des Handelns auch nur innerhalb der Ethik diskutiert werden, weil ohne die Frage nach der ethischen Richtigkeit des Handelns überhaupt kein solches Konzept ausgearbeitet werden kann und menschliches Tun dann nur unter der Perspektive der poiesis verstanden werden müsste, d. h., ohne dass wir uns über die Suche nach geeigneten Mittel-Zweck-Beziehungen hinaus noch mit der Frage beschäftigen könnten, welche Ziele mit solchen Beziehungen überhaupt verfolgt werden.
Die praxis ist bei Aristoteles darüber hinaus der Bereich, in dem keine Notwendigkeit bzw. Unveränderlichkeit herrscht, sondern von ihr ist nur dann die Rede, wenn etwas auch anders sein könnte. Diese Charakterisierung hat die praxis allerdings mit der poiesis gemeinsam, schließlich könnte man nicht planen, einen Tisch herzustellen, wenn der Tisch notwendig existieren würde oder wenn er notwendig nicht existieren könnte. Aber das Ziel der Tätigkeit unterscheidet praxis und poiesis voneinander. Die poiesis ist dadurch bestimmt, dass in ihr ein Ziel außerhalb der Tätigkeit selbst angestrebt wird: Die Tätigkeit der Herstellung eines Tisches wird unternommen, damit der Tisch schließlich dasteht und verwendet werden kann. In der praxis dagegen ist das Ziel bereits in der Tätigkeit selbst vorhanden. Deshalb ist der Beurteilungsmaßstab für die Güte der Handlung in der poiesis die Qualität des Hergestellten, d. h. seine Eignung für den angestrebten Zweck. Die praxis zu beurteilen ist dagegen weit schwieriger. Hier muss man allerdings beachten, dass Aristoteles es bisweilen mit seiner Terminologie nicht so genau nimmt. Bisweilen kommt man bei der Lektüre nicht darum herum, den Begriff der praxis ganz allgemein im Sinne eines Handelns aufzufassen, an anderen Stellen dagegen wird deutlich, dass dieser [<<51] Begriff nicht von dem der ‚Tugend‘ und damit von dem, was wir ‚gut‘ nennen können, abgetrennt verwendet wird.
Eine tugendhafte – ‚gute‘ – praxis ist nicht durch ihr Ergebnis charakterisiert, sondern durch die Art des Handelns selbst. Aristoteles drückt das so aus, dass dann ‚gut‘ gehandelt wird, wenn der Handelnde in einer bestimmten Verfassung handelt, und diese Verfassung wird näher so sein müssen: (a) Es muss ‚wissend‘ (bewusst) gehandelt werden; (b) es muss vorsätzlich, und zwar um der Handlung selbst willen, gehandelt werden, d. h., der Handelnde muss sich entschieden haben (Aristoteles spricht hier von prohairesis, was man mit Vorsatz, Entscheidung oder Wahl übersetzen kann); (c) es muss aus einer festen Disposition heraus gehandelt werden (Nikomachische Ethik 1105a28–1105b9). Wer so handelt, kann also nicht ‚Unwissen‘ als Entschuldigung geltend machen, er hat aber auch nicht Zwang und Gewalt als Grund dafür anzugeben, dass die Handlung eigentlich nicht von ihm stammt und ihm nicht zuzuschreiben ist.
Für die philosophische Theorie des Handelns wurde dabei besonders der Aspekt der Entscheidung bzw. der Wahl oder auch des Vorsatzes (prohairesis) wichtig. Ein solches Entscheiden liegt dann vor, wenn wir mit ‚Überlegung‘ nach solchen Dingen ‚streben‘, die auch tatsächlich in unserer Macht stehen (Nikomachische Ethik 1113a9ff.). Es geht um ein ‚Streben‘ bzw. ‚Erstreben‘ in der Wirklichkeit des Lebens, nicht um Phantasien und nicht um bloßes Wünschen, das nicht zu der Bemühung um Realisierung in der wirklichen Welt führt. Deshalb wird auch das ‚realistische‘ Streben in die Definition aufgenommen – würden wir nach etwas streben, das nicht in unserer Macht steht, so bliebe es bei einem bloßen Wünschen. Auch hier gewinnt das Wissen seine Bedeutung für das Vorliegen einer Handlung, die als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ (richtig oder falsch) bezeichnet werden kann. Darüber hinaus ist offenbar die Motivation entscheidend für die Frage, ob wir es mit praxis oder mit poiesis zu tun haben. Tun wir etwas um externer Güter willen, so kann eine Handlung, die ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ sein kann, nicht vorliegen, sie muss also aus intrinsischen Gründen vorgenommen werden. Die Bedingung (c) verlangt, dass eine stabile Handlungstendenz in einem Menschen vorliegen muss, um sagen zu können, dass er tugendhaft handelt.
