von der Hefe als Gärungsprodukt aus Zucker gebildet. Die Affinität zu alkoholischen Getränken ist kein menschlich-neuzeitliches Phänomen. Viele Tiere lassen für Alkohol alles stehen und liegen. Den finden sie in angegorenen Früchten oder Beeren, die in ihrem Magen oft munter weiter gären. Die Suchtkarriere flugunfähiger Vögel, randalierender Elche oder streitsüchtiger Paviane in den Weinbergen Südafrikas mag aus Versehen begonnen haben. Aber irgendwann kommt Vorsatz hinzu und die Tiere lernen teilweise schnell. Stare, Amseln oder Wacholderdrosseln bedienen sich hemmungslos und ohne einen Schaden zu erleiden an spätherbstlichen Weißdorn- und Rosenfrüchten, die einen ähnlichen Alkoholgehalt haben wie ein Pils. Hätte ein Star das Gewicht eines Menschen, könnte sein Enzymsystem alle acht Minuten eine Flasche Wein verarbeiten und würde ihn so vor Trunkenheit bewahren (Zittlau 2012). Sogar in unserer engeren Primatenverwandtschaft gibt es einen Vertreter, der seine Energie seit über 30 Millionen Jahren hauptsächlich von einem alkoholischen Getränk bezieht. Das nur 50 Gramm schwere Malaysische Federschwanz-Spitzhörnchen ernährt sich täglich von Palmnektar, der unter tropischen Bedingungen rasch in Gärung gerät. Auch sein Enzymsystem ist perfekt auf Alkoholabbau spezialisiert, die Evolution hat ihm eine bemerkenswerte Alkoholresistenz beschert (Wiens 2008, Findeklee 2008).
Es ist davon auszugehen, dass im Laufe von 2,4 Millionen Jahren menschlicher Entwicklung auch unsere Vorfahren mit Alkohol in Berührung gekommen sind und Gefallen an vergorenen Früchten gefunden haben. Mit seinem Satz: „Die Dosis macht das Gift.“ hat der Arzt Paracelsus von Hohenheim am Ausgang des Mittelalters und als Wegbereiter neuzeitlicher Medizin ein Drama des menschlichen Geistes treffend beschrieben: Was uns angenehm ist, von dem will unser Belohnungssystem immer mehr (Gassen 2008). Jeder muss seine Dosis kennen und wissen, ab wann diese kritisch werden kann. Der Wendepunkt beim Genuss von alkoholischen Getränken ist bei jedem Menschen anders gelagert, die Verteilungskurve des gesundheitlich Unbedenklichen ist sehr breit. Den Punkt zu überschreiten, birgt ein großes Risiko. Alkohol macht nicht zwingend süchtig, sondern ist „nur“ ein fakultatives Suchtmittel und gilt daher im streng wissenschaftlichen Sinne nicht als Droge. Drogen führen obligatorisch, also fast unweigerlich, zur Sucht. Im Falle von Alkohol ist die Wahrscheinlichkeit, davon süchtig zu werden, in Abhängigkeit von der Disposition geringer, der Prozess zieht sich über einen längeren Zeitraum und verläuft in mehreren eskalierenden Stufen. Unter Stress wirkt Alkohol als negativer Verstärker, er erleichtert eine unangenehme Situation. In normalen Situationen wird die Stimmung positiv verstärkt.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht unter normalen Bedingungen und auf Dauer 20 Gramm Ethanol pro Tag für Frauen und 30 Gramm für Männer als ungefährlich an, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) toleriert Werte von 12 bzw. 24 Gramm (BZgA 2013).
3.3.3 Stress, Depression, Burn-out
Unter Stress versteht man im Allgemeinen die Beanspruchung durch Belastungen, also objektive, von außen auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren. Sie können physikalischer Natur sein (z. B. Kälte, Hitze, Lärm oder starke Sonneneinstrahlung) oder aber von toxischen Substanzen (z. B. Rauch) ausgehen. Psychische Belastungen sowie eigene Einstellungen, Erwartungshaltungen und Befürchtungen wirken auf der emotionalen Ebene als Stressoren. Stress ist die Anpassung des Körpers an diese Stressoren bzw. seine Reaktion auf diese. Bei gefühlter oder tatsächlicher Gefahr sowie unter Psychodruck produziert er Stresshormone, die ihn leistungsfähiger machen. Er wird durch die Wirkung von Cortisol und Adrenalin optimal auf Kampf oder Flucht vorbereitet, die Gefäße weiten sich, der Puls steigt, überflüssige Körperfunktionen werden weitgehend stillgelegt. Derartige, automatisch ablaufende körperliche Reaktionen waren in der lebensfeindlichen Situation der Steinzeit für das Überleben notwendig. Auf einen als bedrohlich empfundenen Reiz konnte eine maximale Reaktion erfolgen. Bei der Flucht oder im Kampf wurden die Stresshormone wieder abgebaut.
