zeitaufwendig ist es, 15000 Fragmente zu entziffern! Und erst dann (auch wenn man schon parallel daran arbeiten kann) beginnt die eigentliche Arbeit: die Puzzleteile zu Puzzles zusammenzufügen. Die Mitglieder der Scrollery haben 95 % dieser Arbeit tatsächlich vollbracht. Dies ist eine (fast?) übermenschliche Leistung.

      Ein gutes Verständnis des Editionsprozesses entwickelt das Urteilsbewusstsein für die Abwägung zwischen möglichen und unmöglichen, wahrscheinlichen und sicheren Schlüssen. Nach der Ausgrabung oder dem Ankauf mussten die Fragmente zunächst gesäubert und geglättet werden. Oft waren sie im Laufe der Geschichte mit anderen Fragmenten zu Fragmenthaufen verklebt und mussten erst mühsam voneinander getrennt werden. Theoretisch hätten dabei Anordnung und Position festgehalten werden sollen, denn aus dem Fragmenthaufen kann geschlossen werden, welche Fragmente einmal zu einer Rolle gehörten und welches in der Rolle weiter innen oder weiter außen lag. Leider war das nicht immer der Fall. Alle Fragmente wurden von vorne und oft auch von hinten fotografiert. In vielen Fällen war das Pergament so nachgedunkelt, dass man nur auf Infrarotfotos sehen konnte, welche Seite beschrieben war.

      Dann wurden die Fragmente nach groben Gruppen provisorisch entziffert, vorsortiert und einem der Mitglieder der Scrollery überantwortet. Bei der Gruppierung von Fragmenten zu FragmentengruppenGruppierung von Fragmenten zu Fragmentengruppen halfen unter anderem

       Die materielle Beschaffenheit des Beschreibstoffes (Papyrus oder Pergament, Farbe, Dicke, Oberflächenstruktur auf recto und verso),

       |49|Zerstörungshorizont (Formen der Ränder, spezifische Löcher),

       Layout (Breite der Zeilen und Ränder, Zahl und Abstand der Zeilen, liniert/unliniert),

       Schrift (Typ, Register, Buchstabenformen und -größe, Abstand zwischen Buchstaben, Abstand zwischen Worten, etc.),

       Sprache,

       Orthographie,

       Textliche Überlappungen,

       Inhalt.

      Biblische Fragmente konnten je nach Fragmentgröße mit Hilfe einer Konkordanz relativ schnell