Zwingburgen und überließ deren Reste den neuen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner zur Nutzung. Allerdings gelang es Leipzig nie, wie etwa Frankfurt, den Status einer Reichsstadt zu erkämpfen. Seit 1270 sind in Leipzig consules, also Räte nachgewiesen, 1273 erwirbt die Stadt von ihrem Landesherrn das Münzrecht. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts dürfte Leipzig etwa 3000 Einwohner gezählt haben.29
Die Gründungsprozesse von Freiburg und Leipzig zeigen, wie Territorialherren einerseits Siedlungen an strategisch günstigen Stellen gezielt mit Stadtrechten und städtischen Privilegien förderten, andererseits die Bewohner dieser Städte sich erhebliche Handlungsspielräume gegenüber ihren Stadt- und Landesherren erkämpfen konnten. In ganz Europa wurde die Gründung von Städten zur vielfach praktizierten Strategie der führenden Geschlechter, die sich damit Herrschaftsstützpunkte und Quellen für Steuern und Abgaben schaffen wollten. So wurden die Staufer etwa mit der Gründung von Heidelberg, Breisach, Pforzheim oder Hagenau aktiv, die Welfen etablierten München – nachdem sie Föhring, den Marktort des Freisinger Bischofs, zerstört hatten – wie auch Lübeck, und förderten Braunschweig nachdrücklich. Ergebnis dieses säkularen Prozesses der Urbanisierung im 12. und 13. Jahrhundert war die Herausbildung einer vielfach gegliederten Städtelandschaft, die einherging mit einer wesentlich intensiveren Kultivierung des Bodens. Peter Clark schätzt den Anteil der städtischen Bevölkerung um die Mitte des 14. Jahrhunderts europaweit auf 10–15 %, was aber große Unterschiede zwischen stark urbanisierten Landschaften in Norditalien und Flandern (30–40 %), Raten um 15 % in Frankreich, dem westlichen Deutschland und England, und Gebieten mit außerordentlich geringer Urbanisierung (Nord- und Osteuropa, 3–4 %) einschloss.30
3.2 Städte im Netz: Die europäische Städtelandschaft
3.2.1 Das Städtesystem im Überblick
Wir wechseln die Ebene und fragen: Lassen sich Muster erkennen, die die Verteilung der Städte im europäischen Raum bestimmten? Wie kann man diese Muster erklären? Gab es einen inneren Zusammenhang zwischen einzelnen Städten jenseits der Zugehörigkeit zu bestimmten Territorien? [<<53]
Diese Karte Europas mit Kartierung der Städte nach Größenklassen zeigt uns eine recht eindeutige Struktur:
Abb 3 Die Verteilung großer Städte in Europa um 1300
Um 1300 war die europäische Urbanisierung noch ein Phänomen, das sich im Wesentlichen auf Italien sowie West- und Mitteleuropa beschränkte. Das nördliche England, Schottland und Irland wie auch Skandinavien wiesen eine sehr geringe Städtedichte auf; in Osteuropa zeigten sich östlich der Oder und südlich der Donau nur wenige Städte. Auch Spanien war, mit Ausnahme des zu diesem Zeitpunkt noch maurischen [<<54] Südens, recht städtearm. Im Kernbereich der europäischen Urbanisierung erkennen wir zwei eindeutige Schwerpunkte: Ein Schwerpunkt lässt sich in Nord- und Mittelitalien erkennen, wo mit Mailand, Genua, Venedig und Florenz die größten Städte des römisch-christlichen Europas im Mittelalter zu finden waren. Ein zweiter Schwerpunkt zeigt sich in Nordwesteuropa. Seinen Kern bilden die flandrischen Städte im heutigen Belgien, seine Ausläufer umfassen Paris, Köln und London. In diesen beiden Regionen finden sich erheblich mehr, nach der Klassifizierung von David Nicholas (Abb. 3, S. 55)„ sehr große“ Städte (25.000–50.000) als im restlichen Europa, hier können wir auch schon um 1300 von einer verstädterten Landschaft sprechen.31
Wie kann es zu einer solchen Struktur gekommen sein? Zunächst war in Italien, darauf war bereits in Kap. 2, S. 25 hingewiesen worden, die Stadtkultur nach dem Untergang des Römischen Reichs nie so stark dezimiert und reduziert worden wie nördlich der Alpen; die Voraussetzungen für ein Wachstum lagen hier also günstig. Dann übernahmen italienische Städte in dem Maße, wie sich nördlich der Alpen im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung und Monetarisierung ein Bedarf an Waren aus dem Orient entwickelte, die Funktion der Vermittler; Luxuswaren aus dem Orient wurden vor allem über Venedig, aber auch über Genua, zunächst auf dem Landweg über die Alpen gebracht. Pässe wie der Große St. Bernhard, der Simplon und der Mont St. Cenis waren bereits im Hochmittelalter von zentraler Bedeutung für den Warentransport.32
