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Qualitative Medienforschung


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Schrittfolgen geführt hat. Charakteristisch ist, dass immer wieder als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Diskursanalyse die Kritik an der Inhaltsanalyse (content analysis) angeführt wird. Dieser wird kritisch vorgehalten, dass sie die Prozesse der Bedeutungskonstitution nicht erfassen kann, sondern diese einfach als a priori gegeben voraussetzen muss (Jäger 2012; Pêcheux 1982). Auch wird durch die Inhaltsanalyse die semantische Organisation des Wissens nicht zum Gegenstand gemacht. Stattdessen erfasst die Inhaltsanalyse die Häufigkeiten von vorher festgelegten Bedeutungseinheiten, die dann statistischen Häufigkeits- und Korrelationsanalysen unterzogen werden. Die Inhaltsanalyse reflektiert dabei nicht, wie die Semantik ihrer Codiereinheiten (z.B. Sätze) zustande kommt. Diskurstheoretisch betrachtet ist die Bedeutung ein Effekt im Kontext eines Aussagensystems. Dieses Aussagensystem kann aber nicht als Messkategorie vorab entschieden werden, sondern muss aus dem Material erst rekonstruiert werden. Die Inhaltsanalyse untersucht eben nicht die Entstehung von Bedeutungseffekten in Aussagensystemen, sie liefert keine Theorie der Bedeutungspraxis, sie exploriert nicht die Ordnung von Wissen und sie betrachtet Wissen nicht im weiteren sozialhistorischen Entstehungskontext. Semantik ist für die Inhaltsanalyse ein Datum (das unter Codierern verhandelt wird), für die Diskursanalyse ist Semantik ein Explanandum und Resultat einer diskursiven Praxis.

      Die Methodologie der Diskursanalyse

      Was ist also nach Foucault ein Diskurs? Ein Diskurs besteht nicht aus den Aussagen eines Sprechers, als ob das Sprecherkonzept eine Klammer für die Einheit des Diskurses und die Bedeutung wäre (wie in der Sprechakttheorie). Ein Diskurs ist auch nicht die zwanglose und aufgeklärte Konversation, die der Verständigung zwischen vernunftbegabten (und deshalb autonomen) Subjekten dient, wie in der Diskursethik von Habermas. Auch ist der Diskurs nicht eine grammatikalische Organisation von Aussagen, also nicht die satzübergreifende formale linguistische Textstruktur (wie in der Diskurslinguistik).

      Ein foucaultscher Diskurs besteht aus den tatsächlich aufgetretenen Aussagen, die in einer Epoche in einem sozialen Feld ein Aussagensystem gebildet haben oder bilden. Diese Aussagen sind wirkmächtig, sie sind Wissen hervorbringende und reproduzierende Praktiken sowie mit Machtwirkungen verkoppelte Sprechpraktiken. Dreyfus und Rabinow (1987) bezeichnen die foucaultschen Aussagen daher als seriöse Sprechakte und unterscheiden sie damit von den austinschen Sprechakten. Von einem Aussagensystem spricht man in der foucaultschen Diskurstheorie deshalb, weil die Aussagen eines Diskurses durch die Regeln ihrer Hervorbringung zusammengehören und als Ermöglichungszusammenhang für die je einzelne Aussage zusammenwirken. Wer was wann mit welchen Äußerungsformen anhand welcher Argumentationsstrategien über welche Sachverhalte sagen konnte und Beachtung erhielt, was abstrakte Konzepte bedeutet haben, welche Problematisierungen sie getragen oder auf sich gezogen haben, was zu einer Zeit denkmöglich war, all das ist durch die Regeln eines Aussagensystems strukturiert. Aber woher stammen diese Regeln, und wer hat sie definiert? Nach Foucault entstehen Diskurse als reglementierte Aussagensysteme nicht durch die Absichten einzelner Akteure, sondern sie sind selbst historisch in anonymen und überindividuellen Prozessen entstanden. Sind sie aber erst einmal vorhanden, stellen sie für eine relative historische Dauer ein wirkmächtiges eigengesetzliches Wissenssystem dar, das auf andere (nicht-diskursive) Praxisformen einwirkt.

      Foucault hat anstelle des Begriffs »Diskurs« auch den Begriff der »diskursiven Praxis« verwendet um hervorzuheben, dass Diskurse konstruiertes Wissen in einem sozialen Feld darstellen und nicht eine diskursunabhängige vorgängige Realität einfach abbilden. Er hat zunächst vier Bestandteile eines Diskurses unterschieden. In einem Aussagensystem treten (1) »Objekte« im Wissen erst als Objekte hervor, die nun thematisiert, klassifiziert und problematisiert werden können. Dies geschieht mit Bezug auf ebenso im Diskurs hervorgebrachte (2) »Begriffe«, also Denkkonzepte, Fachwörter, Prinzipien, Kategorien usw., die im Aussagensystem eine reglementierte Verwendungsweise und damit eine bestimmte Bedeutung haben. Akteure, die in sozialen Bereichen als (3) »Sprecher« Aufmerksamkeit erhalten wollen, bedienen sich vorbewusst der reglementierten Äußerungsmodalitäten, damit das von ihnen Geäußerte auch Geltung erhält. In einem Feld werden dann in der Weise, wie Objekte und Begriffe vernetzt, bewertet und problematisiert sind (4), thematische Wahlen (was kann thematisiert werden, und was wird ausgeblendet?) sowie denkbare Strategien und Handlungsperspektiven möglich. Diese vier Bestandteile hat Foucault diskursive Formationen genannt. Die vier diskursiven Formationen der Begriffe, Objekte, Sprecherpositionen und thematischen Wahlen/Strategien treten dabei nicht als isoliert zu betrachtende Aspekte, sondern in Verbindung miteinander auf. Insbesondere in seinen frühen Untersuchungen hat Foucault hervorgehoben, dass diese vier Formationen durch ein zugrundeliegendes Denkschema, eine Art Tiefenstruktur des Wissens, die er Episteme genannt hat, integriert werden und dass diese Episteme das Denken einer Epoche in gleich mehreren Wissensbereichen (denjenigen vom Sprechen/der Sprachwissenschaft, vom Tauschen/der Ökonomie und vom Leben/der Biologie) zu integrieren in der Lage war (Diaz-Bone 2013).

