Jochen Hamatschek

Lebensmittelmanagement


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muss sich aber darüber im Klaren sein, dass sein Produkt auf den Menschen auch negativ wirken kann und es ihm in letzter Konsequenz – trotz guter Absicht – Schaden zufügt. Dem „Selbstmord mit Messer und Gabel“ kann niemand unbeteiligt zuschauen. Ein Manager der Lebensmittelbranche hat sich dieses Dilemmas bewusst zu sein und es gehört zu seiner Aufgabe, sich mit den zugrunde liegenden ernährungswissenschaftlichen und biologischen Aspekten auseinanderzusetzen. Dies ist Teil seiner ethischen Verantwortung, aber auch seiner beruflichen Verpflichtung, um inhaltliche Kontroversen mit einschlägigen Gruppierungen führen zu können. Im Folgenden werden einige grundlegende Aspekte der Nahrungsaufnahme und ihrer Umwandlung beschrieben, die im Kontext des Körpergewichts eine Rolle spielen. Die menschliche Ernährung ist dabei immer als Teil der gesamten Lebenssituation zu sehen. Genetik, Psyche, Umfeld oder Aktivitätsmuster überlagern die Wirkung einer reinen Kalorienaufnahme und können sie positiv oder negativ beeinflussen.

      3.2 Energiegewinnung aus der Nahrung

      Wie jedes technische System, das Arbeit verrichtet, muss auch der Mensch Kraftstoff aufnehmen. Von effizienten Maschinen unterscheidet ihn die Tatsache, dass er auch im Stand-by-Modus eine große Energiemenge benötigt. So verbraucht er bereits viel Kraftsoff, um in völliger Ruhe lediglich die Körperfunktionen Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel aufrechtzuerhalten. Der dazu nötige Energiebedarf wird Grundumsatz genannt und ist eine individuelle Größe. Bei größeren Menschen ist der Wert höher als bei kleinen, ebenso bei schwereren. Viel Muskulatur verlangt bereits in Ruheposition mehr Energie, Stresssituationen ebenso, zudem besitzen Männer einen höheren Grundumsatz als Frauen. In der Wachstumsphase wird für den Aufbau von Körperstrukturen zusätzlich Energie benötigt, gleichzeitig ist in dieser Phase der Wirkungsgrad der Stoffumwandlung schlecht. Der Körper vergeudet Energie für die Wärmeproduktion, Jugendliche neigen stärker zum Schwitzen und frieren dafür weniger. Ein vergleichsweise schlechter Wirkungsgrad wird als Grund dafür angesehen, dass einzelne Menschen scheinbar unbegrenzt essen können, ohne zuzunehmen. Der Grundumsatz eines Menschen ist keine Konstante, sondern eine von zahlreichen Parametern (u. a. körperliche und psychische Faktoren) abhängige Variable. Am stärksten macht sich das während und nach einer freiwilligen oder erzwungenen Hungerphase bemerkbar: Registrieren die zahlreichen Sensoren im Organismus eine mehr als kurzfristige Energieunterversorgung, reagiert das Gehirn mit Anpassungen, die dem Menschen über die 2,4 Millionen Jahre seiner Entwicklung bei Hungersnöten das Überleben erleichtert haben. Der Wirkungsgrad der Stoffumwandlung steigt, es wird weniger Wärme produziert und die Aktivität nicht lebenswichtiger Körperfunktionen gedrosselt. Der Grundumsatz sinkt, im Extremfall auf die Hälfte des normalen Wertes (z. B. von 1 400 auf 700 Kilokalorien bei einem durchschnittlichen Mann). Und er wird erst lange Zeit später wieder richtig hochgefahren, wenn die Hungerphase unter Umständen schon Monate vorüber ist. Diese flexible Anpassung des Stoffwechsels auf prekäre Ernährungszustände erschwert die Gewichtsabnahme bei Diäten und begünstigt hinterher den sogenannten Jo-Jo-Effekt.

      Abb. 3.1 Energieverbrauch und Energieumwandlung des menschlichen Körpers

      Wird darüber hinaus Arbeit verrichtet, wie Rad fahren, Treppen steigen, Sand schaufeln, laufen bzw. generell Muskelarbeit aber auch geistige Tätigkeiten, ist über den Grundumsatz hinausgehende Energie nötig: der Leistungszuwachs. Diese Größe ist eine Funktion der verrichteten Arbeit. Benötigt der durchschnittliche Mensch am Tag zusätzlich 1 000 Kilokalorien, muss der Körper von Tour de France-Fahrern bis zu 7 000 und von Marathonläufern etwa 3 000 Kilokalorien extra bereitstellen.

