Thomas Bieger

Tourismuslehre - Ein Grundriss


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der Hauptkundengruppe, des Adels, nachgebildet. Die Hotels selbst respektive ihre Gesellschaftsräume waren Bühnen für den Auftritt der Noblesse der Zeit. Da die Schweiz von den beiden Weltkriegen nicht versehrt wurde, bestehen noch viele Zeugnisse der Belle Epoque. Beispiele dafür sind das Hotel Schweizerhof in Luzern oder das Hotel Giesbach am Brienzersee. Diese Hotels wurden mit großem Aufwand renoviert |46◄ ►47| und werden heute als moderne Hotels im Vier- und Fünf-Stern-Bereich weitergeführt.

      Zur Unterhaltung des Adels und auch des Wohlstands-Bürgertums wurde einiges unternommen, da die Aufenthaltszeit dieser Gäste oft auch mehrere Monate betrug. So sprechen Zeugnisse beispielsweise davon, dass im Hotel Maloja im Engadin regelmäßige venezianische Nächte durchgeführt wurden, für die jeweils der Hauptspeisesaal geflutet wurde (vgl. Bener/Schmid 1983). Natursehenswürdigkeiten wie Wasserfälle wurden bengalisch illuminiert. Die Gäste aßen auf Booten und wurden ebenfalls von auf Booten vorbeifahrenden Kellnern bedient. Je nach Jahreszeit hielt sich diese internationale Schicht aus „heimatlosem“ Adel und neureichem Bürgertum jeweils für längere Zeit an der französischen oder italienischen Riviera (im Winter), in den Thermalbädern und Großhotels der Alpenrandseen (im Sommer) und auf ausgedehnten Bildungsreisen nach Nordafrika, Ägypten oder Griechenland auf.

      Mit den Veränderungen in Gesellschaft und Umwelt in Form von sozialen Unterschieden, Armut, größeren Städten oder Umweltzerstörung durch Industriegebiete, verklärte sich das Freizeitbewusstsein. Die geistigen Wurzeln des Tourismus- und Freizeitbildes liegen in der englischen und deutschen Romantik. Idealbild im Sinne einer Imagination war das Bild einer zivilisationsfernen Natur, zeitliche Bilder der Geschichte, die zu Denkmälern oder Folklore erstarrt sind. Solche Leitbilder des Tourismus sind heute noch für verschiedene Tourismusformen wirksam (vgl. auch Enzenberger 1964).

      Organisatorisch „industrialisiert“ wurde der Tourismus mit der Erfindung der Pauschalreisen. So entstanden in Deutschland die ersten Reisebüros ab 1886, in England gründete Thomas Cook bereits 1841 sein erstes Reisebüro.

      TOURISMUS WÄHREND UND NACH DEM 1. WELTKRIEG

      Während dem ersten Weltkrieg kam der internationale Tourismus praktisch vollständig zum Erliegen. Zahlreiche Infrastrukturen, z. B. Luftseilbahnen oder Hotels, erlitten Konkurs und wurden definitiv aufgegeben. Einzig in der Schweiz erhielt sich eine Art Langzeitaufenthalts-Tourismus in Form heimatloser Adeliger und internierter Offiziere.

      In der Zwischenkriegszeit verstärkte sich durch die Umverteilung des Einkommens die breite Mittelschicht. Diese Bevölkerungsschichten unternahmen jedoch oft nur kürzere Reisen. Damit ging es Jahre, bis die großen Zentren in den Alpen wieder auf die Logiernächtezahl der Vorkriegszeit kamen. So wurde beispielsweise die im Rekordjahr 1910 erreichte Zahl der Hotellogiernächte erst wieder 1957 überschritten. In den Zwischenkriegsjahren entstand gleichzeitig auch ein neues Tourismusphänomen, der aktive Sporttourismus. Im |47◄ ►48| Sommer stand Golf, Tennis und auch Wassersport im Vordergrund. Nachdem 1863 der alpine Wintersporttourismus durch eine Wette von einem Hotelier in St. Moritz lanciert wurde, entwickelte sich aus dem ursprünglichen Schlittel-und Eislauftourismus immer mehr der Skitourismus. Für diesen entstanden in den Zwischenkriegsjahren die ersten Infrastrukturen, beispielsweise die 1932/33 erbaute Parsenn-Bahn in Davos.

