Claus Ehrhardt

Sprachliche Höflichkeit


Скачать книгу

Es ist keineswegs klar, ob diese und andere sprachlichen Strukturen einen notwendigen oder sogar hinreichenden Grund dafür darstellen, dass eine Äußerung als höflich angesehen werden kann.

      So gut wie alle neueren Beiträge über Höflichkeit verweisen auf die Einsicht „[…] no linguistic structure can be taken to be inherently polite“ (WattsWatts 2003, 168); sie gehen davon aus, dass Höflichkeit nicht eine Eigenschaft von Wörtern und Sätzen, sondern von Ausdrücken und Äußerungen, also Wörtern und Sätzen im Kontext, ist. Ähnlich formulieren es KádárKádár/HaughHaugh: „[…] politeness does not reside in particular behaviours or linguistic forms, but rather in evaluations of behaviours and linguistic forms“ (Kádár/Haugh 2013, 57). Die Verwendung des Konjunktivs in einer Bitte (Könntest du mir die Zeitung vorlesen?) wäre damit weder notwendig noch hinreichend, um diese Sprechhandlung als höflich zu qualifizieren. Die Höflichkeit oder der Grad an Höflichkeit hängt vielmehr entscheidend davon ab, wer wo wann zu wem so etwas in welcher Umgebung sagt und wie die Äußerung von den AdressatInnen oder auch von BeobachterInnen bewertet wird.

      Das ist einleuchtend, sollte aber nicht dazu führen, dass der sprachliche Aspekt unterschätzt wird. Die Annahme, dass die Höflichkeit einer Äußerung auch davon abhängt, ob bestimmte sprachliche (grammatische, lexikalische, phraseologische usw., aber auch phonetische/prosodische) Strukturen verwendet wurden, ist gut begründet. „Zum Ausdruck der Höflichkeit gibt es viele sprachliche und außersprachliche Formen“ (WeinrichWeinrich 1993, 102). Schon Kindern wird beigebracht, dass die Verwendung von Wörtern wie bitte oder danke in vielen Situationen einen entscheidenden Unterschied ausmacht. Es gibt im Deutschen wie in allen anderen Sprachen ganz offensichtlich sprachliche Formen, die auch oder vor allem die Funktion haben, eine Äußerung so zu konturieren, dass die AdressatInnen eine Botschaft auf der Beziehungsebene rezipieren, die dann dazu führen kann, dass sie die SprecherInnen oder zumindest deren Äußerungen als höflich klassifizieren.

      Leech bringt diese Intuition in die Form einer Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Typen von Höflichkeit. In einer älteren Arbeit (Leech 1983) spricht er von absoluter versus relativer Höflichkeit, in einem späteren Werk (LeechLeech 2014, 15ff.) von pragmalinguistischer versus soziopragmatischer Höflichkeitsoziopragmatische Höflichkeit. Mit dem ersten Teil der Begriffspaare ist gemeint, dass manche Sätze auch ohne Kenntnis des Kontexts als höflich angesehen werden können: „Pragmalinguistic politeness is assessed on the basis of the meaning of the utterance out of context […]“ (Leech 2014, 16). In diesem Sinne kann eine Äußerung mehr oder weniger höflich sein, das Gegenteil von höflich wäre nicht-höflich. Vielen Dank wirkt in der Regel höflicher als Danke, die Abwesenheit jeglicher Dankesformel in Kontexten, in denen sie erwartbar wäre, betrachtet Leech als nicht-höflich. Der zweite Terminus der Begriffspaare bezieht sich dann auf die kontextsensitiven Formen von Höflichkeit, in denen die sprachliche Form nicht als wichtigste Erklärungsgrundlage für die Evaluation der Äußerung herangezogen werden kann: „[…] social judgements of politeness depend not just on the words used and their meanings but also on the context in which they are used […]“ (Leech 2014, 17). In diesem Sinne gibt es ein situationsangemessenes Ausmaß an Höflichkeit und – als Alternative – ein höheres oder ein zu niedriges Ausmaß. Wenn SprecherInnen höflicher sind als es in der Situation erforderlich ist, werden sie als höflich empfunden, tun sie weniger, dann sind sie nicht nicht-höflich, sondern unhöflich. Die Unterscheidung mag im Einzelnen schwer nachvollziehbar und diskussionswürdig sein – angefangen bei der Frage, ob es sinnvoll ist, von Äußerungen ohne Kontext zu sprechen. Wir übergehen hier solche Diskussionen und beschränken uns auf den Hinweis, dass bei so gut wie allen Äußerungen, die aus dem einen oder anderen Grund als höflich angesehen werden, die sprachliche Form eine gewisse Rolle spielt.

