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Qualitative Medienforschung


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Wissenschaftsdiskursen) und Interdiskursen, die im Wortsinn eher als allgemeine, populäre Wissensregionen zu verstehen sind, die massenmedial verankert sind und die den Austausch zwischen Spezialdiskursen bewerkstelligen, sodass diese für große Bevölkerungsgruppen »übersetzt« werden. Bei dieser Übersetzung spielen Kollektivsymbole eine wichtige Rolle (vgl. Becker u.a. 1985). Soll etwa der ökonomische oder finanzpolitische Diskurs massenmedial aufbereitet und popularisiert werden, helfen Kollektivsymbole, wie dasjenige des »Motors« aus: Die Weltwirtschaft springt an, muss geschmiert werden oder gerät ins Stocken etc. Kollektivsymbole können als epistemische, also Interdiskurse auf tieferer Ebene organisierende Elemente aufgefasst werden. Diskursanalyse wird dann zur Kollektivsymbolanalyse und der Analyse von Diskurspositionen, die sich durch einen unterschiedlichen Gebrauch der in Interdiskursen vorhandenen Repertoires von Kollektivsymbolen auszeichnen. Diskurspositionen unterscheiden sich danach, wie sie Kollektivsymbole verwenden, nicht dadurch, dass ihnen unterschiedliche Repertoires von Kollektivsymbolen zur Verfügung stehen. Beispiel: das Kollektivsymbol des sozialen »Netzes« kann als Sicherheit verbürgende Metapher eingebracht werden (soziales Netz = Auffangnetz für sozial Schwache) oder als Metapher für Faulenzertum (soziales Netz = soziale Hängematte). Jede massenmediale verfasste Gesellschaft weist eine solche Kollektivsymbolordnung (die Link »System synchroner Kollektivsymbole« nennt) auf, die die Infrastruktur für massenmedial wirksame Interdiskurse bildet.

      Siegfried Jäger (2012) hat mit Bezug auf Link und Pêcheux die Diskursstränge zum Konzept der Diskursanalyse gemacht. Diskursstränge stellen für Jäger die vernetzten Bestandteile von Diskursen dar, die bei Foucault die vier Formationen waren. Bei Jäger werden Diskurse daraufhin analysiert, aus welchen Diskurssträngen (Themensträngen) sie bestehen, wie die Diskursstränge sich entwickeln und wie sie im Diskurs miteinander vernetzt werden. Alle sozialwissenschaftlich interessierten Diskursanalytiker in der Tradition Foucaults haben gemeinsam das Interesse, zum einen zu versuchen, nicht einzelne Diskurse zu analysieren, sondern Diskurse einmal (in synchroner und diachroner Perspektive) mit anderen Diskursen zu vergleichen und zum anderen Diskurse im Zusammenhang mit nicht-diskursiven Praktiken zu betrachten. Zielsetzung ist, den Gehalt der sozialkonstruktivistischen Ansätze auch analytisch einzulösen. Dass das Soziale durch soziale Prozesse hervorgebracht ist, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. In detaillierten Analysen zu zeigen, wie diese Konstruktion erfolgt ist, ist Aufgabe empirisch orientierter sozialkonstruktivistischer Forschung, wozu auch die Diskursanalyse zu zählen ist. Praktisch erfolgt dies durch den Beleg, dass soziale Wissensordnungen und Dispositive in ihrer Entstehung kontingent sind. Diesen Nachweis kann man einmal anhand der Vergleichsperspektive einzulösen versuchen. Denn wenn demonstriert werden kann, dass Wissen nicht einfach nur Wissen-von-etwas ist (im Sinne einer sprachlichen Wiederholung vorgängiger objektiver und vorsprachlicher Welt), sondern eine davon weitgehend abgekoppelte Sphäre ist, dann sieht man, dass in den sozialen Feldern jeweils verschiedene »Weltauslegungen« möglich sind, dass die vorsprachliche Welt sinnhaft unvollständig ist und deshalb Interpretation erfordert, und dass es Diskurse sind, die in die soziale Welt Wertungen, Wertigkeiten, Deutungen und letztlich Ordnung einbringen und somit Verstehen möglich machen. Die diskursanalytische Vergleichsperspektive kann dann aufzeigen, dass eine vorhandene Weise der Weltauslegung auch anders möglich wäre. Dieser konstruktivistische Blick zersetzt oder entzaubert damit Alltagsevidenzen (Deontologisierung): in historischer (diachroner) Perspektive durch den Nachweis, wie Diskurse in sozialen Prozessen entstanden sind, ohne eine innere Teleologie (Zielgerichtetheit) der Diskursentwicklung zu unterstellen, in synchroner Perspektive durch die Suche nach vergleichbaren sozialen Feldern (oder Teilfeldern) und den Nachweis, wie sich die dort vorfindbaren Diskursordnungen warum unterscheiden.1

