Caterina Gawrilow

Lehrbuch ADHS


Скачать книгу

Schwierigkeiten in der zeitlichen Organisation und die Unfähigkeit, Zeitpläne oder Termine einzuhalten.

      images Affektkontrolle: andauernde Reizbarkeit, verminderte Frustrationstoleranz und in der Regel kurzfristige Wutausbrüche, die häufig eine nachteilige Wirkung auf die Beziehung zu Mitmenschen haben; typisch ist auch eine erhöhte Reizbarkeit im Straßenverkehr.

      images Impulsivität: Dazwischenreden, Unterbrechen anderer im Gespräch, Ungeduld, impulsives Geldausgeben sowie das Unvermögen, Handlungen im Verlauf zu verzögern, ohne dabei Unbehagen zu empfinden.

      images Emotionale Überreagibilität: überschießende emotionale Reaktionen auf alltägliche Stressoren. Die Patienten beschreiben sich selbst als schnell „genervt“ oder gestresst.

      Liegen also neben Aufmerksamkeitsstörung und motorischer Hyperaktivität (kombinierter ADHS-Typ) noch zwei zusätzliche Kriterien vor, kann ADHS im Erwachsenenalter diagnostiziert werden.

images

      Weitere Informationsquellen

      Die Spezifika der ADHS-Symptome sind zitiert nach einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zur ADHS im Erwachsenenalter: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/ADHSLang.pdf

      Die jeweils aktuell gültige ICD kann man online recherchieren unter: www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm

      Der aktuelle Stand und die Entwicklungen bezüglich des DSM können unter dem folgenden Link nachgelesen werden: https://www.dsm5.org/Pages/Default.aspx

images

      Vertiefungsfragen

      3. Welche Kernsymptome kennzeichnen die ADHS? Wie können diese Kernsymptome beschrieben werden?

      4. Sind die Charakteristika dieser ADHS-Symptome immer Ausdruck klinisch gestörten Verhaltens?

      5. Welche Symptome kennzeichnen eine ADHS im Erwachsenenalter und was unterscheidet die Kernsymptome der ADHS im Erwachsenenalter von den Kernsymptomen der ADHS im Kindesalter?

      6. Was sind Stärken bzw. positive Seiten von Kindern mit ADHS?

      3 Komorbide Störungen

      Komorbide Störungen, also Störungen die im Sinne einer Doppel- bzw. Mehrfachdiagnose neben der ADHS zusätzlich vorliegen, sind bei ADHS-Betroffenen eher eine Regel als eine Ausnahme. Nachgewiesenermaßen ist es oft schwieriger, bei den ADHS-Betroffenen mit dominanter Hyperaktivität und Impulsivität solche komorbiden Störungen zu diagnostizieren: Bei hyperaktiven und impulsiven Kindern mit ADHS werden komorbide Störungen also häufig übersehen. Dass Menschen mit ADHS hochgradig impulsiv sind, führt weiterhin dazu, dass zusätzliche (komorbide) externalisierende bzw. extraversive Störungen und Verhaltensweisen zu erwarten sind: Die Betroffenen handeln unüberlegt, aggressiv und oppositionell.

      Aber auch internalisierende bzw. intraversive Störungen und Verhaltensweisen sind häufig. Dazu gehören z. B. affektive Störungen, wie depressive und Angststörungen. Des Weiteren zeigen Kinder mit ADHS mit Eintritt in die Grundschule auch oft Lern- und Leistungsstörungen. Sobald komorbide Störungen im Spiel sind, wird eine ADHS-Diagnose erschwert, da der Diagnostiker erkennen muss, ob tatsächlich eine komorbide Störung vorliegt oder eine Differentialdiagnose erstellt werden muss (→ Kapitel 4). Alle komorbiden Störungen stellen für die Entwicklung der Betroffenen einen zusätzlichen Risikofaktor dar. Dies bedeutet, dass der Verlauf der ADHS für Patienten mit zusätzlichen komorbiden Erkrankungen zumeist schwerwiegender und beeinträchtigender ist als für Patienten ohne komorbide Erkrankungen.

