aus den mecklenburgischen Wäldern herbeizuschaffen. Trotzdem gelang es Lüneburg langfristig nicht, den Niedergang der Stadt aufzuhalten; das in Lüneburg raffinierte Salz war zu teuer, um die Konkurrenz mit anderen Salzstädten und deren günstigeren Produktionsbedingungen bestehen zu können.22 Aber auch in Fällen wie etwa Lübeck, das dank eines Barbarossa-Privilegs von 1188 durchaus substanzielle Wälder in der Nähe besaß, schloss der Rat im Sinne einer Diversifizierung und wohl auch zur Schonung der eigenen Bestände Verträge mit regionalen Adligen über befristete Waldnutzungen zur Gewinnung von Bauholz. Solche Verträge bezifferten die Zahl der Bäume, die innerhalb des Vertragszeitraums entnommen werden durften, meist ging es um hochstämmige Eichen. Lübeck nutzte auch seine verkehrsgünstige Lage und seine weit gespannten Handelsbeziehungen, um Bauholz aus dem Ostseeraum zu beziehen; Danzig fungierte hier als wichtiger Umschlagplatz.23
4.2.3 Die Substitution von lokalen Waldbeständen
In vielen Städten, die lokal zu wenig Wald hatten, aber an flößbaren Flüssen lagen, wurde die Flößerei systematisch weiter entwickelt.24 Flussnahe Areale wie etwa in München die spätere Kohleninsel an der Isar, heute Standort des Deutschen Museums, dienten als Floßlände und Holzlagerplatz, in städtischen Straßen- und Gewannnamen wie „Holzmarkt“, „Holzhof“ etc. sind solche früheren Nutzungen noch aufg [<<74] ehoben. Stadtferne Waldbestände, jenseits der intensiver für den Nahrungsbedarf eines Marktzentrums genutzten „Thünenschen Zonen“, wurden zunehmend durch Wege und Triftbäche erschlossen, um die Transportkosten so gering wie möglich zu halten. Bauholz, bei dem höhere Qualitätsanforderungen im Hinblick auf Festigkeit und Geradheit gestellt wurden, wurde häufig aus größeren Entfernungen, meist auf dem Wasserweg beschafft. Amsterdam, im Morast gelegen, wurde in der frühen Neuzeit zu erheblichen Teilen auf Pfählen errichtet, die im Schwarzwald geschlagen worden waren und auf dem Rhein in großen Floßverbünden nach Holland geflößt wurden.25 Köln, am Rhein als Arterie des Holztransports gelegen, versuchte im 15. Jahrhundert sein Stapelrecht, das Recht, die Stadt passierende Kaufleute zu zwingen, ihre Waren auf dem städtischen Markt drei Tage anzubieten, auch auf das rheinabwärts verschiffte Holz auszudehnen, um damit seine Holzversorgung zu verbessern. Große städtische Zentren in Meeresnähe, wie die Städte Flanderns, die kaum Wälder in ihrem Umland hatten, wurden schon im 13. Jahrhundert mit Brennholz aus der Grafschaft Kent in Südost-England, seit dem späten Mittelalter per Schiff mit (Bau-) Holz aus dem Ostseeraum, aus Norwegen etc. beliefert.26 Auch dies lässt sich als Beleg für die Netzwerk-Theorie, als Hinweis auf die Existenz weitreichender Handelsbeziehungen nicht nur für Luxuswaren, sondern auch für Massengüter wie Holz bereits um 1300 verstehen. Das Weichselgebiet wurde hinsichtlich der Holzversorgung zum Hinterland von Brügge und Gent, Danzig zur gateway city zur Erschließung der Ressourcen des polnischen Hinterlandes.27 Auch Hamburg entwickelte sich zum Holzhandelsplatz für elbabwärts geflößte Hölzer: Die Stadt versorgte nicht nur ihren eigenen Bedarf mit Holz aus den böhmischen Wäldern, sondern exportierte auch erhebliche Mengen, Holz war im 15. Jahrhundert nach Getreide und Bier das drittwichtigste Exportgut des Hamburger Hafens; das meiste Holz ging in die Niederlande.28
Holzversorgung war also ein zentrales Element städtischer Versorgungspolitik; sie motivierte den Erwerb von Wäldern im Umland der Städte, förderte, wo dies möglich war, das Engagement für eine städtische Territorialpolitik, wie sie uns besonders deutlich im Falle von Nürnberg und Ulm entgegentritt.29 Eine Alternative zur politischen [<<75] oder polizeilichen Sicherung der Versorgung war die Etablierung fester und langfristiger Handelsbeziehungen zu Holzlieferanten in größerer Entfernung. Dennoch waren große Städte wie Paris stets bestrebt, Wälder in unmittelbarer Nähe gewissermaßen als Reserve für den Fall der Unterbrechung weiträumiger Versorgungsbeziehungen kontrollieren zu können.
