Zimmermann
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1Ähnlich das Anliegen schon bei Jendorff, 1994 „Fachpraktikum Religion. Leitfaden gegen den Praxisschock“.
2Oelkers, 1996, 9.
3Vgl. Schröder, 2012; Lämmermann 2005 u.a.
4Vgl. Platow/Lämmermann, 2014; Hilger/Ritter/Lindner/Simojoki/Stögbauer, 2014; Mendl, 2014, 2008; Brinkmann, 2013; Pohl-Patalong, 2013; Sajak, 2013; Hilger/Leimgruber/Ziebertz, 2013; Lindner, 2012; Schröder, 2012 (Religionsdidaktik S. 554-658); Kalloch/Leimgruber/Schwab, 2010; Grethlein, 2005; Lämmermann, 2005 Büttner/Dieterich, 2004.
5Vgl. Zimmermann/Zimmermann, 2013.
6Adam/Englert/Lachmann/Mette, 2008.
7Vgl. jüngst die zusammenfassende Darstellung bei Büttner/Dieterich, 2013.
8Adam/Lachmann, 2010; Bosold/Kliemann 2012; Rendle 2014.
9Kammeyer/Zonne/Pithan, 2014; Schröder/Wermke, 2013; Pemsel-Maier/Schambeck, 2014.
1 „Forschendes Lernen“ oder: Wie man professionelle Kompetenzen im Praxissemester erwirbt
Das Praxissemester ist kein vorgezogenes Referendariat. Es ist auch keine „lowlevel-Einübung“ in die spätere Berufstätigkeit. Und schon gar nicht ist es gedacht als willkommene Abwechslung von vermeintlich steriler Theorielastigkeit, Berufsfeldabstinenz und Praxisferne des Studiums, die manche Studierende möglichst bald hinter sich lassen möchten. Im Gegenteil: Das Praxissemester ist die Probe aufs Exempel, ob das, was im Studium gelehrt, gelernt und durchdacht wird, sich in den konkreten Handlungszusammenhängen von Schule und Unterricht bewährt – und umgekehrt: Ob ein theoriegestütztes und wissenschaftlich reflektiertes pädagogisches Tun nicht allemal fruchtbarer, effizienter ist als ein Berufsalltag, der sich mehr oder weniger erfolgreich von Routinen, eingefahrenen Pattern und Skripten sowie von vordergründigen Verhaltensstrategien leiten lässt.
Das Konzept des „Forschenden Lernens“ macht aus dem Praxissemester ein Experimentierfeld, in dem jede/r Studierende die konkrete Schulpraxis – eigene und auch fremde – theoriegeleitet und forschungsmethodisch fundiert reflektiert1 und durch diese unmittelbare Auseinandersetzung Erfahrungen macht, Erkenntnisse und Kompetenzen gewinnt.
1.1 Auf dem Weg zu professioneller Handlungsfähigkeit
Die Klage über die segmentierten Lernorte Universität, Studienseminar und Schule hat eine lange, mit Vorurteilen und Misstrauen gespickte Tradition. Mit der Einführung des Praxissemesters bietet sich nun die Chance, „Theorie und Praxis professionsorientiert miteinander zu verbinden und die Studierenden auf die Praxisanforderungen der Schule und des Vorbereitungsdienstes wissenschaftsund berufsfeldbezogen vorzubereiten“2. Dabei kommt dem „forschenden Lernen“3 eine Schlüsselrolle zu, da es als zentraler „Habitus“ nicht nur im Studium angeeignet und ausgeübt werden soll; vielmehr bestimmt es in dem weitläufig rezipierten Leitbild des „reflective practitioner“4 den Vorbereitungsdienst und sollte im späteren Berufsleben – etwa gemäß dem Ansatz von Altrichter/Posch „Lehrer erforschen ihren Unterricht“5 – auf Dauer gestellt werden. Deshalb wird forschendes Lernen in der Rahmenkonzeption zum Praxissemester in NRW als „forschende Lernhaltung“, als „forschende Grundhaltung“ beschrieben, durch die im Praxissemester eine professionelle Forschungs- und Reflexionskompetenz erworben werden soll6. Dabei werden Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Humanwissenschaften so miteinander verknüpft, dass deren Potenzial zur Erschließung von Situationen, Prozessen, Handlungsweisen und Strukturen ins Spiel gebracht, problemhaltige Aufgaben und Herausforderungen gelöst und nachhaltige Wirkungen zur Verbesserung von Schule und Unterricht erzielt werden können.