      Die foucaultsche Diskursanalyse ist durch eine poststrukturalistische Hermeneutik charakterisierbar. Dreyfus und Rabinow (1987) haben diese Hermeneutik »interpretative Analytik« genannt, die von subjektzentrierten Hermeneutiken und strukturalistischen Interpretationsansätzen abgrenzbar ist (Diaz-Bone 2013, in Vorbereitung). Es geht in der Rekonstruktion und Deutung von Diskursen als Sinnregionen nicht um die Erfassung von Subjektverstehen, also um die Bedeutung, die Diskurse als Wissensregionen für die Beteiligten haben. Diskurse werden als Praxisformen aufgefasst mit Regeln, die für die in Diskurse »verwickelten« Individuen nicht vollständig bewusst sein müssen. Erst wenn man ein Aussagensystem als Wissensordnung in einem sozialen Feld untersucht und eine vergleichende oder distanzierende Perspektive in der Analyse einnimmt, kann versucht werden, die Grundmuster des Wissens und die Regeln der diskursiven Praxis nach und nach zu rekonstruieren, wie sie den Beteiligten gar nicht vor Augen stehen müssen. Die interpretative Analytik ist auch zu unterscheiden von im engeren Sinne strukturalistischen Interpretationsansätzen, da nicht angenommen wird, dass die Wissensordnung und die diskursive Praxis als statisch oder durch universale Oppositionen organisiert werden. Die diskursive Praxis ist eine strukturierte, also eine durch Regelmäßigkeiten beschreibbare Praxisform, die sich verändert und die je nach sozialem Feld und Epoche unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Auch vertritt der frühe Strukturalismus die erkenntnistheoretische Position von einer Objektivität (Positivität) der Regeln für Wissensproduktion. Die interpretative Analytik ist dagegen eine konstruktivistische Methodologie. Darunter ist zu verstehen, dass Diskursanalytiker vor Beginn der Untersuchung unterstellen, es gebe Diskurse in bestimmten sozialen Feldern und Epochen, die durch rekonstruierende Analyseschritte herausgearbeitet werden könnten. Das Resultat von Diskursanalyse hat dann aber den Status einer sozialen (wenn auch wissenschaftlichen) Konstruktion, es handelt sich um einen methodisch erarbeiteten Diskurs über Diskurse. Die diskursanalytische Vorgehensweise führt eine konstruktivistische Doppelbewegung aus:

      1) Diskurse sind nicht einfach als abgrenzbares Aussagensystem direkt und offen erkennbar. Die Diskursanalyse konstruiert eingangs eine Forschungsperspektive, die theoretisch gestützt unterstellt, dass eine abgrenzbare Regelhaftigkeit der Wissensproduktion, also eine diskursive Formation (von »Begriffen«, »Objekten«, Sprecherpositionen, thematischen Wahlen/Strategien) mit einer bestimmten Tiefenstruktur in einer Epoche in einem sozialen Feld vorfindbar ist.

      2) Anhand von methodischen Schritten wird Material zusammengestellt, von dem angenommen wird, dass sich aus ihm die Regeln der diskursiven Praxis diskursanalytisch herausarbeiten lassen. Diese interpretative Analytik ist ebenfalls eine Konstruktion, da sie versucht, schließend (»abduktiv«) aus dem bedeutungstragenden Material (dem »Wissen«) die Praxis zu rekonstruieren, die dieses hervorbringt.

      Beide Schritte sind Teil des methodologischen Versuchs, die diskurstheoretische Perspektive zu realisieren. Aus dem Material muss dann das System der diskursiven Regelmäßigkeiten nach und nach rekonstruiert werden. Dabei liegt eine Art »Münchhausen-Problem« vor: Wie der Lügenbaron sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will, so muss sich die Diskursanalyse ohne A-priori-Kategorien auf das unstrukturierte Material einlassen, um dann nach und nach die Ordnungsdimensionen im Material zu erkennen.

      Ausgangssituation für Diskursanalysen sind Fragestellungen, die in aller Regel nicht allein diskurstheoretische sind. Denn die Diskurstheorie ist »unterspezifiziert«, sie allein ist keine vollständige theoretische Perspektive. Die Diskurstheorie kann in unterschiedlicher Weise ergänzt werden, zum Beispiel um Sozialstrukturmodelle, um Handlungs- und Strukturtheorien, um Feldtheorien, um Theorien sozialer Institutionen und Organisation (wie Medieninstitutionen), um Theorien sozialer Identitätsbildung und sozialer Konflikte. Diskurstheorien können sinnvoll mit solchen soziologischen Theorien verknüpft werden, die dem kollektiven Wissen zwar eine wichtige Rolle zuerkennen, aber selbst nicht ausreichend anleiten, wie man dieses Wissen als eine konstruktive Praxis konzipieren und/oder systematisch analysieren kann. Bedingung dabei ist jeweils, dass die anzukoppelnden Theorien nicht mit Grundpositionen der Diskurstheorie (wie z.B. Konstruktivität des Sozialen, Ablehnung einer subjektzentrierten Hermeneutik oder Ablehnung eines zielgerichteten Geschichtsmodells) in Konflikt geraten. Eine solche Verknüpfung ergänzt die Diskurstheorie um wichtige begriffliche Konzepte und klärt, warum welche Diskurse analysiert werden sollen und wofür die Resultate einer Diskursanalyse gebraucht werden. Bevor eine Skizze vorgestellt wird, wie der Ablauf einer Diskursanalyse anhand typischer Phasen unterteilt werden kann, sei darauf hingewiesen, dass der Begriff »Diskursanalyse« ein Forschungsprogramm bezeichnet, dem verschiedene Forschergruppen zugehören. Aber dieses Forschungsprogramm ist nicht durch eine kanonisierte, also eine festgelegte und für alle Diskursforscher einheitliche Methode gekennzeichnet