Die Substitution von Holz als Brennholz durch andere Brennstoffe fand in Kontinentaleuropa, im Unterschied zu England, kaum auf breiterer Front statt. Zwar hatte der Abbau von Steinkohlen bei Lüttich um 1200 begonnen, aber für die Grundversorgung spielte Steinkohle zunächst kaum eine Rolle. In den Niederlanden und in Norddeutschland wurde für massiv Holz verbrauchende Gewerbe, wie an einzelnen Orten die Salzsiederei, Torf verbrannt. Ende des 15. Jahrhunderts taucht in rheinischen Zollrechnungen auch bereits Kohle auf, die offenbar aus Gruben an der Saar und der Ruhr in die Niederlande transportiert wurde.30
4.3 Getreideversorgung
Das entscheidende Gut für die physische Reproduktion mittelalterlicher und auch noch frühneuzeitlicher Städte war die Versorgung mit Getreide. Der Anteil des Getreides am täglichen Kalorienbedarf der Menschen lag im Mittelalter bei 60–75 %, die in Form von Brot, Mus oder Bier konsumiert wurde. Pro Stadtbewohner war ein jährlicher Bedarf von 1,65 Quartern (1 Quarter = 290 l) an Getreide anzusetzen.31 Der räumliche Einzugsbereich, aus dem die Getreideversorgung stattfinden konnte, war durch transportwirtschaftliche Logiken begrenzt: Bei Entfernungen über 35–40 km über Land, 1–2 Tagesreisen, näherte sich der Futterbedarf der Zugtiere dem Kaloriengehalt des transportierten Getreides an, energetisch war der Landtransport über weitere Entfernungen also ein Nullsummenspiel oder gar ein Verlustgeschäft. Nur in Hungersnöten können wir weiträumigeren Landtransport von Getreide nachweisen, etwa von Thüringen nach Köln.32 [<<76]
Betrachten wir das Beispiel London etwas näher: Rund drei Viertel der Anbaufläche der zehn Grafschaften um London wurde für Getreideanbau genutzt. Die Nachfrage Londons beeinflusste die Wahl der angebauten Getreidearten tief greifend, gelegentlich sogar im Widerspruch zur spezifischen Eignung von Böden. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte sich ein homogener Getreidemarkt in Südengland herausgebildet, der wesentlich durch den Bedarf Londons gesteuert wurde; auf diesem Markt bewegten sich die Preise in der Regel synchron und in die gleiche Richtung. Offenbar hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon ein einigermaßen effizientes Handelsnetzwerk etabliert; lokale Marktstädtchen dienten als Sammelpunkte für Getreide, das von dort weiter in die Hauptstadt verschickt wurde.33 Auch auf dem Kontinent repräsentierten „… [K]leinere Städte und Märkte […] wichtige Scharniere in einem größeren Handelsnetzwerk und trugen erheblich zur Senkung der Kosten des Handels und somit zu einer kommerziellen Verdichtung bei.“34 Der südenglische Getreidemarkt schloss auch Flandern, die Picardie, die Normandie und andere küstennahe Gebiete des Kontinents mit ein. Als Folge des Bevölkerungskollaps nach der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts schrumpfte Londons Getreideversorgungsbereich erheblich.35
Für Flandern und die Niederlande, eine der im Spätmittelalter am stärksten urbanisierten Regionen Europas nördlich der Alpen, zeigt Richard Unger, dass angesichts der nach der Pest zunächst deutlich zurückgegangenen Bevölkerung die Getreideversorgung weitgehend aus der Region erfolgen konnte.36 Gleichwohl wurde die bereits vor 1350 in Ansätzen etablierte Fernversorgung mit Getreide nicht aufgegeben. Schon vor der Pest kamen substanzielle Getreidelieferungen aus der Altmark an der Elbe über [<<77] Hamburg in die flandrischen Städte.37 Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts klassische Versorgungsregionen für Flandern und die Niederlande, etwa die Normandie, wegen wieder wachsender Bevölkerung nur geringere Überschüsse für die Bedarfsgebiete Flanderns zur Verfügung hatten, setzte in größerem Maße der Getreidefernhandel nach Flandern wieder ein: Bezugsquellen waren zum einen Süddeutschland im Einzugsbereich schiffbarer Flüsse, zum anderen Getreideanbaugebiete mit Wasseranschluss im Einzugsgebiet der Ostsee. Dass der flämische Getreidemarkt so weit reichte, zeigt ein nachweisbarer Gleichklang in der Fluktuation der Getreidepreise zwischen den großen Getreidemärkten in Frankfurt, Straßburg, Rostock und den südenglischen und den niederländischen Städten, wobei in den Niederlanden die Preisausschläge stets am höchsten waren. Unger interpretiert diese Preismuster als Anzeichen einer regen Spekulation mit Getreide in den niederländischen Städten, wobei die Spekulation auch vielfältige Maßnahmen der Städte zur Regulierung des Getreidehandels provozierte. Andererseits akzeptierten Stadtregierungen die Notwendigkeit hoher Getreidepreise, denn dadurch strömte auch in Mangeljahren ausreichend Nachschub in die Niederlande. Ein weiteres Motiv für Entwicklung eines Getreidefernhandels, obwohl die weitere Region die Versorgung hätte eigentlich sichern können, waren die Handelsinteressen: Flandern baute in erheblichem Umfang Handelsbeziehungen