Fehlende Abbaumöglichkeiten – was typisch für die heutige, bis ins Detail geregelte Welt ist – führen auf Dauer zu negativen körperlichen und psychischen Reaktionen. Wohl jeder, der als Schüler, Student oder im Beruf arbeitet, für das Familienmanagement zuständig ist oder Angehörige pflegt, kennt einzelne Symptome der Erschöpfung durch Stress. Schlafstörungen, Antriebsarmut, Konzentrationsschwäche oder Reizbarkeit sind die häufigsten. Sie verschwinden im Normalfall wieder, wenn sich die belastende Situation entspannt hat oder vielleicht im Urlaub eine Regeneration möglich war. Bleibt die Überbeanspruchung über einen längeren Zeitraum bestehen, verfestigt sich temporärer Stress, der unsere Fähigkeiten verbessert und erwünscht ist, im Dauerfeuer der Hormone – die er nicht mehr los wird – zu einer chronischen Belastung. Die Abwärtsspirale beginnt oft mit innerer Verkrampfung auf das vermeintlich nicht lösbare Problem. Schließlich sind alle Aktivitäten auf dieses Thema reduziert, soziale Kontakte verkümmern, Schuldgefühle ob der eigenen Unfähigkeit verfestigen sich. Zermürbende Grübelei und extreme Stimmungsschwankungen begleiten den Betroffenen, der letztlich apathisch und bei häufig gleichzeitiger innerer Unruhe kaum noch arbeitsfähig ist. Körperliche Reaktionen, wie ein geschwächtes Immunsystem, Tinnitus oder Herzrasen, sind meist weitere Begleiter, wenn Stress in eine Depression führt. Je nach individueller Situation sind die Symptome sehr unterschiedlich und werden häufig auch von Fachleuten nicht richtig eingeordnet.
Im letzten Jahrzehnt sind Fehlzeiten aufgrund der Diagnose von psychischen Störungen um 80 Prozent gestiegen, allein von 2009 auf 2010 um fast 14 Prozent. Statistisch gesehen war demnach jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland zwei Tage aufgrund einer psychischen Störung krankgeschrieben. Psychische Störungen sind bei den Fehlzeiten vor allem deshalb so auffällig, weil Krankschreibungen mit über 23 Tagen im Schnitt doppelt so lange dauern wie normale Erkrankungen. Das bedeutet für die Unternehmen enorme Produktionsausfälle, für die Krankenkassen hohe Kosten und für die Patienten meist eine wochen- oder monatelange Leidenszeit. Deshalb ist es wichtig, in der betrieblichen Prävention auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern, denn Stress am Arbeitsplatz lässt sich nicht vermeiden. Neue Medien, die Intensivierung der Arbeit sowie steigender Termin- und Leistungsdruck beeinträchtigen Kreativität und Leistungsfähigkeit und können zur Überforderung führen. Von Führungskräften und Beschäftigten wird zunehmend ein hohes Maß an Flexibilität und Innovationsbereitschaft verlangt (Techniker Krankenkasse 2011, Lebensmittel Zeitung 2012).
Depressionen machen aber auch vor jungen Menschen inner- und außerhalb von Hochschulen nicht Halt. Jeder zweite Deutsche, bei dem erstmals eine Depression festgestellt wird, ist unter 32. Über 23 000 Studierende haben im Jahr 2010 die psychologischen Beratungsstellen des Deutschen Studentenwerks besucht, die Zahl der Beratungen hat sich seit 2003 verdoppelt (Techniker Krankenkasse 2011). Vielfach wird inzwischen von Burn-out gesprochen, einem Leiden, das zu einer modernen Epidemie geworden ist. Die Medizin ist sich noch nicht schlüssig, ob Burn-out eine eigenständige Krankheit darstellt oder eher als eine schwerwiegende Form der Depression bzw. als Erschöpfungsdepression gesehen werden muss. Unabhängig von der Bezeichnung zeigt sich eindeutig, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz die Volkswirtschaft mit rund 50 Milliarden Euro jährlich durch Produktionsausfall und Behandlungskosten beeinträchtigen. Amerikanische Forscher vermuten, dass aufgrund von psychischen Erkrankungen rund 1,5 der täglichen 8 Arbeitsstunden nicht produktiv genutzt werden (Marquart 2011). In Deutschland gehen Experten davon aus, dass etwa 9 Millionen Menschen an Depressionen bzw. Burn-out leiden. Leistungsträger, die von sich selbst Perfektion verlangen, die funktionieren wollen, sind am häufigsten betroffen (Marquart 2011). Deren Arbeitswelt ist ihr Taktgeber, Kennzeichen sind Beschleunigung, Verdichtung, Komplexität, Globalisierung und ständige Erreichbarkeit. Regenerationsphasen werden geopfert, die genetisch einprogrammierte Postkutschengeschwindigkeit ist um eine bis zwei Zehnerpotenzen erhöht.
Dauerstress als Tor zur Depression trifft häufig die Leistungsfähigsten und Leistungsbereiten. Sie sind die gefragten Menschen, die irgendwann zu Gejagten werden und die fehlende Regeneration und ihre Erschöpfung oft durch noch mehr Arbeit zu kompensieren versuchen. Stress zu haben, wird sogar als Prestigequelle gesehen, irgendwann ist dann das Stadium einer Sucht erreicht. Schließlich werden aus Tätern Opfer, die mit Humor- und Übersichtsverlust oder Unberechenbarkeit bezahlen,