      Bauermeister und Kollegen (2007) sind in einer empirischen Untersuchung der Frage nachgegangen, ob auch bei der ADHS eine „Illusion des Klinikers“ vorliegt. Diese Illusion beschreibt die Tatsache, dass sich klinische Studien meist auf Stichproben beziehen, deren Patienten chronische und schwerwiegende Verläufe der Störung bzw. Erkrankung zeigen. Aus diesem Grund haben Bauermeister und Kollegen in einer umfassenden Studie zur Komorbidität der ADHS nicht nur klinische sondern auch Stichproben aus dem Feld miteinbezogen. Das Ergebnis zeigt, dass die Muster komorbider Störungen der ADHS in beiden Stichproben recht ähnlich sind – auch wenn sich die jeweiligen Prävalenzen unterschieden (Tab. 3.1 und Tab. 3.2).

images

      Komorbide Störungen sind bei der ADHS die Regel: Insgesamt weisen ca. 2 / 3 der Kinder mit ADHS neben den Kernsymptomen für die ADHS noch weitere Störungen auf. Sobald komorbide Störungen im Spiel sind, wird eine ADHS-Diagnose erheblich erschwert.

      Tab. 3.1: Häufigkeit komorbider Störungen der ADHS

QuelleHäufigkeit der komorbiden Störungen
94,8 % der Kinder mit ADHS haben eine oder mehrere komorbide Erkrankungen.
Willcutt et al. (1999)76 % der Kinder mit ADHS haben mindestens eine komorbide Erkrankung
Szatmari et al. (1989)44 % der Kinder mit ADHS haben eine weitere Störung. 43 % der Kinder mit ADHS haben zwei oder mehrere komorbide Störungen.
Kadesjö / Gillberg (2000)87 % der Kinder mit ADHS haben eine weitere Störung. 67 % der Kinder mit ADHS haben zwei oder mehrere komorbide Störungen.
Wilens et al. (2002)79 % der Schulkinder (und 74 % der Vorschulkinder) mit ADHS haben mindestens eine komorbide Erkrankung.
Bauermeister et al. (2007)30 % (34 %) der Kinder mit ADHS haben eine weitere Störung. 24 % (39 %) der Kinder mit ADHS haben zwei oder mehrere komorbide Erkrankungen (Gemeinde-Stichprobe, in Klammern: klinische Stichprobe).
90 % der Kinder mit ADHS haben eine oder mehrere komorbide Erkrankungen.

      3.1 Externalisierende Störungen

      Kinder mit ADHS zeigen oft aggressives und dissoziales Verhalten als komorbide Symptome. Besonders häufig kann bei Kindern mit ADHS auch die oppositionelle Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert werden. Typisch für diese Kinder ist, dass sie oft streiten – z. B. mit den Eltern oder Lehrern – und nicht gehorchen. Weiterhin treten häufig Ärgerperioden auf: Das Kind schreit und ist schwer zu beruhigen. Die oppositionelle Störung des Sozialverhaltens kann man auch daran erkennen, dass die Kinder gerne andere ärgern und sich leicht durch andere ärgern lassen. Zudem machen sie oft andere für die eigenen Fehler verantwortlich.

      Die ICD-10 wird dieser auffallenden Koppelung der ADHS mit oppositionellen Verhaltensweisen durch die mögliche Diagnose „hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens“ gerecht (→ Kapitel 2 und 11). Diese Diagnose drückt an sich die Überlappung beider Symptombereiche aus. Tritt eine solche Störung des Sozialverhaltens als komorbide Störung besonders früh ein, ist es umso wichtiger, mittels geeigneter Therapiemaßnahmen einzugreifen: Diese Kinder zeigen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung weiterer Störungen wie einer Substanzabhängigkeit oder einer antisozialen Persönlichkeit (Döpfner 2003). Insgesamt ist es also für die Therapieplanung von großer Bedeutung, ein Profil eventuell vorhandener komorbider Störungen zu erstellen.