dass man einen Fragebogen „samstagnachmittags beim Kaffeetrinken“ erstellen könne, wie Porst (2014: 13) die ironische Bemerkung eines Kollegen zitiert.
Porst (1996: 738) definiert einen Fragebogen als
eine mehr oder weniger standardisierte Zusammenstellung von Fragen, welche Personen zur Beantwortung vorgelegt werden mit dem Ziel, deren Antworten zur Überprüfung der den Fragen zugrunde liegenden theoretischen Konzepte und Zusammenhänge zu verwenden.
Es lohnt sich, auf die einzelnen Elemente dieser Definition genauer einzugehen. Fangen wir hinten an, mit dem Ziel des Fragebogens, nämlich der „Überprüfung der den Fragen zugrunde liegenden theoretischen Konzepte und Zusammenhänge“. Wie wir bereits in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, ist Empirie nie Selbstzweck. Empirische Daten helfen uns, Phänomene zu verstehen, die sich der unmittelbaren Beobachtung entziehen. Die Phänomene, mit denen wir uns in diesem Buch auseinandersetzen, lassen sich unter dem Überbegriff komplexe Systeme zusammenfassen – Sprache, Kognition, Kultur. Sprache ist in Form von Artefakten, also bspw. sprachlichen Lauten, Gebärden und Schriftzeichen, beobachtbar, doch wie Sprache tatsächlich funktioniert, wie und warum sie sich wandelt und ob es Regeln und Prinzipien gibt, denen sprachliche Variation folgt, können wir daraus nicht direkt ersehen. Auch scheinbar Triviales wie die Existenz von Dialekten oder Dialektgrenzen sind keine „harten Fakten“, sondern Kategorisierungsleisungen unsererseits.
Ein Beispiel: Wenn ich als Pfälzer nach Hamburg komme und mir dort auffällt, dass die Leute in der U-Bahn seltsame Wörter benutzen (moin, nech), andere Wörter merkwürdig aussprechen (wat, dat, Hamburch), dann ist das zunächst eine Einzelbeobachtung. Je öfter ich jedoch den gleichen Phänomenen begegne, desto sicherer kann ich mir sein, dass die Abweichungen von meiner eigenen Sprachvarietät systematischer Natur sind und dass es sich um für diesen Sprachraum charakteristische Phänomene handelt. Zunächst aber ist die Idee, dass es eine für diese Region spezifische Sprachvarietät gibt, eine reine Hypothese. Empirische Daten, die beispielsweise durch Fragebogenstudien à la Wenker erhoben werden können, können nun dazu beitragen, meine Kategorisierung zum einen zu überprüfen zum anderen zu verfeinern. Selbst die scheinbar rein deskriptive, also beschreibende, Erhebung von Dialektdaten dient also letztlich der Überprüfung theoretischer Konzepte und Zusammenhänge. Erst recht gilt das für Studien, die einen explanativen, also erklärenden, Anspruch erheben – also beispielsweise der Frage nachgehen, warum eine bestimmte Form gegenüber einer anderen, prinzipiell möglichen Form bevorzugt wird. So wäre eine FragebogenstudieFragebogenstudie vorstellbar, die Grammatikalitätsurteile zu Wörtern mit und ohne Fugen-s erfragt (Erbschaftsteuer vs. Erbschaftssteuer; Seminararbeit vs. Seminarsarbeit; Hauptseminararbeit vs. Hauptseminarsarbeit). Aufgrund der Antworten könnte dann erörtert werden, welche Faktoren dazu führen, dass eher die verfugte als die unverfugte Variante gewählt wird oder umgekehrt (z.B. Anzahl der Kompositionsglieder, phonologische Qualität des Erstglieds usw.).
