in ChicagoChicago gehaltenen Vortrag „The Significance of the Frontier in American HistoryThe Significance of the Frontier in American History (1893)“ behauptete TurnerTurner, Frederick J., dass der WestenWesten weit mehr als nur ein „Sicherheitsventil“ für soziale Konflikte in den bereits besiedelten Gebieten der USA gewesen sei. Vielmehr habe die Frontier der amerikanischen Demokratie als eine Art „Jungbrunnen“ gedient, als Quelle der Erneuerung traditioneller Werte und Ort der ständigen Bewährung für das Individuum. Den nach Westen vordringenden Pionier verstand TurnerTurner, Frederick J. – ganz im Sinne Thomas JeffersonsJefferson, Thomas – als den eigentlichen Träger demokratischer Ideale, und die Frontier erschien ihm als Inbegriff dessen, was die Vereinigten Staaten von Europa unterschied und was sie zum Fortschritt der Menschheit beitrugen. An der Siedlungsgrenze, wo sich Natur und Zivilisation begegneten, wurde nicht nur das Individuum umgeformt, sondern erhielt die gesamte Nation ihren spezifischen, unverwechselbaren „amerikanischen Charakter“. Während die Reformvorschläge, mit denen TurnerTurner, Frederick J. dem Verschwinden der Frontier begegnen wollte, wenig Aufmerksamkeit fanden, entwickelte der „Frontier-Mythos“, der den Glauben an die Einzigartigkeit und besondere Bestimmung der USA bekräftigte, ein bis in die Gegenwart wirkendes Eigenleben. Die Geschichtswissenschaft kreidet Turner zwar etliche Irrtümer und Versäumnisse an: So hat er offenkundig die Bedeutung des Einflusses unterschätzt, den die Ostküste mit ihren Institutionen, Werten und Ideologien auf den Westen ausübte; darüber hinaus idealisierte er die Frontier, indem er negative Aspekte wie Gewalttätigkeit, Landspekulation, hemmungslose Ausbeutung der Natur und Zerstörung indianischer Kulturen vernachlässigte. Ebenso wenig schenkte er dem Beitrag der Frauen, der Schwarzen und der Asiaten zur „Eroberung des Westens“ die gebührende Beachtung. Dennoch wird die von TurnerTurner, Frederick J. angeschnittene Frage des „American exceptionalismExzeptionalismus“ auch heute noch lebhaft diskutiert. Die Glorifizierung des „Wilden Westens“ in MedienMedien und Werbung sowie die Neigung, die RaumfahrtRaumfahrt oder andere moderne Technologien als die New FrontierNew Frontier
Abb. 11: John Gast, American Progress, 1872
Der transkontinentale EisenbahnbauWirtschaftEisenbahn2. Hälfte 19.Jh.
Selbst bei nüchterner Betrachtung springt die verkehrsmäßige Erschließung des amerikanischen Westens als eine der bedeutendsten kollektiven Leistungen (und eines der größten Abenteuer) des 19. Jahrhunderts ins Auge. Zum Symbol des „EisenbahnzeitaltersEisenbahn2. Hälfte 19.Jh.“ wurde die Union and Central Pacific RailroadUnion and Central Pacific Railroad
Auf die Union and Central Pacific Railroad folgten bis 1890 noch vier weitere transkontinentale Eisenbahnlinien. Zusammen mit den von Einzelstaaten, Kreisen und Städten ebenfalls reichlich subventionierten Seitenlinien entstand so binnen kurzem ein relativ dichtes Verkehrsnetz, das den WestenWesten mit den Industrie- und Bevölkerungszentren der Ostküste und des Mittleren WestensMittlerer Westen verband und an dessen Knotenpunkten neue Siedlungen aus dem Boden schossen. Insgesamt wuchs das amerikanische Schienennetz zwischen 1870 und der Jahrhundertwende von 53.000 auf ca. 200.000 Meilen, womit es weiterhin länger war als die Bahnlinien im Rest der Welt zusammengenommen. Eisenschienen wurden durch leistungsfähigere Stahlschienen ersetzt, und Verkehrshindernisse wie verschiedene Spurbreiten und unterschiedliche technische Standards, die zunächst noch üblich