Caterina Gawrilow

Lehrbuch ADHS


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Angststörungen,

      images Tic-Störungen,

      images Teilleistungsstörungen (z. B. Legasthenie, Dyskalkulie),

      images Schlafstörungen.

      Was ist eigentlich Aufmerksamkeit und was sind Aufmerksamkeitsdefizite?

      Die ADHS ist unter anderem eine Störung der Aufmerksamkeit – doch was ist Aufmerksamkeit eigentlich und haben nicht alle Menschen hin und wieder Schwierigkeiten ihre Konzentration und Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg (und sei es nur über die Dauer einer Vorlesung oder eines Vortrages) aufrecht zu erhalten?

      “Everyone knows what attention is”, stellte William James (1890, 403) fest. In der weiterführenden Definition legte James Aspekte der Aufmerksamkeit dar, die noch heute in gängigen psychologischen Definitionen dieses Konstrukts eine große Rolle spielen: Aufmerksamkeit dient der Auswahl bzw. Selektion bestimmter Informationen mit dem Ziel, uns diese Informationen zugänglich zu machen. Dabei werden andere, interferierende Informationen ignoriert – die ausgewählten Informationen dienen uns als Grundlage für weitere Handlungen. Als Beispiel zur Erläuterung dieser Selektion und Handlungsrelevanz als Hauptfunktionen der Aufmerksamkeit wird häufig das Cocktailparty-Phänomen herangezogen: Stellen Sie sich vor, Sie besuchen eine Cocktailparty. Wie bei solchen Partys üblich, sammeln sich Grüppchen von Besuchern an Tischen, im Raum, an der Bar und in jeder dieser Grüppchen findet eine Unterhaltung statt. Vermutlich läuft auch noch Musik, d. h. die Geräuschkulisse ist äußerst komplex. Mit großer Sicherheit werden Sie sich hauptsächlich auf die Gespräche in Ihrer Gruppe konzentrieren, um dem Gesprächsfaden folgen zu können. Erwähnt nun aber jemand in einer der anderen Grüppchen Ihren Namen, werden Sie (vorausgesetzt Sie können dies akustisch wahrnehmen) Ihre Aufmerksamkeit in den nächsten Minuten wahrscheinlich komplett zu dieser Gruppe richten, um zu erfahren, was dort über Sie gesprochen wird. Das nennt man das Cocktailparty-Phänomen, welches eindrücklich beschreibt, wie selektive Aufmerksamkeit funktioniert.

      Aufmerksamkeit hat also die Funktion, Informationen auszuwählen, die dann handlungsrelevant werden – Sie hören Ihren Namen (wählen also diese Information aus) und entscheiden sich im Anschluss, nicht mehr dem Gespräch in Ihrer Gruppe, sondern dem Gespräch im Nachbargrüppchen zu folgen.

      Dieser Prozess kann bewusst oder unbewusst ablaufen und hat bei allen Menschen begrenzte Kapazitäten. Vermutlich ist diese Schwelle, bis zu welcher aus Informationen die richtigen selektiert werden, die zum Handeln führen, bei Patienten mit ADHS geringer. Dies spiegelt sich auch in den Erkenntnissen zu exekutiven Funktionen und der ADHS wider (→ Kapitel 8). ADHS-Betroffene zeigen zum Beispiel große Defizite in Aufgaben der Erfassung von Reaktionshemmung. Sie haben also Schwierigkeiten damit, auf bestimmte Reize zu reagieren, aber die Reaktion auf andere Reize willentlich zu unterdrücken. Diese Aufgaben dienen zur Erfassung der Aufmerksamkeit, da auch hier die Anforderung besteht, relevante Informationen von nicht relevanten Informationen zu unterscheiden und die relevanten Informationen für die folgende Handlung zu nutzen. Auch Menschen ohne ADHS können Schwierigkeiten mit solchen Aufgaben haben, zum Beispiel dann, wenn sie unausgeschlafen und müde sind, gerade eine starke kognitive Belastung hinter sich haben (z. B. gerade eine anstrengende Klausur geschrieben haben) oder kein Interesse mehr an der Aufgabe haben, weil diese zu lange dauert.

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      Aufmerksamkeit ist generell eine begrenzte Ressource – Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS können schlechter als andere Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf diese Ressource zurückgreifen.

      Bei der Diagnosestellung der ADHS wird gefordert, dass die Störung „in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenem Ausmaß“ vorhanden ist. Dies macht die Beurteilung durch einen Diagnostiker natürlich schwierig, weil einerseits nicht nur das Verhalten des Kindes an sich, sondern auch der Kontext dieser Verhaltensweisen erfasst und beobachtet werden muss. Dies bedeutet somit auch, dass in der Diagnostik ganz genau untersucht werden sollte, ob die störenden Verhaltensweisen, die das Kind zeigt, tatsächlich abweichend von einer alterstypischen Entwicklung sind.

