Caterina Gawrilow

Lehrbuch ADHS


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Antworten oder Fragen heraus, wenn dies gerade unangemessen ist. Sie können nur schwer abwarten, bis sie an der Reihe sind und unterbrechen andere häufiger als Kinder ohne ADHS.

      Fluktuation von ADHS-Symptomen im Alltag

      2.2 Stärken und Ressourcen der Kinder mit ADHS

      In einer eigenen nicht-publizierten Befragung von Eltern und Lehrern konnten wir folgende Stärken der Kinder mit ADHS feststellen:

      images Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn,

      images Kreativität,

      images Harmoniebedürfnis,

      images Nicht-nachtragend-Sein.

      Dies deckt sich mit Einschätzungen von Lauth und Naumann (2009) – als positive Seiten der Kinder mit ADHS listen diese Autoren auf:

      images Spontaneität,

      images Sinn für Situationskomik,

      images Ideenreichtum und Kreativität,

      images körperliche Fitness und Spaß an Bewegung,

      images Gespür für soziale Fairness,

      images kratzbürstiger Charme.

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      Eine ADHS-Diagnose kann entweder nach dem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) oder der ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) vorgenommen werden. In Deutschland werden Diagnosen nach der ICD erstellt – in wissenschaftlichen Arbeiten werden allerdings häufig DSM-Diagnosen verwendet.

      DSM

      Das DSM ist ein Klassifikationssystem psychischer Störungen der American Psychiatric Association. Die erste Auflage erschien im Jahr 1952 – mittlerweile gibt es auch entsprechende Publikationen in anderen Sprachen weltweit. Die aktuelle deutsche Version aus dem Jahr 2015 heißt DSM-5®.

      ICD

      Die ICD ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für Diagnosen und wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle deutsche Ausgabe aus dem Jahr 2010 lautet ICD-10-GM (German Modification).

      Tab. 2.1: Geschichte der ADHS-Diagnosen nach DSM und ICD

DSM-DiagnosenICD-Diagnosen
1980DSM-IIIAttention Deficit Disorder1965ICD-8Hyperkinetisches Syndrom der Kindheit
1987DSM-III-RAttention Deficit Hyper-activity Disorder1975ICD-9Hyperkinetisches Syndrom des Kindesalters mit Entwicklungsrückstand / mit Störung des Sozialverhaltens
1994DSM-IVAttention Deficit Hyper-activity Disorder1991ICD-10Hyperkinetische Störung
2013DSM-5Attention Deficit/Hyperactivity Disorder
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      Laut DSM können drei Subtypen der ADHS unterschieden werden: Kinder mit einer ADHS vorwiegend unaufmerksamen Erscheinungsbildes, Kinder mit ADHS vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Erscheinungsbildes und Kinder mit ADHS des gemischten Erscheinungsbildes. Im DSM werden die Subtypen also anhand der Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität unterteilt. Ein wichtiges Diagnosekriterium für alle Subtypen ist der Beginn der Störung vor dem 12. Lebensjahr.

      ADHS des vorwiegend unaufmerksamen Erscheinungsbildes

      Träumer

      Dieser Subtyp wurde mit Veröffentlichung des DSM-IV (American Psychiatric Association 1994) eingeführt. Kinder mit ADHS des vorwiegend unaufmerksamen Subtyps werden oft als „Träumerinnen“ oder „Träumer“ bezeichnet. Eltern und Lehrer berichten häufig, dass die Kinder zu Hause oder im Unterricht abwesend und mit den Gedanken ganz woanders zu sein scheinen, wichtige Informationen nicht wahrnehmen und im Vergleich zu anderen Kindern wesentlich langsamer sind.

      Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Subtyp in klinischen Stichproben weniger häufig und in nicht klinischen Stichproben häufiger ist als die anderen Subtypen der ADHS. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass die Kinder mit ADHS des vorwiegend unaufmerksamen Erscheinungsbildes weniger auffallen als Kinder, die zusätzliche Merkmale von Hyperaktivität und Impulsivität aufweisen. Aus diesem Grund ist eine gezielte Diagnostik dieses Erscheinungsbildes von großer Bedeutung (→ Kapitel 11). ADHS dieses Erscheinungsbildes tritt häufiger bei Mädchen als bei Jungen auf (→ Kapitel 6).

      Ein weiterer wichtiger Unterschied zu den anderen beiden Subtypen der ADHS sind die komorbiden Störungen (→ Kapitel 3). Kinder mit ADHS des vorwiegend unaufmerksamen Erscheinungsbildes zeigen weniger externalisierende (z. B. aggressive) komorbide Symptome, leiden jedoch häufiger an Lernstörungen wie zum Beispiel Lese-Rechtschreibstörungen.

      Tom, 10 Jahre, ADHS des vorwiegend unaufmerksamen Subtyps

      Tom ist ein ruhiger und friedlicher Junge. Als Kleinkind war er zwar häufig quengelig und schnell gereizt, aber trotzdem war mit ihm immer gut auszukommen. Im Kindergarten ist er recht gut mit den anderen Kindern zurechtgekommen, auch wenn er meistens allein gespielt hat und bei den Tobespielen der Jungs nicht mitmachen wollte. In der Grundschule hatte er keine größeren Schwierigkeiten – er fiel aber auch nicht durch übermäßig gute Leistungen auf. Meistens schaute er verträumt aus dem Fenster und so wunderte es seine Lehrerin auch nicht, dass er oft wichtige Informationen und Instruktionen verpasste. Seine Vergesslichkeit war ein weiteres Problem: Ständig ließ Tom wichtige Dinge zu Hause liegen oder vergaß seinen Turnbeutel, seinen Schirm etc. in der Schule. Nun steht der Übergang