waren, konnten in den 1880er Jahren beseitigt werden. Gleichzeitig mit dem Schienenbau zog man TelegraphenleitungenTelegraph, die während des Bürgerkriegs in Gebrauch gekommen waren und die nun eine blitzschnelle Nachrichtenübermittlung von einem Ende der Union zum anderen zuließen. Wie der Kanal- und Eisenbahnbau seit den 1820er Jahren zur Entstehung einer Marktwirtschaft zwischen Ostküste und MississippiMississippi (Fluss) beigetragen hatte, so förderte diese neue „Transport- und Kommunikationsrevolution“ die Ausbreitung des MarktsystemsWirtschaft über den gesamten Kontinent. Die Konsequenzen waren vielfältiger Art: ein Aufschwung der Eisen- und Stahlindustrie, des Kohlebergbaus und des Maschinenbaus; die Verbesserung und Standardisierung der Eisenbahntechnik, die weltweit vorbildlich wurde; eine regionale wirtschaftliche Spezialisierung und Arbeitsteilung als Voraussetzung für den Übergang zur Massenproduktion; eine Reduzierung der Frachtkosten pro Tonne um ca. 50 Prozent von 1870 bis 1890; eine Verringerung der Reisezeit zwischen New YorkNew York City und ChicagoChicago um die Hälfte auf 24 Stunden; der Anstieg der Einwandererzahlen und die Beschleunigung der Siedlung im Westen durch massive Werbekampagnen und Landverkäufe der Bahngesellschaften; und ein neues Verhältnis der Menschen zu Raum und Zeit, das vom Eisenbahnfahrplan bestimmt wurde und u.a. in den 1880er Jahren zur Einteilung der USA in vier Zeitzonen führte. Außerdem nahmen die Railroad Companies, die mit neuen Methoden des Managements, der Finanzierung, des Wettbewerbs und des Verhältnisses zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft experimentierten, trotz zahlreicher Pleiten und Skandale Modellcharakter für das amerikanische big businessWirtschaftWirtschaftAspektebig business
Der aride WestenWesten und die Ausbeutung der natürlichen RessourcenWirtschaft
Mehr als irgendein anderer Umweltfaktor war es die große Trockenheit, die den amerikanischen WestenWesten definierte. In seinem Werk The Great Plains hatte der Historiker Walter Prescott WebbWebb, Walter Prescott bereits 1931 klassisch formuliert, dass die amerikanische Gesellschaft westlich des MississippiMississippi (Fluss) nur „auf einem Bein“ stehe. An der Ostküste gab es Land, Wasser und Holz, im Westen wurden der Zivilisation „zwei Beine abgenommen – Wasser und Holz“. Der im Dienste der US-Regierung stehende Ethnograph John Wesley PowellPowell, John Wesley hatte bereits 1878 anlässlich einer Exkursion in den Westen prophezeit, dass zwei Fünftel der Fläche der Vereinigten Staaten nur zu 3 Prozent regulär, das heißt ohne Bewässerung, bewirtschaftbar seien. PowellsPowell, John Wesley Einsicht widersprach jenem amerikanischen Optimismus, der in der erfolgreichen Besiedelung des Ostens eine modellhafte, über den ganzen Kontinent hinweg fortschreibbare Entwicklung sah.
Entgegen den von HollywoodHollywood vorgeführten Mythen von der Tapferkeit der CowboysCowboy waren es meist nicht feindliche Indianerstämme, sondern klimatische Bedingungen und mangelnde Erfahrung, die sich in den ersten Jahrzehnten der Viehwirtschaft fatal für Menschen und Tiere auswirkten. Neuere Studien zur Umweltgeschichte zeigen, dass es in öden und kargen Territorien, wie Hochgebirgen oder Hochebenen, strikter Gesetze oder Konventionen zur Schonung der Ressourcen bedarf. Im Gegensatz zu den Prärieindianern, die ein nomadisches Dasein führten, verfügten die aus Europa oder dem amerikanischen Osten eingewanderten Siedler nicht über die nötige Kenntnis der ökologischen Gesetze. Hunderttausende verhungerter oder erfrorener Rinder wurden zum Opfer dieser Unkenntnis.