abgrenzt. In Auseinandersetzung mit Kultur, Recht und Religion des Hellenismus und vor allem mit einem hellenisierenden Judentum betont der Ioudaismos die Ausdrucksformen des Judentums, die die unverwechselbaren Besonderheiten hervorheben und die als Festhalten an den väterlichen Überlieferungen, der Tora, verstanden werden.5 Das sind vornehmlich Beschneidung, Sabbatgebot, Speisegesetze, Ehegesetze und Monolatrie.
Diese bewusste Form der aktiven Lebensgestaltung des Judentums als Ioudaismos in Abgrenzung von anderen Lebensformen erwähnt auch Paulus, um seine Lebensführung vor seiner Berufung zum Apostel der (nichtjüdischen) Völker zu beschreiben:
Gal 1,13 f.: Ihr habt von meiner Lebensführung einst gemäß des Anliegens des Judentums (Ioudaismos) gehört, wie ich im Übermaß die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu vernichten suchte, (14) und (wie ich) in der Wahrnehmung dieses Anliegens des Judentums (Ioudaismos) viele Altersgenossen in meiner Generation übertraf – ich war in hervorragender Weise ein Eiferer für die väterlichen Überlieferungen.
Es bilden sich somit etwa ab dem 2. Jh. v. Chr. innerhalb des antiken Judentums verschiedene Praktiken, dem jüdischen Gesetz zu folgen, aus. Damit ist die Entstehung von Gruppierungen wie den Pharisäern, Sadduzäern oder Essenern verbunden, die sich durch je eigene Interpretationen und Handhabungen des jüdischen Gesetzes voneinander unterscheiden, sich aber zugleich als Teil des Judentums verstehen. Der Jerusalemer Tempel bleibt bis zu seiner Zerstörung ein wichtiges, vergleichsweise niederschwelliges Bindeglied für diese verschiedenen Gruppierungen. Unter diesen gibt es allerdings auch einige, die sich vom Jerusalemer Tempelkult abwenden, wie etwa die Samaritaner und die „Gemeinschaft“ (hebr. yahad; יחד), die für die Gruppe der gemeinschaftsbezogenen Qumrantexte verantwortlich ist.6
Das Wort Ioudaios wird in der Antike von Nichtjuden als Fremdbezeichnung mit Betonung der ethnischen Zugehörigkeit zum jüdischen Volk verwendet. Als Selbstbezeichnung der Juden dient es vor allem zur Unterscheidung von anderen Völkern, wobei sowohl die religiöse wie die ethnische Komponente im Blick sind. Diese Funktionen erfüllt auch der Begriff „Hebräer“ (gr. Hebraios; Ἑβραῖος). Als Selbstbezeichnung eigener Art mit einer starken religiösen Komponente wird auch der Begriff „Israel“ verwendet. Mit „Israel“ bezeichnet das antike Judentum sich selbst als die unverwechselbare besondere Gemeinschaft im Gegenüber zu dem einen Gott, der als Namen das Tetragramm, JHWH, trägt. Diese Selbstbezeichnung spiegelt eher eine Binnenperspektive wider und enthält neben der religiösen auch eine normative Komponente.
Das Judentum der Antike reflektiert sich selbst als eine religiös-ethnische Gruppierung, die immer wieder zur Selbstbehauptung gegenüber ihrer Umwelt herausgefordert ist. Diese Situation bringt auch innere Konkurrenzen, um die Frage hervor, wie sich das Judentum selbst versteht und in welchen Praktiken und Überzeugungen es am besten repräsentiert ist. Die variierenden und schillernden Selbst- und Fremdbezeichnungen wie Jude, Hebräer und Israelit spiegeln diese Situation ebenso wider, wie der Begriff Ioudaismos, der das aktive Eintreten für die Anliegen des Judentums bezeichnet.
