Faches auf dem Feld des Gesundheitswesens. Nach der teilweisen Zulassung der künstlerischen Therapieformen in der Akutklinik sind diese auch in der rehabilitativen Versorgung anzutreffen. Dieser Umstand ist wesentlich dem Einsatz vieler berufspolitisch tätigen KunsttherapeutInnen in der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerischer Therapien (BAG-KT) zu verdanken, deren Geschäftsführung ich an dieser Stelle für manche Hinweise bei der hier vorliegenden Überarbeitung danken möchte.
TEIL I
KUNSTTHERAPIE – EINFÜHRUNG UND ÜBERBLICK
Wer einen Begriff vom Wesen und der Methode der Kunsttherapie gewinnen möchte, der hat sich zuerst darüber klar zu werden, wie innere Bilder auf die Psyche wirken und wie sie das Verhalten beeinflussen. Denn dass Bilder therapeutisch wirksam sein können, ist seit langem bekannt. Daher geht es den bildnerischen Therapien von Anfang an um einen Gestaltungsvorgang, der in seiner bildnerischen Dynamik den Zustand, die Befindlichkeit eines Menschen spiegelt und beeinflusst.
1 Zur Herkunft der künstlerischen Therapien
Bevor wir die verschiedenen Spezialisierungen dieser Therapieform nachzeichnen, wollen wir versuchen, die moderne Kunsttherapie in ihrem Wesen, ihren Ansätzen und Einsatzfeldern zu erfassen. Nach ihrer Herkunft lassen sich sechs Ansätze in der Kunsttherapie differenzieren:
1. ein kunstpsychologischer Ansatz in der Entstehenszeit dieser Disziplin;
2. ein kunstpädagogischer / -didaktischer Ansatz;
3. ein psychiatrischer, d. h. arbeits-, ergo- und beschäftigungstherapeutischer Ansatz;
4. ein heilpädagogischer Ansatz;
5. ein kreativ- und gestaltungstherapeutischer Ansatz und
6. ein tiefenpsychologischer Ansatz.
1.1 Der kunstpsychologische Ansatz
Die ästhetische Psychologie wird in Lehrbüchern wie dem von Kreitler und Kreitler (1980) auch unter dem Begriff der Kunstpsychologie subsumiert. Sie befasst sich seit ihren Anfängen mit den rezeptiven, reproduktiven und produktiven Äußerungsformen des künstlerischen Vorgangs, insoweit diese auf ein psychisches Korrelat der Empfindung oder des Gefühls, also auf die Organisierung von Bewusstseinsprozessen verweisen.
Seit der Zeit der Aufklärung wurde die menschliche Erfahrung als solche zunehmend verwissenschaftlicht. Kant unterschied einen sinnes-, verstandes- und einbildungskräftigen Aspekt an ihr. Nach welchen Regeln nehmen wir wahr und verstehen wir, nach welchen Regeln fällen wir Urteile, wenn wir Vorstellungen bildhafter, plastischer oder musikalischer Art in ihrer subjektiv-innersinnlichen Gefühlshaftigkeit einer jeweils objektiv-sinnlichen Wahrnehmung zuzuordnen, fragte er. Seit Kant lässt sich die Zusammenschau des sensualistischen Empfindens (Locke) und des intelligiblen Vorstellens (Leibniz) im ästhetisch-anschaulichen Wahrnehmungs- und Vorstellungsakt experimental-psychologisch verwenden. Die experimentell ausgerichtete psycho-physische Analyse des Erlebens fragt danach, wie ästhetisch wirkende physikalische Gegebenheiten und psychische Erfahrung korrelieren (Fechner 1871 / Ed. 1978).
Im Übergang von ästhetischer Theorie zur Psychologie steht ein Bewusstseinsverständnis, das den „ästhetischen Sinn“ (W. v. Humboldt) kunstpsychologisch und -didaktisch auszubilden auffordert: „Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung“ lautet eines der frühen Werke Herbarts (1804); „Psyche und Ästhetik“ (Dannecker 2006) ist der Titel eines Buches unserer Tage, das jenem Gesichtpunkt folgt.
1.2 Der kunstpädagogische und kunstdidaktische Ansatz
Dieser Ansatz der zunächst erzieherischen, dann ansatzweise therapeutischen Arbeit mit musisch-bildnerischen Mitteln ist seit den Zeiten der Aufklärung zu verzeichnen: Pestalozzi zitiert die Kunstkräfte des Kindes, Schiller tritt für eine ästhetische Erziehung ein, mittels derer sich der heranwachsende Mensch spielerisch-ganzheitlich zu organisieren habe. Das Kind soll schließlich „kunstgemäß“ im Prozess der Erziehung erregt werden (Fröbel), um über die Darbietung ästhetischer Gegenstände eine Veredelung seiner Gemütsbestimmungen und Geschmacksurteile zu erfahren (Herbart 1841 / 1850–52). In der Klassik werden die Vorstellungen, was menschliche Natur ist (Goethe) oder sein soll (Schiller), von idealen Vorstellungen geprägt. Sie geben ein Bild des Kindes vor, das in die humanistischen und dann neuhumanistischen Erziehungskonzepte beispielsweise von Carus und Niethammer eingeht. In der Geschichte der Erziehung, die die inneren Anschauungen wie die Verhaltensweisen des Kindes formen will, setzt sich dieses (neu-)humanistische Bild, wie ein Kind sein soll, durch. Ganz in diesem Sinne wird die Kunst-, genauer die Mal- und Zeichenpädagogik in Dienst gestellt.