      Für sein sich selbst erhaltendes System aus Grundumsatz und Leistungszuwachs muss der Mensch über eine Fülle von Makro- und Mikronährstoffen verfügen, die er zuvor durch die Nahrung aufgenommen hat. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von Maschinen, die mit Strom oder Benzin allein auskommen. Neben den im hohen Grammbereich erforderlichen Grundbausteinen der Ernährung, Kohlenhydrate (4,3 kcal Energieinhalt/Gramm), Proteine (4,3 kcal/Gramm) und Fette (9,3 kcal/Gramm), müssen zahlreiche, essenziell genannte Mikronährstoffe im niedrigen Gramm- oder Milligrammbereich zugeführt werden. Dazu gehören einige Fettsäuren, Mineralstoffe (z. B. Magnesium, Natrium, Kalzium), einige Vitamine und neun Aminosäuren als Baustein für die vielen Hundert Proteine. Insgesamt ist der menschliche Organismus auf rund 47 Substanzen angewiesen, die er mit der Nahrung zugeführt bekommen muss. Defizite bei einzelnen Verbindungen führen zu körperlichen Beeinträchtigungen und können langfristig zu ernsthaften Problemen bis hin zum Tode führen. Die bekannteste Mangelkrankheit dürfte Skorbut als Folge einer Vitamin C-Unterversorgung sein, häufiger ist jedoch der nächtliche Muskelkrampf bei einem Magnesiumdefizit. Zum Glück verfügt der menschliche Körper über Speichersysteme für praktisch alle lebensnotwendigen Bausteine und kann dadurch Mängel in der Ernährung eine bestimmte Zeit überbrücken. Diese Pufferwirkung ist letztlich der Grund dafür, dass unter normalen Umständen Mischkost ausreicht und Nahrungsergänzungsmittel überflüssig sind. Anders sieht es beispielsweise bei Leistungssportlern oder Schwangeren aus, die einen erhöhten Bedarf an Mikronährstoffen haben. Aber auch Vegetarier müssen auf eine ausreichende Versorgung achten. Bei diesen sollte der Status der essenziellen Nährstoffe durch Blutuntersuchungen regelmäßig überprüft werden. Abbildung 3.1 fasst das bisher Gesagte zum Energieverbrauch und zur Energieumwandlung des menschlichen Körpers zusammen.

      Um Leistung erbringen zu können, ist der Körper auf die Energie der Fette, Proteine und Kohlenhydrate angewiesen, die er in Form von Fleisch, Wurst, Käse, Gemüse oder Obst zu sich nimmt. Er muss sie aber in eine für den Körper verwertbare Form umwandeln können. Bereits im Mund beginnt er, die Lebensmittel zu zerkleinern und chemisch abzubauen.

      Merksatz

      Verdauung ist letztendlich der Aufschluss komplexer Lebensmittel in ihre chemischen Grundbausteine.

      Bei Kohlenhydraten sind die Grundbausteine Einfachzucker wie Glukose, Fruktose oder Galaktose. Proteine hingegen bestehen aus 20 verschiedenen Aminosäuren und Fette aus Glyzerin, jeweils mit drei Fettsäuren chemisch verbunden. Nur die Monomere, d. h. vergleichsweise kleine Moleküle, kann der Körper verwerten und aus den Verdauungsorganen ins Blut und über den Blutkreislauf zu den nachfragenden Organen bringen. Ballaststoffe, wie nicht geschroteter Leinsamen oder ganze Sonnenblumenkerne, sind weitgehend unverdaulich und verlassen den Darm nahezu unverändert. Sie können nur zu einem kleinen Teil aufgespalten werden, weil weder der menschliche Körper noch seine Darmbakterien dafür über die notwendigen Enzyme verfügen. Die Fähigkeit, Gras oder Blätter, d. h. Zellulose, wie ein Rind verwerten zu können, ist dem Menschen im Laufe der Evolution abhandengekommen. Lediglich der Blinddarm zeugt von dieser einstigen Fähigkeit. Im Magen-Darm-Trakt spielen sich dramatische Abbauvorgänge ab. Dazu benutzt der Körper Enzyme, die seinen gewaltigen Bioreaktor am Laufen halten. Seit einigen Jahren weiß die Wissenschaft, dass ihn dabei unzählige Darmbakterien quasi als Fremdarbeiter unterstützen. Man geht inzwischen von rund 600 verschiedenen Arten von Mikroorganismen aus, die mit ihrem Enzymsystem die Aufspaltung von Makromolekülen erledigen und nebenbei zahlreiche Nährstoffe synthetisieren. Die Arten und deren prozentuale Verteilung sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Die Forschung arbeitet an bakteriologischen Fingerprints analog zu Fingerabdrücken, um Medikamente spezifischer einsetzen zu können. Die Konzentration der Bakterien nimmt zum Dickdarm hin zu, bis sie dort eine Konzentration von über 100 Billionen Keime je Gramm Darminhalt erreichen. Das ist die höchste derzeit bekannte Konzentration an Lebewesen. Ohne das Wirken dieser Bakterien wären für den Menschen noch viel mehr als die erwähnten 47 Substanzen essenziell.

      Abb. 3.2 Der Weg eines komplexen Lebensmittels durch den Verdauungstrakt des Menschen

      Abbildung 3.2 stellt den mechanisch-chemisch-biochemischen Prozess der Nahrungsmittelzerkleinerung und Aufspaltung in „blutbahngerechte“ Monomere im Zusammenhang dar. Nach dem enzymatischen Abbau der verzehrten Eiweiße werden deren Aminosäure-Bausteine über die Blutbahnen in die Körperzellen transportiert, wo sie zur Synthese von Gerüst-