In der Antike ist die Vorstellung, dass Götter existieren und das Geschick der Menschen beeinflussen können, weit verbreitet. In Homers Ilias, dem eminenten Grundtext antiker Bildung, greifen die Götter unmittelbar in das weltliche Geschehen ein und beteiligen sich auf beiden Seiten an den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Trojanern und Griechen. Atheismus im Sinne der kognitiven Überzeugung, dass keine Götter existierten, ist außerordentlich selten und setzt im Grunde die spezifischen Bedingungen der europäischen Geistesentwicklung ab dem 16. Jh. voraus. Unter gr. a-theos (ἄθεος), „gottlos“, oder a-sebes (ἀσεβής), „unfromm“, versteht man in der Antike vielmehr jemanden, der sich der öffentlichen und gemeinschaftlichen kultischen Religionsausübung verweigert und deswegen als religiöser Frevler und zugleich als moralisch Asozialer gilt. Philo von Alexandrien erläutert das Wort atheos aus jüdischer Perspektive mit einem polemischen Akzent, indem er festhält, dass derjenige, der keine Götter verehrt, und derjenige, der viele Götter verehrt, in gleicher Weise in die Irre gehen (migr. Abr. 69). In den Psalmen ist der „Gottlose“ oder „Frevler“ ein Mensch, der die göttlichen Gebote missachtet und damit zum Ausdruck bringt, dass er keine Strafe durch Gott fürchtet. Ein solcher Mensch ist verloren, vergänglich, „wie Spreu, die der Wind verweht“ (Ps 1,4). Ihm gegenüber steht der „Fromme“ (gr. hosios; ὅσιος, z. B. Ps 4,4), der in seiner Verehrung Gottes auch die Befolgung des göttlichen Gesetzes miteinbezieht und somit auch ein „Gerechter“ (gr. dikaios; δίκαιος, z. B. Ps 1,6) ist. Diese Verschränkung des Gerechten mit dem Frommen, die die griechische Übersetzung der Bibel, die Septuaginta (lat. für siebzig), vertritt, entspricht dem griechisch-hellenistischen Tugendideal, nach dem der Mensch „fromm“ gegenüber Gott und den Göttern sein soll und zugleich „gerecht“ gegenüber seinen Mitmenschen. Bereits Platon (428–348 v. Chr.) spricht vom Ideal einer „frommen und gerechten“ Lebensführung.7
Das antike Judentum folgt diesen allgemeinen religiösen und moralischen Überzeugungen, zeichnet sich nun aber dadurch aus, dass es explizit monolatrisch und monotheistisch ausgerichtet ist. Seit der Zeit des Exils hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass der Gott Israels nicht einer von vielen, sondern der eine und einzige Schöpfer und damit der eine und der einzige wahrhaft existierende Gott ist. Die Ablehnung der Verehrung anderer Götter verschärft sich zu einer grundsätzlichen Kritik dieser Götter als Götzen. Sie gelten als nichtig und die Nähe zu ihnen als Bruch des Gesetzes der Juden, d. h. ihrer väterlichen Überlieferungen. Die Schärfe, mit der andere Götter abgelehnt werden, ist innerhalb des Judentums unterschiedlich ausgeprägt.
Flavius Josephus etwa legt den Dekalog für seine am Judentum interessierten griechischen Leser (Ant. 1,5) so aus, dass den Juden die Verehrung anderer Götter und die Verehrung von Bildnissen zwar untersagt sei, die Kulte anderer Völker aber nicht per se abzulehnen seien (Ant. 3,91). Auch Philo folgt dieser Linie, die dem nichtjüdischen Verständnis der Götter entgegenkommt, indem er bestimmte Ansichten positiv würdigt. Er unterscheidet zwischen den Nichtjuden, die einen Gott als den höchsten anerkennen, und solchen, die entweder viele Götter verehren oder gar Götterbildnisse tatsächlich für Götter halten. Schließlich nennt er als unterste und besonders verachtenswerte Stufe diejenigen, die Lebewesen, d. h. Tiere, als Götter verehren. Er öffnet sich zudem der hellenistischen Weltsicht dadurch, dass er die Verehrung eines einzigen Gottes als des höchsten und die Ablehnung der Vielgötterei als Folge vernünftiger Einsicht versteht, die auch Nichtjuden zugänglich sei (Philo Decal. 65).
Neben diesen eher versöhnlich-apologetischen Aussagen, die auf eine allzu scharfe Kritik nichtjüdischer Kulte verzichten und sich der Argumente antiker Religionsphilosophie bedienen, gibt es auch eine Traditionslinie im Judentum, die eine deutlich aggressivere Position vertritt. Von Deuterojesaja über die Weisheit Salomos bis zur Apokalypse Abrahams und zu Paulus wird das Bekenntnis zum Monotheismus mit der Abwertung der anderen Götter als Götzen und sogar mit der Strafforderung gegen Nichtjuden verbunden. In Jes 44, dem Grundlagentext für den Spott über heidnische Religionspraktiken, wird der Irrsinn derjenigen, die sich aus Holz Götter machen, dargestellt. Die Weisheit Salomos, die mit einiger Wahrscheinlichkeit in das 1. Jh. v. Chr. zu datieren ist, steigert diesen Spott noch durch feinsinnige Ergänzungen, etwa indem das Holz, aus dem die Götter gefertigt werden, nun als Abfallholz bezeichnet wird. Die im 1. Jh. n. Chr. entstandene Apokalypse Abrahams greift das Motiv der Abwendung Abrahams von seinem heidnischen Vater auf, der noch dazu als Götzenbildner dargestellt wird. Abraham verlässt das Vaterhaus, das in diesem Moment vor seinen Augen von Gott vernichtet wird (ApcAbr 8,5).
Jes 44,14 f.17 (Übers. Westermann): Er geht hinaus, sich Zedern zu fällen, nimmt eine Steineiche oder eine Eiche, er wählt sich unter den Bäumen des Waldes. Er pflanzt eine Fichte, der Regen lässt sie wachsen, (15) dass sie den Leuten zum Feuer diene, und er nimmt davon und wärmt sich. Teils zündet er’s an und backt Brot, teils macht er einen Gott und fällt nieder und bückt sich davor. […] (17) Und den Rest davon macht er zum Gott, zu seinen Götzen und kniet davor, wirft sich nieder und betet zu ihm, sagt: Rette mich, denn du bist mein Gott!
Weish 13,13 f.18 (Übers. Georgi): Ein Stück Abfall, das dann