Betrachten wir nun den ersten Bestandteil der Definition näher, „eine mehr oder weniger standardisierte Zusammenstellung von Fragen“. Damit wird unter anderem der Tatsache Rechnung getragen, dass es bei Befragungen – ähnlich wie in der Korpuslinguistik (s.o. 2.2.2) – sowohl qualitative als auch quantitative Ansätze gibt. Ein offenes Interview – etwa zu den Spracheinstellungen der Befragten (z.B. ob sie einen Dialekt als schön oder weniger schön empfinden) – ist naturgemäß weniger standardisiert als beispielsweise eine Umfrage mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Hippler & Schwarz (1996: 727f.) unterteilen qualitative Befragungen in wenig strukturierte und teilstrukturierte Interviews, während sie stark strukturierte Befragungen als quantitative Interviews kategorisieren. Bei der wenig strukturierten Befragung verfügt der Interviewer „über einen hohen Freiheitsspielraum in der Formulierung und Abfolge der Fragen“, während er sich beim teilstrukturierten Interview an vorbereitete und vorformulierte Fragen hält, deren Reihenfolge jedoch variieren kann. Bei quantitativen Befragungen indes stehen sowohl die Fragen als auch die Antwortmöglichkeiten fest, und eine über die Vorgaben des Fragebogens hinausgehende Interaktion zwischen Interviewer und befragten Personen sollte nicht stattfinden. Damit soll auch verhindert werden, dass der Interviewer das Antwortverhalten der Befragten unbewusst steuert. Wenn ich mich beispielsweise als Interviewerin mit dem Teilnehmer vor Beginn der Studie ausgiebig über unsere jeweiligen Einstellungen zu AnglizismenAnglizismen unterhalte, werden seine Antworten in einem Fragebogen über dieses Thema womöglich anders ausfallen, als wenn dieses Gespräch nicht stattgefunden hätte.
Doch auch wenn die Interaktion zwischen Interviewer und Interviewten auf ein Mindestmaß reduziert wird, besteht die Gefahr, dass die Befragten unbewusst und ungewollt manipuliert werden. Zu den Herausforderungen bei der Erstellung eines Fragebogens gehört unter anderem, dass wir mit Sprache arbeiten und Sprache nie ganz neutral sein kann. Ein Fragebogen will also so formuliert sein, dass wir die Probandinnen nicht unbewusst in eine bestimmte Richtung manipulieren. Bradburn et al. (2004: 6f.) zeigen dies eindrücklich am Beispiel des US-amerikanischen General Social Survey, in dem die Antwort darauf, ob die Regierung zu wenig, zu viel oder genau den richtigen Betrag für einen bestimmten Haushaltsposten ausgebe, sehr unterschiedlich ausfielen abhängig davon, ob der Begriff welfare oder assistance to the poor gewählt wurde. Die Frage, wie genau Fragen formuliert werden sollten, ist folgerichtig für die Erstellung eines Fragebogens hochrelevant und wurde und wird in der Sozialforschung viel diskutiert und erforscht (vgl. z.B. Groves et al. 2004, Kap. 7 und passim).
Fig. 11: Fragetypen nach Schlobinski (1996: 39).
Mit den unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Methoden bei der Befragung gehen auch unterschiedliche Fragetypen einher (s. Fig. 11). Für qualitative Befragungen sind offene Fragen charakteristisch – also beispielsweise: „Was assoziieren Sie mit dem sächsischen Dialekt?“ Im Bereich der geschlossenen Fragen, die in teilstrukturierten und strukturierten Befragungen eingesetzt werden, kann man mit Schlobinski (1996) grob unterscheiden nach Alternativfragen (z.B. Sollten Deutschlehrer im Unterricht Bairisch sprechen dürfen? – Ja/Nein), direkten Fragen (z.B. Geben Sie bitte alle Dialektausdrücke für ‚Brötchen‘ an, die Sie kennen), indirekten Fragen (z.B. Viele Berliner sind der Meinung, das Bairische sei ein provinzieller Dialekt. Sind Sie auch dieser Meinung?) und Schätzfragen (z.B. Wie viel Prozent der Bayern sprechen Ihrer Einschätzung nach Hochdeutsch?).2 Weiterhin unterscheidet Schlobinski (1996: 39) in Anlehnung an Holm (1986: 32) sechs Fragetypen nach ihrem jeweiligen Gegenstandsbereich (Tab. 6).
Fragetyp | Beispiel |
Faktfragen | Besitzen Sie ein bairisches Wörterbuch? |
Wissensfragen | Ist Bairisch ein niederdeutscher Dialekt? |
Einschätzungsfragen | Spricht Ihrer Meinung nach Horst Seehofer mit seinen Kindern Dialekt? |
Bewertungsfragen | Wie beurteilen Sie die Sprache der bayrischen Politiker? |
Einstellungsfragen | Wie gefällt Ihnen der bairische Dialekt? Oder: Sollten Deutschlehrer im Unterricht Bairisch sprechen? |
Handlungsfragen | Sprechen Sie im Biergarten so wie zu Hause? |
Tab. 6: Unterschiedliche Fragetypen nach Schlobinski (1996), dort nach Holm (1986).
Befragungen lassen sich zum einen nach ihrem Typ