Auch wenn der Fernhandel von Luxuswaren quantitativ deutlich weniger Umfang hatte als der kleinräumige Handel mit Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs, so waren hier doch sehr viel höhere Gewinnspannen möglich, sodass sich um den Fernhandel eine international vernetzte Kaufmannschaft herausbildete. Als Schaltstelle und Verteiler für die europaweit gehandelten Waren dienten zunächst die berühmten Messen der Champagne, die sich an wechselnden Orten, darunter Provins und Troyes, über größere Teile des Jahres hinzogen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts büßten diese Messen jedoch allmählich ihre führende Rolle ein, insbesondere nachdem die italienischen Kaufleute den langen, aber wesentlich kostengünstigeren Seeweg durch die Straße von Gibraltar und rings um die Westflanke Europas bis zu den Häfen Flanderns erschlossen hatten und diesen zunehmend als Hauptroute nutzten.33 [<<55]
Die herausragende Stellung der Städte Flanderns, der zweite große Pol des europäischen Städtesystems, erklärt sich zunächst eher aus Mangel denn aus Überfluss. Flandern war landwirtschaftlich um 1000 eine eher arme Küstenregion, der Westen Flanderns wurde hauptsächlich als Weide genutzt, bis die Sümpfe im 12. Jahrhundert im Zuge des Landesausbaus allmählich trocken gelegt wurden. Günstig war insbesondere die Lage: Die Region lag im Kreuzungspunkt von Handelswegen zu den britischen Inseln, von Frankreich in den Ostseeraum und am Zugang ins Innere des europäischen Kontinents über das Wasserstraßensystem des Rheins. In Flandern entstand daher ein Knoten von gewerblich spezialisierten Städten, die außerdem Verteilerfunktion für Nordwesteuropa, aber auch für den Handel mit Skandinavien und dem Ostseeraum übernahmen.
Brügge – Venedig des Nordens?
Zentralort dieses internationalen Austausches in Nordwesteuropa und in gewisser Weise funktionales Pendant von Venedig wurde Brügge: Der hohe Meereswasserstand im 11. Jahrhundert und eine verheerende Sturmflut von 1134, die weit ins Binnenland durchbrach, machten die Stadt zum Meereshafen. Die Stadt war Sitz der Grafen von Flandern, und der Konflikt zwischen den Grafen und der sich emanzipierenden Bürgergemeinde prägte große Teile der mittelalterlichen Geschichte Brügges. Um 1130 erhielt die Stadt einen ersten Mauerring, der sich heute noch am inneren Kanalring ablesen lässt. Im 12. Jahrhundert wurde Brügge dann zur Schaltstelle im Handel mit England, von wo feine Wolle importiert wurde. Nach Verarbeitung in Brügge und vor allem in den umliegenden Tuchmacherstädten wie Gent und Ypern wurde das hochwertige Tuch dann wieder nach England, vor allem aber auch in andere europäische Länder exportiert. Im späten 13. Jahrhundert wurde Brügge zum wichtigsten Umschlagszentrum internationalen Handels nördlich der Alpen. Dieser rasche Aufstieg fand auch seinen baulichen Niederschlag: Um 1240 wurde am Marktplatz der Belfried, das spätere Wahrzeichen Brügges, sowie die an ihn grenzenden zweistöckigen Hallen gebaut. Weil sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts der Handel stark ausgedehnt hatte, wurde an einer Seite des Marktplatzes eine neue große Tuchhalle nur für den Tuchhandel über dem Flüsschen Reie gebaut.34 [<<56]
Abb 4 Plan von Brügge um 1500, Gemälde im Rathaus von Brügge
Bemerkenswert ist, wie die Stadt ihren Stoffwechsel im Hinblick auf das Wasser organisierte: Brügges doppelter Ring von Kanälen und Wasserstraßen stand mit dem Fluss Reie in Verbindung. Der innere Ring bestand aus dem ehemaligen Wallgraben rings um die erste Stadtmauer, der zweite, äußere, ein Doppelgraben, umgab die neuen Mauern des späten 13. Jahrhunderts. Die inneren Kanäle schufen daher an vielen Stellen in der Stadt Umschlagmöglichkeiten für den Wassertransport, sie waren fast durchgängig von Kais gesäumt. Der äußere Ring diente als Reservoir für das in der Stadt benötigte Wasser. Sein Wasserspiegel lag etwa einen Meter höher als das innere Wassernetz. Dadurch konnten Kanäle vom äußeren