Die Schwierigkeit des aristotelischen Begriffes der praxis liegt darin, dass er nicht sehr präzis ist. Er ist weitgehend durch die Abgrenzung von der theoria einerseits und von der poiesis andererseits charakterisiert und lässt schon deshalb viele Fragen offen, die für die spätere philosophische Fragestellung bezüglich des Handelns und seiner Bedeutung für das menschliche Selbstverständnis wichtig geworden sind. Nichtsdestoweniger hat dieser Begriff doch entscheidende Weichen für die Auffassung eines besonderen Bereichs im menschlichen Verhalten gestellt, der sich vom einfachen Verhalten dadurch unterscheidet, dass er sich auf einen Raum des Möglichen und [<<52] Veränderlichen bezieht und dass er nicht – oder zumindest nicht vollständig – durch den damit unmittelbar angestrebten Zweck bestimmt wird, sondern das Ziel hier in der Tätigkeit selbst enthalten ist, so dass das Handeln dem Freiheitsbereich des Menschen zugeordnet werden kann. Ein solches Handeln ist also nicht – zumindest nicht vollständig – von seinem Ziel her bestimmt, und es genügt nicht, wenn wir das Ziel kennen und im Verhalten die Anwendung geeigneter Mittel entdeckt haben, um von praxis sprechen zu können.
Nach der aristotelischen Bestimmung der Handlung verbinden sich in einer Handlung, die der praxis angehört, die menschliche Freiheit, die Fähigkeit, Absichten zu verfolgen, und die Fähigkeit, solche Absichten um des ‚Richtigen‘ willen zu verfolgen (und nicht, um Ziele außerhalb der Handlung zu erreichen). Die Handlung der praxis ist deshalb im Unterschied zu derjenigen der poiesis diejenige, in der sich das zeigt, was den Menschen in seiner wesentlichen Unterscheidung von allen anderen Lebewesen offenbart. Das war für Aristoteles die Fähigkeit, ‚tugendhaft‘ handeln zu können – wir könnten auch sagen: aus freier Entscheidung und orientiert an Regeln, aufgrund derer eine solche Handlung als ‚richtig‘ in einem Sinne bezeichnet werden kann, der über die technische Angemessenheit des Einsatzes von Mitteln für gegebene Zwecke hinausgeht.
Wer mit der kantischen Ethik vertraut ist, der wird hier schon eine Vordeutung auf deren zentrale Unterscheidung zwischen hypothetischen und kategorischen Urteilen erkennen. Hypothetische Urteile beschreiben die Wenn-dann-Struktur vieler Handlungsanweisungen: Wenn du einen Gegenstand mit einer Schraube befestigen willst, dann solltest du einen Schraubenzieher benutzen. Darin ist keine moralische Regel und kein entsprechendes Urteil enthalten. Ein kategorisches Urteil mit einem Sollen dagegen setzt nicht ein erwünschtes Ziel mit einem geeigneten Mittel in Beziehung, sondern beurteilt das Handeln (bei Kant eigentlich die Willensentscheidung bzw. den Handlungsvorsatz) mithilfe des Prinzips der Verallgemeinerbarkeit (Universalisierbarkeit) nach dem kategorischen Imperativ. Eine solche allgemeine Regel kannte Aristoteles allerdings nicht. In seinem Denken bezieht sich die ‚Richtigkeit‘ eines Handelns in der praxis auf das ‚gute Leben‘, das wir nur in der polis führen können, weshalb die herrschenden Vorstellungen über das ‚Richtige‘ in der polis eine entscheidende Bedeutung für die moralische Beurteilung einer Handlung und damit für ihren praktischen Charakter besitzen.
In diesem Zusammenhang ist noch ein zentrales Charakteristikum der aristotelischen Handlungskonzeption von Bedeutung. Wir haben schon gesehen, dass für die ‚tugendhafte‘ Handlung, die wir unter der Perspektive ihrer moralischen Richtigkeit und nicht unter der ihrer technischen Erfolgswahrscheinlichkeit beurteilen, auch die Bedingung wichtig ist, dass sie aus einer ‚stabilen Haltung‘ heraus erfolgt, die auf den [<<53] ‚Charakter‘ als die Disposition zu einer bestimmten Handlungsorientierung zurückgeht. In der moralisch relevanten, freiwilligen, bewussten und vorsätzlichen Handlung kommt zum Ausdruck, was bzw. wer der Handelnde ist.
Das geht auf den Gedanken zurück, dass nur das mit Überlegung geschehende und vernünftige Handeln die Grundsätze und allgemeinen Einstellungen des betreffenden Menschen zum Ausdruck bringt, während ein Handeln im Affekt weniger Beziehung zu dem hat, was ein Mensch ist bzw. zu was er sich gemacht hat. Aus dieser Perspektive sind wir weniger durch das charakterisiert, was wir vor einem vernünftigen Stellungnehmen oder außerhalb eines solchen wollen, sondern mehr durch das, was wir mit Entscheidung, Vorsatz und Überlegung wollen. Darin ist die moralisch relevante Handlung zu finden, mit der wir für uns selbst und in der polis demonstrieren, wer wir sind und wie man uns aufzufassen hat.
Das bedeutet allerdings keineswegs, dass das Handeln durch den ‚Charakter‘ als die Disposition zu einem bestimmten Handeln erklärt werden soll, was der Freiheit und der Willensentscheidung als Kriterien des moralischen Handelns gerade widersprechen würde. Das Handeln als Demonstration der ‚Persönlichkeit‘ und der ‚stabilen Haltung‘ des Menschen soll keineswegs die Verantwortlichkeit und damit die freiheitliche Grundlage des