      In diesem Kapitel werden wir der Frage nachgehen, wie der Grad an Höflichkeit einer Äußerung mit ihrer sprachlichen Realisierung zusammenhängt. Dabei beziehen wir uns vor allem auf das Deutsche. Nach einem Blick auf die Thematisierung von Höflichkeit in ausgewählten Grammatiken werden wir einige Phänomene näher betrachten, vor allem die pronominale Anredepronominale Anrede, den KonjunktivKonjunktiv PräteritumPräteritum als Höflichkeitsform, RoutineformelnRoutineformel und schließlich Höflichkeit als Stil. Diese kleinen Fallstudien repräsentieren auch die verschiedenen Ebenen der sprachlichen Formen: die morphosyntaktische, die lexikalische, die phraseologische Struktur von Sätzen bzw. Äußerungen sowie die pragmatische Ebene von Sprechhandlungen als kommunikative Einheiten. Die Einteilung dient auch dazu herauszufinden, auf welcher Ebene der sprachlichen Organisation Höflichkeit angesiedelt werden muss und ob und in welcher Hinsicht man davon ausgehen kann, dass Höflichkeit im Deutschen und in anderen Sprachen sprachlich enkodiert ist. Dabei können wir leider nicht auf die phonetische/prosodische Struktur von Äußerungen eingehen; wir können hier nur auf die Bedeutung dieser Ebene hinweisen.

      Die zentrale Frage wird dabei immer sein, inwieweit das jeweilige Phänomen notwendig und/oder hinreichend ist, um eine Äußerung höflich zu machen, welchen Beitrag die „Höflichkeitsform“ für die Erklärung von Höflichkeit geben kann, ob Höflichkeit ein Bestandteil der Bedeutung von Wörtern, Mehrwortlexemen oder morphosyntaktischen Formen ist und wie man erklären kann, dass gerade diese Formen als höflich angesehen werden können. Mit anderen Worten: Wie ist der Zusammenhang zwischen dem Grad an Höflichkeit einer Äußerung auf der einen und der Form ihrer sprachlichen Realisierung auf der anderen Seite darstellbar?

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCBDKC7gDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwDhqKKK 8M/WAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKoAooooAKKKKACiiikwCiiikAUUUVQBRRRQAUUUUAFFFFJg FFFFIAoooqkAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUgCiiikAUUUUAFFFFABRRRQAUUUVQ BRRRQAUUUUAFFFFJgFFFFIAooooAKKKKYBRRRTAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooYBRRRU gFFFFUgCiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKkAooooAKKKKACiiiqAKKKK ACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKkAooopoAooopgFFFFJgFFFFIAooooAKKKKaAKKKKYBRR RSYBRRRSAKKKKoAooooAKKKKkAooooAKKKKACiiiqAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKK KKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooo oAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooopMAooooAKKKKYBRRRQwCiiipAKKKKpAFFFFABRRRSAKK KKQBRRRQAUUUU0AUUUUwCiiikAUUUUAFFFFMAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiihgFFFFSAU UUVSAKKKKACiiigAooooYBRRRUgFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRVAFFFFAB RRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUAFFFFABRRRQAUUUUmAU UUUgCiiiqAKKKKACiiigAooopMAooopAFFFFUAUUUUAFFFFSAUUUU0AUUUUwCiiigAooooAKKKKA CiiihgFFFFSAUUUVSAKKKKACiiigAooooYBRRRUgFFFFUgCiiigAooopAFFFFCAKKKKYBRRRSYBR RRSAKKKKoAooooAKKKKkAooopoAooopgFFFFABRRRQAUUUVIBRRRTAKKKKLAFFFFFgCiiiiwBRRR TuAUUUUAFFFFABRRRSYBRRRSAKKKKoAooooAKKKKLgFFFFJgFFFFIAooop3AKKKKdwCiiigAoooo AKKKKACiiigAooooAKKKKVgCi