      Vor dem Eintritt in die Grundschule ist es aus diesem Grund besonders schwierig, eine ADHS-Diagnose zu stellen: Mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit können die störenden Verhaltensweisen mit dem Eintritt in die Grundschule, welcher in den meisten Ländern mit einem Alter von fünf bis sechs Jahren passiert, verschwinden. Jedoch sollten Kinder, die im Vorschulalter bereits sehr große ADHS-typische Schwierigkeiten zeigen, so früh wie möglich therapeutisch unterstützt werden. Dieses Dilemma – auf der einen Seite kann die ADHS im Vorschulalter eine alterstypische Reifung darstellen, die einfaches Abwarten erfordert und auf der anderen Seite sollten Kinder mit ADHS möglichst früh behandelt werden – kann nur durch eine umfangreiche und ausführliche Diagnostik aufgelöst werden (→ Kapitel 11). Im Rahmen dieser Diagnostik sollte das Verhalten des betroffenen Kindes mit dem Verhalten anderer Kinder in seiner Kindergartengruppe verglichen werden.

      Aktuelle Analysen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, eine ADHS-Diagnose zu erhalten, vom relativen Lebensalter der Kinder abhängt. In umfassenden Analysen von Daten zur Einschulung, zum Alter und zu einer möglichen ADHS-Diagnose von Kindern wurde festgestellt, dass die Kinder, die in ihrer jeweiligen Klasse die jüngeren Kinder sind, eine größere Wahrscheinlichkeit haben, ADHS diagnostiziert zu bekommen. Dies bedeutet also, dass Kinder, deren Lebensalter jünger ist als das ihrer Klassenkameraden, in diesem Gefüge stärker dahingehend mit Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität auffallen, dass sie letztlich eine diagnostische Untersuchung erhalten, welche die Diagnose ADHS bestätigt. Eine Analyse gibt Hinweise darauf, dass dies auf Initiative der jeweiligen Lehrer und nicht der Eltern geschieht. Wichtig ist jedoch, dass dieses Phänomen in den ersten drei Grundschuljahren am stärksten zu beobachten ist. Danach verschwindet der Einfluss des relativen Lebensalters auf die ADHS-Diagnose, was bedeutet, dass es nach dieser Zeit eher irrelevant ist, ob ein Schüler im Vergleich zu den anderen in der Schulklasse relativ jünger ist.

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      Studien zur Bedeutung des relativen Lebensalters auf ADHS- Diagnose

      In den letzten Jahren haben sich vor allem Wirtschaftswissenschaftler mit der Frage des Einflusses des relativen Lebensalters von Kindern auf das Erstellen einer ADHS-Diagnose beschäftigt. Zwei beispielhafte Studien sollen hier berichtet werden. Die Studie von Elder (2010) bedient sich den Daten einer großen Paneluntersuchung. In der Early Childhood Longitudinal Study-Kindergarten Cohort (ECLS-K) des National Center for Education Statistics der USA wurden Eltern- und Lehrerratings zu ADHS-Symptomen, ADHS-Diagnosen und ADHS-Therapien mit MPH erhoben. In die Befragung wurden zu Beginn 18.644 Kindergartenkinder aus über 1.000 Kindergärten im letzten Jahr vor der Einschulung einbezogen. Die erste Befragung fand im Herbst des letzten Kindergartenjahres 1998–1999 statt; im Frühjahr 1999, im Herbst und Frühjahr des Schuljahres 1999–2000 (die meisten Kinder waren in der 1. Klasse), im Frühjahr 2002 (3. Klasse), 2004 (5. Klasse) und 2007 (8. Klasse) fanden weitere Befragungen statt. Zu jedem Zeitpunkt wurden Daten von den Kindern, Eltern und Lehrern erfasst. In dieser Studie wurde festgestellt, dass das relative Lebensalter von Kindern einen starken Einfluss darauf hat, ob Lehrer bei diesen Kindern ADHS-Symptome wahrnehmen oder nicht. Konkret bedeutet dies: Bei Kindern, die im Vergleich zu ihren Klassenkameraden jünger sind (also in einem jüngeren Alter eingeschult worden sind als die anderen Kinder in der Schulklasse) wird von den Lehrern häufiger als bei anderen Kindern ADHS-Verhalten festgestellt. Diesen Effekt gibt es nicht bezüglich der Elternratings: Die Einschätzung des ADHS-Verhaltens durch die