      TOURISMUS WÄHREND UND NACH DEM 2. WELTKRIEG

      In praktisch allen Ländern kam während dem zweiten Weltkrieg, mit Ausnahme des „Militärtourismus“ und eines geringen Handelstourismus, das Reisen praktisch vollständig zum Erliegen. In der vom Krieg verschonten Schweiz entwickelten sich jedoch neue Formen des Tourismus in Form des Ausflugstourismus. Mit zum Teil verbilligten Tickets wurden der Bevölkerung, die nun im Vergleich zum ersten Weltkrieg über den Erwerbsersatz trotz Militärdienstpflicht der Männer durch ein bescheidenes Einkommen verfügte, Reiseangebote unterbreitet.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der in der Vorkriegszeit entstandene Sporttourismus weiter. Im alpinen Raum wurde der Wintersport zu einem eigentlichen Motor der Entwicklung neuer Regionen und Orte. Im internationalen Tourismus führte der Ausbau des Flugverkehrs, vor allem auch des Charter-Luftverkehrs, zur Entwicklung des Badetourismus und zu ersten Ansätzen eines internationalen Sightseeing-Tourismus. Die traditionellen Tourismusländer im Einzugsgebiet der westlichen Industriestaaten erlebten in dieser Zeit eine eigentliche Boomphase, die durch die Elemente Motorisierung, Verstädterung (und damit verbunden mit Flucht aus dem eigenen Wohnumfeld) und Zunahme des Wohlstandes (vgl. auch Beratende Kommission für Fremdenverkehr 1979 und Krippendorf 1984) geprägt war.

      GLOBALISIERUNG UND TOURISMUS

      Ab ca. 1980 entwickelte sich die vorderhand letzte Phase des internationalen Tourismus, die Globalisierung. Treiber der Entwicklung waren auf der Angebotsseite der Ausbau des internationalen Flugverkehrs. Nicht zuletzt dank dem Aufkommen zweistrahliger Großraum-Langstrecken-Jets seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts verbilligte sich der Flugverkehr massiv. Während in den Nachkriegsjahren im Ferntourismus der Charter-Flugverkehr dominierte, können jetzt Touristen von immer günstigeren Apex- und Superapex-Tarifen (APEX als Abkürzung für Advanced Purchased Excursion Fare) der Linienfluggesellschaften als Individualtouristen profitieren. Internationale Hotelketten sorgen weltweit für berechenbare Qualitäten im Unterkunftsbereich.|48◄ ►49| Flüge und Hotels können dank internationaler Reservationssysteme (GDS - Global Distribution Systems) maßgeschneidert und individuell gebucht werden. Neue Destinationsformen wie Themenparks, Kreuzfahrtschiffe oder einheitlich geführte Resorts, z.B. nordamerikanische Skiorte oder asiatische Badeferieninseln, sorgen für eine durchgehende Dienstleistungsqualität aus einer Hand. Der interkontinentale Sightseeing-Tourismus, der Kulturtourismus aber auch der Kurzerlebnistourismus mit seinen Risikosportarten nahmen zu.

      Enzensberger charakterisiert den Fortschritt des Tourismus mit den drei Kategorien Normierung, Montage und Serienfertigung. Mit dem im Jahre 1836 von John Murray veröffentlichten ersten „red book“ entstand das erste Reisebuch, das die Grundelemente jeder Reise, die „Site“ normiert und ihrem Wert nach in eine, zwei oder drei Sterne unterteilt (vgl. Enzensberger 1964, 13). Die Bilder, die mit der Reise verkauft werden, sind „montierte“ Bilder. Sehenswürdigkeiten werden eingepackt in Bilder der Ferne, der Romantik, Natur und Geschichte. Reiseplakate, Reiseprospekte werden entsprechend vielfach mit konstruierten oder gestellten Bildern geschmückt. Die normierte und mutierte Welt wird schließlich serienmäßig durch moderne Reisemittler an Gruppen oder modulartig an Individuen verkauft. Diese Charakterisierung der Entwicklung des Tourismus dürfte auch im Zeitalter der Globalisierung noch relevant sein.

      Die laufende Veränderung der Bedürfnisse und Treiber der Nachfrage führte die einzelnen Tourismusorte zu einem Zwang, sich immer wieder zu restrukturieren und neu auszurichten. Das Beispiel von St. Moritz zeigt schön den Übergang von einem traditionellen Badeort über ein Hauptort der Belle Epoque zu einem Sommersportort bis zum modernen Wintersportort und internationalen Rundreiseziel.

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      2.4. Forschungsfall: Tourismus-Satellitenkonto – Impact Messung am Beispiel Österreich (E. Smeral)1

      2.4.1. TSA – Einführender Überblick

      Die Bedeutung des Tourismussektors als wirtschaftliches und soziales Phänomen ist in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich gewachsen. In Bezug auf die Einschätzung der Grössenordnung lagen jedoch im Hinblick auf die monetär-wirtschaftliche Komponente nur unzureichende Informationen vor, da sich die Statistik zum überwiegenden Teil nur auf wenige quantitative Indikatoren wie Ankünfte, Übernachtungen, Anzahl der Reisen oder Daten aus der Leistungsbilanz (Tourismusexporte und -importe) konzentrierte. Weiter waren die tourismusrelevanten Informationen nur innerhalb bestimmter makroökonomischer Aggregate (z.B. privater und öffentlicher Konsum) aufzufinden. Dementsprechend erhielt die Öffentlichkeit nur ein unzulängliches Bild von der Bedeutung des Tourismus und dessen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft.

      2.4.2. Konzept

      Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Größe des Tourismussektors liegen primär darin, dass