das Einzigartige, das in jedem Traum steckt, kann nicht erfasst werden. Auch Themen, die sehr selten in Träumen vorkommen, können schlecht statistisch analysiert werden, da immense Traumstichproben nötig wären. Das Hauptproblem ist jedoch, dass die Inhaltsanalyse auf den Traumbericht beschränkt bleiben muss. Da das eigentliche Ziel nicht die Analyse des Berichts ist, sondern die Analyse des subjektiven Empfindens im Traum, stellt sich die Frage, wie gut der Traumbericht das erlebte Geschehen im Traum abbildet. Dieses Gütekriterium, die ↑ Validität, wird im Abschnitt Gütekriterien der Inhaltsanalyse erläutert.
Inhaltsanalytische Skalen
In ihrem Buch „Dimensions of Dreams“ haben Winget und Kramer (1979) 132 Skalen und ↑ Ratingsysteme zur Inhaltsanalyse aus dem englischen Sprachraum zusammengestellt. Die Skalen erfassen ganz unterschiedliche Themen wie Aggression, Anzahl der Personen, bizarre Elemente usw. Das folgende Beispiel ist eine globale Ratingskala, die Sie nach dem Durchlesen auf das darauffolgende Traumbeispiel anwenden können.
Beispielskala: Gefühle im Traum
„Bei der Gefühlseinschätzung können positive und negative Gefühle gleichzeitig kodiert werden. Neutral ist der Traum, wenn beide Skalen mit 0 kodiert werden.
Achten Sie zunächst auf explizite Gefühlsäußerungen des Träumenden. Falls durch Handlungen oder durch die Situation Gefühlsstimmungen deutlich werden, ist eine dementsprechende Kodierung möglich.
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Falls im Traum mehrere Gefühle auftreten, wird das am stärksten auftretende Gefühl für die Kodierung herangezogen.“
Traumbeispiel
„Ich bin mit einem Uni-Bekannten auf dem Dachboden über einer riesigen, verzierten Domkuppel. Die Dachbalken sind nur ganz dünne Holzlatten und dazwischen ist Füllwatte. Mein Bekannter bricht an einer Stelle durch die Füllwatte, seine Beine hängen jetzt eigentlich in die Kirche hinein, aber auf einmal ist alles unterhalb der Füllwatte Wasser (wie im Schwimmbad). Mein Umhängebeutel fällt dann auch durch die Füllwatte und versinkt im Wasser. Ich kriege die Henkel nicht mehr zu fassen und mein Bekannter taucht hinterher.“
Die Einschätzung des Beispieltraumes (es ist ein Tagebuchtraum) durch die Versuchsperson selbst finden Sie am Ende dieses Kapitels. Die Träumerin schildert zwar nicht explizit, welche Gefühle sie im Traum erlebt, doch kann man aus der Beschreibung der Handlung erahnen, dass Gefühle vorhanden sein könnten. So ist das Mitverfolgen, dass der Bekannte einbricht, wahrscheinlich von negativen Gefühlen leichter oder mittlerer Ausprägung begleitet, auch wenn nicht explizit erwähnt wird, dass die Träumerin einen Schreck bekommen hat. Interessanterweise zeigen Studien, dass normalerweise – aber nicht immer – Situationen im Traum so erlebt werden, wie sie auch im Wachzustand erlebt würden (Foulkes et al. 1988). Nur deshalb lässt sich überhaupt eine sinnvolle Einschätzung der Gefühle von außen durchführen.
Das umfangreichste System zur Trauminhaltsanalyse mit über 300 Kodiermöglichkeiten wurde von Hall und Van de Castle (1966) entwickelt. Das Ratingsystem ist auch in Domhoff (1996) enthalten, der ebenfalls über die mannigfaltigen Anwendungen des Systems berichtet. Das System erfasst zum Bespiel Traumpersonen (Alter, Geschlecht, Bekanntheitsgrad), soziale Interaktionen (freundlich, aggressiv, sexuell), Umgebungen („Indoor“, „outdoor“), Glück, Unglück, Emotionen und vieles mehr.
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Gütekriterien der Inhaltsanalyse
Damit eine Methode als wissenschaftlich anerkannt wird, ist die Angabe von Gütekriterien sehr wichtig. Damit wird abgeschätzt, wie hoch die Messgenauigkeit ist (↑ Reliabilität) und ob man das misst, was man messen möchte.