1.2 Genese und Kennzeichen „forschenden Lernens“
Die Genese des Konzeptes geht auf die in den 60er-Jahren entstandene Methode des „inquiry- bzw. research-based learning“ zurück, die das Ziel hatte, über die Wissensaneignung hinaus auch Kompetenzen hinsichtlich eigener Forschungen zu entwickeln. Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff „Forschendes Lernen“ Ende der 60er-Jahre von Ludwig Huber im Zuge der Arbeit der Bundesassistentenkonferenz geprägt.7 Für die Entwicklung des Konzepts waren drei Momente leitend:
•Ein wissenschaftliches Studium muss den Studierenden eine „Teilhabe an Wissenschaft“ ermöglichen. Ein wissenschaftlicher Habitus im Sinne von „Suchen und Finden, Problematisieren und Einsehen, ‚Staunen‘ und Erfinden, Untersuchen und Darstellen“8 kann nur erworben werden, wenn Studierende selbst in wissenschaftliches Arbeiten ‚eintauchen‘.
•Statt rezeptiv Wissensbestände aufzunehmen, zielt forschendes Lernen auf eine selbstständige konstruktive Aneignung und wird daher angetrieben von intrinsischer Motivation. Eine kritisch-reflexive Grundhaltung kann nicht theoretisch gelehrt und trainiert werden, sondern nur aktiv und erfahrungsorientiert eingeübt werden.
•Dafür müssen spezifische Lernsituationen geschaffen werden, „in denen die eigene Wahl und Strukturierung einem nicht abgenommen ist, Interessen vertieft verfolgt werden können, in denen man mit anderen sich verständigen oder zusammentun muss“9.
Neuere Ansätze10, die z.B. der Grounded Theory oder dem konstruktivistischen Lernen verpflichtet sind, verweisen auf die Wende vom Lehren zum Lernen und auf die bereichernde Verbindung zwischen Lernen und Forschen. Sie fokussieren damit das lernende Individuum, das als beruflicher Novize den komplexen Zusammenhang von Theorie und Praxis vor Ort erfährt und kriteriengeleitet reflektiert. Unter berufsbiografischer Perspektive unterstützt ein solcher Lernprozess die Ausbildung eines professionellen Selbstkonzepts, er schärft die Wahrnehmung und Analyse der Berufswelt, öffnet den Blick für neue Erkenntnisse und Erfahrungen und dient der Ausbildung beruflicher Handlungsfähigkeit. Als Kennzeichen forschenden Lernens können gelten:11
•Selbstständigkeit des Lernenden als unverzichtbares Postulat schließt die Wahl und Präzisierung des Themas, die Auswahl möglicher Methoden und Strategien, das Risiko von Irrtümern, Sackgassen und Umwegen, die Verantwortung für wissenschaftliches Arbeiten, Dokumentieren, Präsentieren und Evaluieren ein.
•Theoriebezug rekurriert auf wissenschaftlich abgesicherte oder zumindest vertretbare Wissenskonstrukte als Referenzpunkte und zielt auf die theoriegeleitete und forschungsmethodisch fundierte Reflexion der Schulpraxis. „Dieses Wissen umfasst z.B. zentrale Begriffe, theoretische Schlüsselkonzepte, grundlegende Prinzipien und Kernkonzepte sowie die Verknüpfung zwischen inhaltlichen Einheiten einer Domäne. Es setzt der Lehrkraft sozusagen Augen ein, die ihr Gesichtsfeld bestimmen und ihre Wahrnehmung steuern. Wer nichts weiß, sieht auch nichts.“12 Zudem versetzt es die Lehrkraft in die Lage, die von ihr ausgeübten Praktiken zu begründen, zu überprüfen und zu verbessern.
•Praxiserfahrung bietet den Referenzrahmen für die Entwicklung konkreter Fragestellungen, die als Ausgangspunkt für das forschende Lernen dienen. Dabei kommen vor allem solche Erfahrungen in Betracht, in denen Praxis fragwürdig, problematisch, widersprüchlich, diffus und konflikthaltig erlebt wird. Insofern ist forschendes Lernen problemorientiert ausgerichtet und zielt auf wissenschaftsgestützte Problemlösungen.
•Methodenkontrolle sichert, dass die Arbeitsweise des forschend Lernenden wissenschaftlichen Gütekriterien im Blick auf Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit genügt und zu einer systematischen Erkenntnisgewinnung beiträgt.
•Reflexionskompetenz