Eine breit angelegte ästhetische Erziehung wird institutionalisiert: In der Zeit um 1800 orientieren sich Anmutungs-, Anstands- und Leibesübungen (Campe, Lenz, Jahn) in ästhetisch-moralischem Sinn an einer vorbildlichen Natur. Ästhetisch-didaktische Erziehung soll im Kunstunterricht nicht mehr von der Herstellung einer „peinlich genauen Kopie“ bestimmt sein (so der Kunsterzieher Grangedor (1868, 70), sondern die Bewegungen der Seele ausdrücken, so einer der berühmtesten Kunsterzieher des 19. Jahrhunderts, Viollet-le-Duc (1862, 526). Kunst-, Mal- und Zeichenpädagogik werden zum Erziehungs- und dann auch „notwendigen Heilmittel“ (Deinhardt / Georgens 1863, 363). Die Empfindungen, die Gefühle des heranwachsenden Kindes sollen zeichnerisch, malerisch sichtbar sein. Das Kind soll ein „Gefühl für die Übergänge des Seelischen“ (Ruskin zit. nach Oppé 1952, 170) in diesem Vorgang organisieren und seine „Erlebnisse … zu … wirksameren Formen der Darstellung“ erheben. Anschauung als „verkörpertes Gefühl“ (Erdmann 1851 / 1896, 332) lässt sich kunsterzieherisch erarbeiten und pädagogisch-moralisch einsetzen. Einfühlung und Nacherleben ästhetischer Zustände werden recherchiert (Lipps 1901) und als lenk- und richtbar erkannt (Schulze 1909): Die „Hingabe an ästhetisch wirkende Dinge“ erhält einen Stellenwert im Prozess der Erziehung (Lay, 1903 / Ed. 1910, 550f.) und soll die Zerrissenheitserfahrung des zu Bewusstsein gelangenden Bürgertums versöhnen.
1.3 Der ergotherapeutische Ansatz in der Psychiatrie
In den „Irren-“ und den sog. „Idiotenanstalten“, den Psychiatrien und Anstalten für geistig verwirrte Menschen ist seit dem frühen 19. Jahrhundert ein beschäftigungstherapeutischer Ansatz musisch-bildnerischer Einflussnahme zu vermerken: Nicht nur der psychiatrisch Erfasste ist davon betroffen: „Industriosität“, d. h. Arbeit- und Tugendsamkeit stehen auch auf dem gewöhnlichen Erziehungsplan des Heranwachsenden. Der philanthropische Tugendkatalog will den Funktionserfordernissen einer sich ausweitenden Manufaktur zur sog. großen Maschinerie angemessen sein. Der arbeitende Mensch wird zunehmend im Hinblick auf diese funktionellen Anforderungen bewertet. So auch in den Psychiatrien und sog. „Blödheits-“ und „Idiotenanstalten“ der Zeit.
Von Anfang an sind Arbeits-, Ergo-, Werk- und Beschäftigungstherapien auf die Funktionen von Körper und Geist bezogen und sollen das Arbeitsvermögen wiederherstellen. Die Geschichte dieser Therapieformen weist den künstlerischen Beschäftigungsformen hierbei ihren Platz: Die erste heilpädagogische Werkstätte von Deinhardt und Georgens (1979 / 1861), die Levana in Baden bei Wien, wie auch eine der ersten Schulen für Beschäftigungstherapie, die „School of Civics and Philanthropy“ (1908), suchen die Wiederherstellung ausgefallener Funktionen des arbeitenden Menschen mit künstlerisch-gestalterischen Mitteln zu erreichen. Und in den Psychiatrien der Wende zum 19. Jahrhundert wird das Funktionieren großgeschrieben.
In der Hallischen Psychiatrie erfährt dieses Funktionieren zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings eine bemerkenswerte Differenzierung. Hier macht man über die gewöhnlichen Fixierungen an Bett und Stuhl, die heißen Dauerbäder, die willkürlich herbeigeführten eitrigen Infektionen, die Isolierungsmaßnahmen, die Drehstuhl-Torturen u. a. m. hinaus eine neue Erfahrung: Zeichnen, Malen und Gestalten – bei dem Chefarzt Johann Christoph Reil (1803) werden sie unter die drei Gruppen von psychischen Heilmitteln gezählt. Und anders als der Tübinger Kollege Peter Josef Schneider (1824), der auch auf neue „Cur-Mittel“, auf eine neue Art von Beschäftigungstherapie aus ist, macht Reil eine Entdeckung: „Anfangs beschäftigt man bloß den Körper, nachher auch die Seele. Man schreitet von Handarbeiten zu Kunstarbeiten und von da zu