In der Trauminhaltsanalyse wird im Rahmen der Messgenauigkeit häufig nur die Interrater-Reliabilität diskutiert. Darunter versteht man die Übereinstimmung zwischen zwei Beurteilern, die mittels derselben Skalen dieselben Träume einschätzen. Zum Beispiel geben Hall und Van de Castle (1966) an, dass für die Geschlechtskodierung von Traumpersonen eine Übereinstimmung von 93 % erreicht wurde, ob eine aggressive Handlung vorkommt, ist schwieriger einzuschätzen, die Übereinstimmung lag bei 54 %. Für die Beispielskala „Traumgefühle“ lagen in einer eigenen Studie (Schredl 1998a) die Korrelationen bei r = .824 (positive Gefühle) und r = .888 (negative Gefühle). Diese Werte (über .80 sind als sehr gut anzusehen). Die Interrater-Reliabilität macht eine Aussage über die Güte der Skala. Je präziser die Skala definiert ist, desto höher ist die Übereinstimmung, wenn zwei verschiedene Personen die Skala anwenden. Dadurch wird der Einfluss durch die Subjektivität des Beurteilers auf ein Minimum reduziert. Es konnte jedoch auch gezeigt werden, dass ein Training der Beurteiler notwendig ist, um sehr hohe Übereinstimmungen zu erzielen (Schredl et al. 2004).
Eine weitere Form der Reliabilität ist in der Traumforschung kaum berücksichtig worden; diese hängt mit der großen Variabilität der Trauminhalte zusammen. In der Testpsychologie wird das Problem so gelöst, dass man viele einzelne Fragen verwendet, um eine ↑ Persönlich keitsdimension stabil zu messen. Ich habe dieses Modell auf Trauminhalte übertragen und berechnet, dass man bis zu 20 Träume pro Person benötigt, um stabile Unterschiede zwischen den Personen messen zu können (Schredl 1998b). Erst dann liegt in diesem Sinne eine hohe Reliabilität vor.
Auch bezüglich der ↑ Validität der inhaltsanalytischen Skalen liegen nur wenige Studien vor. Vordergründig gilt für die meisten Skalen die sogenannte Augenscheinvalidität: Wenn in der Skala nach Aggression gefragt wird, wird auch Aggression gemessen. Das folgende Beispiel zur Messung von Traumgefühlen soll aufzeigen, dass die Sachlage nicht ganz so einfach ist.
In Tabelle 1 sind die Ergebnisse für 133 Traumberichte dargestellt, bei denen die Traumgefühle auf drei verschiedene Arten gemessen wurden. 29
Tabelle 1: Einschätzung von Traumgefühlen (N = 133 Träume; Schredl / Doll 1998)
• Direkt nach dem Aufschreiben wurden die Versuchspersonen gebeten, ihre positiven und negativen Gefühle auf zwei Skalen einzuschätzen. Diese Skalen hatten die gleichen Werte wie die Beurteilerskala.
• Dann erfolgte eine Einschätzung der Traumberichte anhand der Skala, die oben als Beispiel dargestellt wurde.
• Andere Beurteiler schätzten schließlich die Traumberichte nach dem Kodiersystem von Calvin Hall und Robert Van de Castle (1966) ein. Bei diesem ↑ Ratingsystem werden nur im Traumbericht explizit genannte Emotionen kodiert. Ein Traum „Ich sehe ein Monster und laufe weg.“ bekommt keine Kodierung, da die Versuchsperson die vermutlich vorhandene Angst nicht explizit angibt.
Aus den Ergebnissen dieser Studie wird deutlich, dass die Fremdeinschätzung das Auftreten von Traumgefühlen deutlich unterschätzt, vor allem wenn nur explizit genannte Emotionen erfasst werden. Dazu kommt noch die Überschätzung des Anteils der negativen Traumgefühle : Bei der Fremdeinschätzung kommen negativ getönte Träume fast dreimal so häufig vor, während bei der Selbsteinschätzung die Anteile ausgeglichen sind. Dieses Problem der ↑ Validität ist nicht in den Skalen selbst begründet, es ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass dem Beurteiler nur der Traumbericht als Material zur Verfügung steht. Im Falle der Emotionen – aber auch für bizarre Elemente (Schredl / Erlacher 2004) – zeigte sich, dass die Versuchspersonen nicht alles genau so aufgeschrieben haben, wie sie es erlebt haben, der Traumbericht die 30Traumerfahrung also nicht vollständig wiedergibt. Würde man allerdings die Genauigkeit auf die Spitze treiben, würde es wahrscheinlich Stunden dauern, bis ein Traum in allen bzw. den meisten Einzelheiten erfasst ist. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die formale Inhaltsanalyse von Traumberichten durch Ratingskalen zu ergänzen, die die Versuchsperson nach dem Aufschreiben des Traumes selbst ausfüllt, z. B. die Einschätzung der positiven und negativen Traumgefühle. So kann man zu genaueren Aussagen bezüglich der erlebten Traumerfahrung kommen.