hält ihn prinzipiell für geeignet, ein Gymnasium zu besuchen; viele seiner weiteren Lehrer haben jedoch Bedenken, ob er den Gymnasialstoff bewältigen kann: Aus ihrer Sicht scheint Tom kognitiv nicht in der Lage dafür zu sein. Die Eltern sind ratlos und wenden sich an einen Schulpsychologen, der eine Gymnasialeignung aufgrund eines Intelligenztests sowie eine ADHS feststellt.
ADHS des vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Erscheinungsbildes
Auch dieser Subtyp wurde 1994 im DSM-IV eingeführt, da in empirischen Studien festgestellt wurde, dass ein kleiner Prozentsatz der Kinder mit ADHS lediglich Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptome aufweist, aber keine Zeichen der Unaufmerksamkeit zeigt. Dieser Subtyp wird häufiger im jüngeren Alter festgestellt (Kindergarten, Grundschule), weshalb angenommen wurde, dass ADHS des vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Erscheinungsbildes ein Vorläufer des ADHS-Mischtyps ist. Hierzu ist aber weitere Forschung unbedingt notwendig.
In eigenen Untersuchungen konnten wir in Übereinstimmung mit obiger Theorie feststellen, dass bei Kindern im Vorschulalter die Symptome Hyperaktivität und Impulsivität häufiger sind (Merkt / Gawrilow 2011). Bezüglich komorbider Störungen scheint dieser Subtyp dem ADHS-Mischtypus sehr ähnlich zu sein. Die Kinder zeigen also häufig externalisierende Störungen (z. B. oppositionelles Trotzverhalten). Empirisch und klinisch ist dieser Subtyp jedoch wesentlich seltener nachzuweisen als die anderen beiden Subtypen (Lahey et al. 2005): ADHS-Mischtypus und ADHS – vorwiegend unaufmerksamer Subtyp werden öfter diagnostiziert als ADHS – vorwiegend hyperaktiv impulsiver Subtyp.
ADHS: gemischtes Erscheinungsbild
Kinder mit ADHS des Mischtyps sind sowohl unaufmerksam als auch hyperaktiv-impulsiv. Diese Kinder haben sowohl zu Hause, in der Schule als auch in sozialen Beziehungen enorme Schwierigkeiten: Sie scheinen nicht zuzuhören, können sich nicht länger auf eine Aufgabe oder Interaktion konzentrieren, zappeln herum und stören bzw. ärgern damit ihre Eltern und Klassenkameraden.
2.3.2 ADHS-Subtypen nach der ICD
Laut der ICD können folgende Subtypen der ADHS diagnostiziert werden: einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens und Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität. Wichtig ist in der ICD der frühe Beginn der Störung, d. h. vor dem 6. Lebensjahr. In der ICD wird auf die aktuell unbefriedigende Situation der Untergliederung der ADHS hingewiesen – als wesentliche Gliederungsmerkmale werden das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein von Aggressivität, Delinquenz und dissozialem Verhalten herangezogen (Abb 2.1).
Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung
Dieser Subtyp soll diagnostiziert werden, wenn Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität-Impulsivität vorliegen. Jedoch dürfen keine Symptome der Störung des Sozialverhaltens erkennbar sein: Beispielsweise dürfen die Kinder kein dissoziales, aggressives oder aufsässiges Verhalten an den Tag legen.
Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
Kinder, die eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens aufweisen, sind unaufmerksam, hyperaktiv und impulsiv sowie gleichzeitig aggressiv. Sie zeigen also neben den typischen ADHS-Symptomen auch Symptome einer Störung des Sozialverhaltens und damit ein andauerndes und wiederkehrendes Muster dissozialen, aggressiven und aufmüpfigen Verhaltens.
Abb. 2.1: Kriterien zur Diagnose einer hyperkinetischen Störung nach ICD-10 und einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung nach DSM-5 (nach Döpfner et al. 2013)
Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität
Kinder, die nur unaufmerksam, aber nicht hyperaktiv-impulsiv sind, können in der aktuellen ICD wie folgt diagnostiziert werden: Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in Kindheit und Jugend. Auch hier zeigt sich, dass in der ICD (anders als im DSM) die ADHS nach dem Vorhandensein einer Störung des Sozialverhaltens und nicht entlang der Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gegliedert wird.
ADHS und Emotionserkennung
Die Fähigkeit, Emotionen in der Stimme und im Gesichtsausdruck anderer Menschen zu erkennen, ist eine Schlüsselfähigkeit im Bereich sozialer Interaktion. Aus diesem Grund wird das Erkennen von Emotionen bei psychiatrisch erkrankten Patienten seit langem erforscht. Es wurde beispielsweise beobachtet, dass autistische Kinder Probleme haben, in der Stimme und im Gesichtsausdruck anderer Menschen Emotionen zu erkennen. In sozialen Situationen (d. h. in der direkten Interaktion mit anderen Menschen) zeigen autistische Kinder ebenfalls diese Schwierigkeiten.
Untersuchungen zu den Grundemotionen (Angst, Ekel, Freude, Trauer, Wut und Überraschung) konnten ähnliche Defizite in der Emotionserkennung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS feststellen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS negative Emotionen überinterpretieren, was dazu führt, dass ADHS-Betroffene vermeintliche und tatsächliche Wut häufiger bei ihrem Interaktionspartner erkennen (Cadesky et al. 2000). In den meisten vorhandenen Untersuchungen wird dieses Problem in Zusammenhang mit defizitären exekutiven Funktionen und defizitärer Selbstregulation gebracht: Vermutlich wird dieses Problem der Emotionserkennung durch eine mangelhafte Selbstregulation verursacht. Die Probleme bei der Emotionserkennung könnten möglicherweise auch erklären, warum ADHS-Betroffene Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen zeigen. Bislang ist jedoch noch nicht nachgewiesen, ob dieser kausale Zusammenhang existiert.
2.4 Spezifische Kriterien für eine Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter
Viele der bisher benannten ADHS-typischen Probleme sind sehr spezifisch für Kinder und Jugendliche. ADHS gibt es jedoch auch bei Erwachsenen (→ Kapitel 10). Eine ADHS bei Erwachsenen hat ein gänzlich anderes Erscheinungsbild als eine ADHS bei Kindern.
Das DSM-5 trägt diesem Rechnung und auch insbesondere dem Umstand, dass ADHS bis in das Erwachsenenalter hinein bestehen kann. Mit Einführung des DSM-5 müssen bei Patienten ab 17 Jahren lediglich 5 der genannten Symptome bestehen.
Aufmerksamkeitsstörung und motorische Hyperaktivität müssen noch immer vorliegen (somit wird mit diesen Kriterien nur der kombinierte Typ gemäß DSM-IV-TR diagnostiziert), zusätzlich müssen mindestens zwei weitere der folgenden Aspekte erfüllt sein: