Dagmar Fenner

Selbstoptimierung und Enhancement


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Michael, 27f./FukuyamaFukuyama, Francis, 147).Biokonservatismus

      Liberale Kritiker diskreditieren ein solches Festhalten am Gegebenen und Gewohnten oder die Privilegierung von Bauchgefühlen als unmoralisch, amoralisch oder irrational, da sich viele biokonservative Bedenken als argumentativ nicht stichhaltige Vorurteile entlarven lassen (vgl. dazu RanischRanisch, Robert, 215). Sie werfen den Biokonservativen vor, mit suggestiven und stark emotional aufgeladenen Begriffen wie „Würde“ oder „Natur“ und diffusen pessimistischen Zukunftsperspektiven die Enhancement-Diskussion unnötigerweise zu dramatisieren (vgl. HeilingerHeilinger, Jan-Christoph, 142f.). Denn der Mensch hat sich als das einzige nicht-festgestellte Tier im Laufe der natürlich-biologischen und kulturellen Evolution so stark gewandelt, dass die Idee einer feststehenden „NaturNaturmenschliche“ des Menschen als unhaltbar und die Rede vom „Verlust“ des Menschseins oder des menschlichen Selbstverständnisses als völlig übertrieben und unangemessen erscheinen (Kap. 2.4). Nach dem starken Schwinden der Bindungskraft der christlichen Religion sind auch von religiösen Menschen in öffentlichen ethischen Debatten Gründe und Argumente zu erwarten, die keinen bestimmten Glauben voraussetzen und allein kraft der menschlichen Vernunft nachvollziehbar sind (vgl. dazu Fenner 2016, 219f.). Während ein Generalverdacht gegen das Streben nach mehr Gesundheit, Lebensqualität und Glück mittels medizinischer Fortschritte rational nicht gerechtfertigt werden kann, geben christliche Grundeinstellungen wie die Ehrfurcht vor dem Leben oder der Topos vom Leben als Geschenk Gottes keinen Aufschluss über die Legitimität oder Verwerflichkeit konkreter einzelner Eingriffe in die Natur (vgl. ebd., 248/KassKass, Leon u.a., 289). Heftig umstritten ist selbst unter BiokonservativenBiokonservatismus KassKass, Leon’ Postulat einer „moralischen Weisheit des Ekels“, die sich mit der Vernunft nicht vollständig erfassen lasse (vgl. KassKass, Leon 1998, 18f.). Ganz grundsätzlich werden zwar die meisten unserer moralischen Überzeugungen von normengebundenen GefühlenGefühlemoralische wie Achtung, Empörung oder Ekel begleitet, die in aller Regel in der moralischen Erziehung zusammen mit den moralischen Urteilen gelernt werden (vgl. Fenner 2008, 209). Solche Gefühle moralischer Billigung oder Missbilligung sind aber keineswegs an sich schon „weise“, sondern ihre Angemessenheit und Legitimität hängt von den ihnen zugrunde liegenden rationalen Überzeugungen ab. Negative Gefühle von Ekel oder Empörung können daher immer nur Indizien für moralische Verstöße sein, nicht aber Beweise für die moralische Falschheit bestimmter Handlungsweisen. Aus Sicht einer säkularen rationalistischen Ethik ist die Orientierung an moralischen Grundpfeilern wie „authority/respect“ (4) oder „purity/sanctity“ (5) problematisch, weil diese höchstens zu einer moralpsychologischen Erklärung von Standpunkten, nicht aber zu ihrer Begründung beitragen.

      2) Bioliberale allgemein

      Innerhalb des „Mainstream“ des BioliberalismusBioliberalismus findet sich eine große Bandbreite von gemäßigten bioliberalen Positionen bis hin zu radikalen Trans- oder Posthumanisten, die allesamt das ethische Prinzip der FreiheitLiberalismus als das höchste betrachten. In der akademischen Enhancement-Debatte dominieren gemäßigte bioliberale Publikationen mit teilweise programmatischen gemeinsamen Manifesten etwa der Gruppe um Martha FarahFarah, Martha oder Thorsten GalertGalert, Thorsten und Bettina Schöne-SeifertSchöne-Seifert, Bettina. Sofern das höchste individualethische Prinzip der Freiheit oder Autonomie überhaupt näher erläutert oder definiert wird, beschränken sich Bioliberale meist auf einen Minimalbegriff (vgl. dazu RanischRanisch, Robert, 208): Freiheit meint dann die in liberalen Gesellschaften garantierte Fähigkeit einer Person, ihr Leben ohne äußeren Zwang seitens von Staat oder Gesellschaft nach eigenen Wertvorstellungen und Zielen leben zu können und über ihren Körper und ihr Wohlergehen selbst bestimmen zu dürfen (vgl. GalertGalert, Thorsten, 41/GesangGesang, Bernward, 82). Was ein gutes Leben sei, welche technologischen Neuerungen für jemanden eine Verbesserung darstellen und welche Risiken er dafür in Kauf nehmen will, soll ganz dem Einzelnen überlassen bleiben und dürfe nicht allgemein geregelt werden. Bioliberale bewerten Enhancement-Methoden grundsätzlich positiv und plädieren für ihre moralische Erlaubnis, weil dank immer neuer Verbesserungsmöglichkeiten unliebsamer Eigenschaften oder Dispositionen die individuellen Wahlmöglichkeiten und die Chancen auf ein besseres Leben mit mehr Lebensqualität stetig ansteigen. Viele lehnen Unterscheidungen zwischen „natürlichen“ und „künstlichen“, „normalen“ oder „anormalen“ oder „gesundheitsbezogen“ und „nicht gesundheitsbezogen“ Maßnahmen ab, sodass es für persönliche Ziele wie etwa die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit oder Verbesserung des seelischen Wohlbefindens keine verbindlichen moralischen Obergrenzen gebe (vgl. GalertGalert, Thorsten, 40f.). Wichtig sei lediglich die öffentliche und ärztliche Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen einzelner Selbstoptimierungsmaßnahmen, damit die Einzelnen eine rationale Kosten-Nutzen-Abwägung vornehmen und eine informierte Einwilligung in allfällige medizinische Eingriffe geben können. Gerechtfertigt werden muss daher aus bioliberaler Sicht nicht das individuelle Streben nach Selbstoptimierung mit welchen Mitteln auch immer, sondern vielmehr das Einschränken der individuellen Wahlfreiheit (vgl. ebd., 41f.). Im Hintergrund des bioliberalen Paradigmas des Optimierens steht eine Art „negative AnthropologieAnthropologienegative“ mit der Vorstellung des Menschen als noch nicht genau bestimmtem Mängelwesen, das seine zahlreichen Schwächen seit jeher durch Überformung seiner selbst oder seiner Umwelt zu kompensieren versuchte (vgl. dazu Schoilew, 5; 23).Biokonservatismus