      Die foucaultsche Analyseperspektive ist zunächst diejenige der (von ihm so benannten) »Archäologie«. Wie der Archäologe sich Monumenten einer vergangenen Epoche ohne Vorwissen und ohne die Kenntnis der Deutungsmuster dieser Epoche nähert, so betrachtet der Diskursanalytiker einen zeitgenössischen Diskurs, ohne die verstehende Perspektive von Akteuren einzunehmen und mit der erkenntnistheoretischen Distanzierung, dass ein Diskurs keine simple Abbildung einer nicht-diskursiven Wirklichkeit sei. Die Frage des Archäologen ist dann: Welche Wissensordnung ist anhand welcher Klassifikationen, Denkprinzipien, Begriffe, Konzepte möglich? Foucault hat eine für Europäer befremdliche Klassifikation angeführt, die er zwar als fiktive Klassifikation bei dem Schriftsteller Jorge Luis Borges entlehnt hat, die aber gut demonstriert, was den archäologischen Blick ausmacht: die Einnahme einer außenstehenden Perspektive auf die zu analysierenden Wissensordnungen. Borges berichtet von einer »chinesischen Enzyklopädie«, in der Tiere anhand einer Taxonomie wie folgt klassifiziert werden: 1) Tiere, die dem Kaiser gehören, 2) einbalsamierte Tiere, 3) gezähmte, 4) Milchschweine, 5) Sirenen, 6) Fabeltiere, 7) herrenlose Hunde, 8) in diese Gruppierung gehörige, 9) die sich wie Tolle gebärden, 10) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, 11) und so weiter, 12) die den Wasserkrug zerbrochen haben, 13) die von weitem wie Fliegen aussehen. Foucault zählt die Kategorien auf und konstatiert anschließend: »Bei dem Erstaunen über diese Taxonomie erreicht man mit einem Sprung, was in dieser Aufzählung uns als der exotische Zauber eines anderen Denkens bezeichnet wird die Grenze unseres Denkens: die schiere Unmöglichkeit, das zu denken« (Foucault 1971, S. 17; H.i.O.). Und Foucault fragt von hier aus weiter: Was ist eigentlich möglich für uns zu denken? Das zu beantworten soll Aufgabe der Archäologie sein. Die archäologische Analyseperspektive wird ergänzt durch die genealogische Analyseperspektive, die nun auch nicht-diskursive Praktiken einbezieht und nach den Wechselbeziehungen zwischen diskursiven Praktiken und nicht-diskursiven Praktiken fragt. In dieser heute so bezeichneten Dispositivanalyse (Link 2013; Jäger 2012) wird das Beziehungsgeflecht aus Wissenspraktiken einerseits und Institutionen, Verfahrensweisen, Techniken andererseits untersucht. Die genealogische Perspektive betrachtet die Diskurse sowohl als Resultat als auch als Grundlage sozialer (Macht-) Prozesse und bezieht in die Analyse solche theoretischen Konzepte ein, die zur Veränderung der diskursiven Formation (der Regeln) beitragen.

      Mit dem Begriff des diskursiven Ereignisses wird in der Diskurstheorie denkbar, dass diskursive Prozesse nicht einfach Ent-Faltungen von im Diskurs angelegten »Logiken« sind, sondern beeinflusst werden durch die Eigenschaft von Aussagensystemen, Aussagen mit Ereignischarakter hervorzubringen. Aussagen können nicht einfach wiederholt werden, wenn sie etwas Ereignishaftes, das heißt etwas Einmaliges an sich haben: Wiederholt man einfach eine Aussage, ist der Sinn im Aussagensystem ein anderer, und es liegt ein anderes Ereignis vor! Aussagen können eine ungeplante nicht teleologische Veränderung des Regelsystems hervorbringen. Hier öffnet sich der strukturalistische Ansatz zu einer poststrukturalistischen Sicht auf Regelsysteme der diskursiven Praxis, die in Veränderung sind und die nur virtuell geschlossen zu denken sind. Michel Pêcheux (1982) hat darauf hingewiesen, dass Diskurse (abgrenzbare durch Regeln beschreibbare Wissensordnungen) eingebettet sind in Interdiskursordnungen. Letztere bewirken, dass in Diskursen Widersprüche und Inkohärenzen auftreten, die die diskursive Praxis zu verbergen versucht, die aber dennoch für eine stetige und produktive Unruhe in Diskursen sorgen. In Deutschland hat Jürgen Link die Interdiskurstheorie aufgegriffen