Caterina Gawrilow

Lehrbuch ADHS


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von ADHS bei amerikanischen und nicht-amerikanischen Kindern gleich hoch ist. ADHS ist also keine typisch amerikanische Störung.

      Zudem zeigte die Auswertung, dass die Auftretensraten der ADHS am höchsten sind, wenn zur Diagnose DSM-IV- im Vergleich zu ICD-10-Kriterien angelegt werden. Dieser Unterschied rührt daher, dass die ICD strenge Vorgaben darüber macht, ob ein Kind Symptome in allen drei Dimensionen (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität), davon einige zu Hause als auch in der Schule zeigen muss. Die ICD schließt zudem Kinder mit komorbiden Störungen aus. Das DSM hingegen ist offener: Es ist möglich, Kinder mit ADHS zu diagnostizieren, die nur Auffälligkeiten in einem Bereich zeigen (z. B. nur Unaufmerksamkeit) und an weiteren Störungen leiden.

      Auch in anderen, aktuellen Untersuchungen konnte bestätigt werden, dass ADHS kein Nebenprodukt der amerikanischen Kultur ist. In einer weiteren Metaanalyse, die durch Polanczyk und Rohde (2007) durchgeführt wurde, zeigte sich das folgende Bild: Die Auftretenswahrscheinlichkeit der ADHS in Nordamerika übersteigt mit 6,2 % nur knapp die Rate, die in europäischen Ländern gefunden wurde (4,6 %). Die höchsten Raten finden diese Autoren übrigens in Afrika (8,5 %) und Südamerika (11,8 %). Zusammenfassende Analysen einer ADHS-Skala, die in 21 Ländern verwendet wurde, zeigten, dass japanische und finnische Kinder die niedrigsten Werte, jamaikanische und thailändische Kinder die höchsten Werte erzielen und amerikanische Kinder im Mittelfeld liegen.

      Methodische Unterschiede

      Auch diese Analyse unterstreicht, dass die Auftretensunterschiede für ADHS in Nordamerika vs. Europa auf methodische Unterschiede zurückzuführen sind: Alle amerikanischen Forscher legten in ihren Studien die offeneren DSM-Kriterien an; die meisten europäischen Wissenschaftler jedoch die strengeren ICD-Kriterien. Die Autoren dieser Analyse führen die Abweichungen der ADHS-Prävalenz in verschiedenen Ländern zum Großteil auf diese methodischen Unterschiede zurück.

      Letztlich werden jedoch Studien benötigt, welche die Prävalenz der ADHS direkt in verschiedenen Ländern miteinander vergleichen. Nur wenige Studien tun dies; diese wenigen Ergebnisse sind zudem äußerst heterogen. Es gibt vielfältige Gründe für die Probleme bei der kulturvergleichenden Erfassung des Auftretens der ADHS:

      1. Konfundierung: Häufig sind die Ergebnisse mit spezifischen Aspekten der jeweiligen Kultur, in welcher Untersuchungen durchgeführt wurden, konfundiert, d. h. vermischt. Z. B. wurde in einer Studie die Prävalenz der ADHS bei Kindern, die während der Atomkatastrophe in einem 30 km-Radius um Tschernobyl lebten, im Anschluss nach Kiew evakuiert wurden und nach 10 Jahren immer noch in Kiew lebten, mit der Prävalenz amerikanischer, gleichaltriger Kinder verglichen (Gadow et al. 2000). Diese Studie zeigte eine höhere Auftretensrate der ADHS bei den ukrainischen (19,8 %) im Vergleich zu den amerikanischen Kindern (9,7 %) – jedoch kann nicht geklärt werden, ob diese erhöhte Auftretensrate von Umwelteinflüssen, die nach der Atomkatastrophe eingetreten sind, oder durch die Tatsache, dass alle Kinder der ukrainischen Stichprobe nach Kiew umziehen mussten, verursacht worden ist. Das Ergebnis, dass ukrainische Kinder häufiger an ADHS leiden, ist also konfundiert bzw. vermischt mit den Faktoren, die in den Umwelt- und Lebensbedingungen der ukrainischen Kinder liegen und bei der amerikanischen Vergleichsgruppe nicht aufgetreten sind.

      2. Methodenvielfalt: Immer häufiger wurde also in den letzten Jahren versucht, über Meta-Analysen die Prävalenz der ADHS im Ländervergleich zu charakterisieren. Problematisch ist jedoch, dass in den meisten Fällen in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Diagnosemethoden eingesetzt werden. Somit haben wir wiederum mit dem Problem der Kultur-Konfundierung zu kämpfen, gleichzeitig offenbart sich hier noch eine weitere Schwierigkeit: Können wir tatsächlich über dasselbe Störungsbild sprechen, wenn wir verschiedene Methoden zur Erfassung und verschiedene Diagnosesysteme verwenden? Anders gefragt: Ist die in verschiedenen Ländern diagnostizierte ADHS tatsächlich auf dasselbe Störungsbild zurückzuführen? Weitere empirische Forschung der nächsten Jahre wird sicher einen genaueren Einblick in diese Problematik bringen.

      Aus verschiedenen Gründen erscheint die Erforschung der weltweiten Prävalenz von ADHS wesentlich:

      Umweltunabhängigkeit

      Dass ADHS anscheinend laut aktueller Forschungsergebnisse weltweit auftritt, spricht dafür, dass es eine Störung ist, die nicht allein durch die Umwelt ausgelöst wird. Eine Veränderung unserer Gesellschaft wird also nicht bewirken können, dass es dann keine ADHS-Kinder mehr gibt. ADHS tritt unabhängig davon auf, ob ein Kind in der westlich-amerikanischen oder europäischen Kultur aufwächst.

      Umweltabhängigkeit

      Dass es jedoch geringfügige Unterschiede zwischen der Diagnosehäufigkeit der ADHS in verschiedenen Ländern und Kulturen gibt, scheint dafür zu sprechen, dass vor allem für Kinder, die Symptome am Schwellenbereich für eine klinische oder subklinische Störung aufweisen, die ADHS-Diagnose in Abhängigkeit des Landes, in dem sie aufgewachsen sind, gestellt wird.

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      ADHS ist keine typische amerikanische Störung. ADHS tritt in allen Kulturen auf. Geringere Unterschiede der Prävalenzen in verschiedenen Ländern sind vermutlich auf methodische Unterschiede zurückzuführen – genauere, weitere Studien sind jedoch unabdingbar.

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      Weitere Informationen zu den KiGGS-Studien: https://www.kiggs-studie.de

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      Vertiefungsfragen

      13. Ist ADHS eine typisch amerikanische Störung?

      14. Warum ist die Frage nach der weltweiten Auftretenswahrscheinlichkeit von ADHS von Bedeutung?

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