      Vielen BioliberalenBioliberalismus wird zu Recht ein undifferenziertes Freiheitsverständnis vorgeworfen, weil „Freiheit“ als negative Freiheit von äußeren politischen oder sozialen Handlungsschranken unterbestimmt ist und z.B. auch subtilere Formen eines sozialen Drucks zu berücksichtigen wären (Kap. 2.3). Des Weiteren blenden Bioliberale oftmals die Schwierigkeit aus, dass bei vielen neueren Enhancement-Methoden schlicht noch zu wenige Forschungsergebnisse insbesondere aus Langzeituntersuchungen für eine umfassend aufgeklärte Kosten-Nutzen-Abwägung vorhanden sind. Typischerweise verteidigen sie neue Technologien unter der hypothetischen Annahme, die diskutierten Optimierungsmaßnahmen könnten eines Tages ganz gezielt, hochwirksam und nebenwirkungsfrei die gewünschten Verbesserungen herbeiführen (vgl. dazu Schoilew, 12). Bioliberale leugnen darüber hinaus zwar in aller Regel nicht, dass durch die Verbreitung des Enhancements sozialethische Probleme im zwischenmenschlichen Zusammenleben entstehen können. Bezüglich grundlegender moralischer Prinzipien wie etwa des Nichtschadens beachten sie aber wiederum nur direkte Schadenszufügungen, nicht etwa auch strukturelle Nachteile Dritter (vgl. RanischRanisch, Robert, 209). Wo die Gefahren eines zunehmenden sozialen Drucks, unfairer Wettbewerbsverzerrungen und verstärkter sozialer Ungleichheit zur Sprache kommen, werden sie häufig relativiert: Verwiesen wird etwa darauf, Selbstoptimierung finde auch außerhalb kompetitiver Zusammenhänge statt, oder das Verbot von kognitivem Neuroenhancement am Arbeitsplatz oder an Universitäten sei ein mindestens ebenso großer Zwang wie der Druck zur Medikamenteneinnahme durch verbesserte Kollegen oder Kommilitonen (vgl. GalertGalert, Thorsten u.a., 43/FarahFarah, Martha u.a., 423). Da soziale Ungleichheit auch sonst in der Gesellschaft in allen Lebensbereichen toleriert werde, dürfe der Fortschritt hinsichtlich Gesundheit oder Lebensqualität der Menschen nicht aufgrund der Gefahr einer ungerechten Verteilung der Enhancement-Methoden beschränkt werden. Oft wird auch einfach auf den Staat mit seinen Möglichkeiten der Sozial- und Steuerpolitik vertraut, der ein weiteres Auseinanderdriften der Schere zwischen den Lebenschancen der Bürger ausgleichen müsse (vgl. GalertGalert, Thorsten, 45/FarahFarah, Martha u.a., 423). Im Zeichen seines „LiberalismusBioliberalismus mit Auffangnetz“ schlägt etwa Bernward GesangGesang, Bernward vor, nur moderate und reversible Verbesserungen mit „unbedenklichen sozialen Folgen“ zuzulassen (vgl. 11; 64; 96). Angesichts des klaren Primats individueller Selbstbestimmung und eines großen Fortschrittsoptimismus drohen jedoch soziale Probleme leicht unterschätzt und die staatlichen Möglichkeiten gezielter Sicherheitsvorkehrungen und Regulierungsmaßnahmen überschätzt zu werden.Biokonservatismus

      3) Bioliberale Trans- und Posthumanisten

      Beim TransTranshumanismus- und PosthumanismusPosthumanismus handelt es sich um breite und nur lose definierte politisch-philosophische Bewegungen, die dank radikaler Formen neuer Enhancement-Technologien und vollständiger Kontrolle der natürlichen Evolution die biologischen Unzulänglichkeiten des Menschen überwinden und durch sprunghafte Verbesserungen menschlicher Fähigkeiten eine perfekte menschliche Lebensform