Marta Fata

Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit


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und Konvertiten gleichermaßen als gefährdet betrachtete. Mit den ab 1535 obligatorisch eingeführten Zeugenaussagen und Verhören sollten Identität und die legitime Abkunft der Antragsteller bestätigt werden. Ab 1552 verlangte die Casa von den Heimatorten urkundlich beglaubigte Dokumente u. a. über Religion, Abstammung, Alter und Beruf der Antragsteller. Im Besitz der erhaltenen Genehmigung musste sich der Auswanderungswillige schließlich in der Casa auch in ein Passagierregister eintragen lassen, wo neben seinen Angaben sein Schiff notiert wurde. Um die trotz oder gerade wegen der strengen Vorschriften der Auswanderung nicht vermeidbare illegale Migration zu unterbinden, wurde bald die Regelung eingeführt, dass die Passagierlisten die Reise mit in die Neue Welt antraten, um so die illegalen und blinden Passagiere zu ertappen und sie nach Spanien zurückzuschicken.

      Das aufwendige System der Identifizierung, Legitimierung und Authentifizierung mit Selbstbeschreibung und Zeugenaussagen machte sich die Erfahrungen der Inquisition zunutze. Doch das System entstand nicht allein aus der Sorge um die christliche Abstammung der Auswanderer im Sinne der spanischen Doktrin der Reinheit des Blutes, der limpieza de sangre, die sich vor dem Hintergrund der Reconquista zur Unterscheidung zwischen ethnischen und nicht-ethnischen Spaniern entfaltete. Für die strenge Regelung verantwortlich war ebenso das Bestreben, die Auswanderung ausschließlich „ehrbaren“ und arbeitsamen Menschen zu gestatten; Abenteurer sollten dagegen ausgeschlossen werden.

      Nach den vorhandenen Angaben wanderten zwischen 1506 und 1600 etwa 243.000 Spanier in die neuspanischen Gebiete ein. Der spanischen Siedlungsmigration kommt jedoch nicht wegen der Anzahl der Einwanderer eine große Bedeutung zu, sondern vor allem deshalb, weil sie die erste groß angelegte und staatlich gelenkte Ansiedlung von Siedlern in der Frühen Neuzeit darstellt. Ihre Methoden – wie das Prinzip der Freiwilligkeit, positive Selektion, zentrale Organisation, Ansiedlungsförderung durch freie Überfahrt und kostenlose Verteilung von Ackerland oder geometrisch geplante Siedlungen – wurden in Europa erst im 17. und 18. Jahrhundert von anderen Monarchien wie der der Habsburger und der Hohenzollern angewandt und weiterentwickelt.

      Anders als Spanien brachte Portugal nur allmählich Interesse an seinem südamerikanischen Kolonialgebiet, dem späteren Brasilien, auf. Von den etwa 360.000 Menschen, die zwischen 1500 und 1580 Portugal verließen, ging wahrscheinlich nur ein Fünftel nach Brasilien. Da das Gebiet über keine Edelmetallreserven verfügte, überließ die Krone die Hauptaufgabe der Nutzbarmachung des Gebietes privaten Interessenten. Eine Bevölkerungs- und Ansiedlungspolitik wurde nicht entworfen, ganz im Gegenteil, die Krone bestimmte Brasilien zunächst zum Aufenthaltsort der aus Portugal Verbannten, ganz im Sinne des schon seit dem 15. Jahrhundert praktizierten Degredado-Systems. Degredados, verurteilte Rechtsbrecher, wurden gleich nach der Inbesitznahme von neuen Gebieten in Afrika oder Indien dorthin geschickt, damit sie ihre Strafen fern von der Heimat als Soldaten oder Siedler verbüßten. Attraktiv wurde Brasilien für die portugiesische Krone erst durch die Nachfrage nach Brasilholz und nach der Umstellung auf Zuckerproduktion.

      Es gab drei Hauptarten von Kolonien: die privaten Freibrief- und Eigentümerkolonien sowie die Kronkolonien. Als Freibriefkolonien (charter colonys), in denen die Krone einer Unternehmerkompanie einen Freibrief verlieh, um Gebiete in Besitz zu nehmen, wurden 1607 Virginia, 1620 Plymouth, 1630 Massachusetts, 1635 Connecticut und 1636 Rhode Island gegründet. In den Eigentümerkolonien (proprietary colonys) wie Maryland 1634, Carolina 1663 und Pennsylvania 1681 verlieh die Krone wiederum einflussreichen Persönlichkeiten die Rechte der Koloniegründung. Als die Virginia Company of London infolge des Krieges mit den Powhatan-Indianern in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geriet, musste sie ihre Kolonie 1624 der Krone übergeben. Die Krone selbst gründete jedoch keine eigenen Kolonien, weil sie die damit verbundenen hohen Kosten scheute.

      Die Gründung der Kolonien erfolgte mithilfe von risikofreudigen Großkaufleuten und Aktionären, die sich von der Erschließung und Besiedlung der Gebiete große Profite erhofften. Allerdings waren die ökonomischen Ziele nicht selten mit religiösen verflochten. Bedrängte radikale Protestanten sollten in den neu eroberten Gebieten ganz nach Hakluyts Plänen eine neue Heimat finden. Eine der ersten Gruppen waren die sogenannten Pilgerväter, separatistische Puritaner, die die presbyterianische Kirchenverfassung ablehnten und sich von der Church of England trennten. Vor den Verfolgungen emigrierten 1605 einige ihrer Mitglieder in die calvinistische Republik der Vereinigten Niederlande, wo sie jedoch ihre religiöse Identität durch das Aufgehen in der dortigen reformierten Kirche bedroht sahen und sich deshalb entschlossen, 1617 mithilfe der Virginia Company in die Neue Welt auszuwandern. Nachdem Londoner Kaufleute als Geldgeber für die Überfahrt aufgekommen waren, segelten 1620 auf der Mayflower 102 Personen, darunter 35 Puritaner, nach Nordamerika und gründeten die Siedlung Plymouth. Die Auswanderung dieser Gruppe ging seit dem 19. Jahrhundert in die historische Erinnerung der US-Amerikaner als Teil ihres Gründungsmythos ein und die Mayflower wurde zu dessen Symbol.

      Die Einwanderer in den englischen Kolonien bestanden zunächst nur zum kleinen Teil aus solchen Migranten, die ihre Fahrt in die Neue Welt selbst bezahlen konnten. Zum Großteil waren sie sogenannte Kontraktknechte (indentured servants), die ihre Arbeitskraft im Voraus verkauften, um nach Nordamerika zu gelangen. Auswanderungswillige gaben freiwillig vorübergehend ihre Freiheit auf und verrichteten eine Art Zwangsarbeit in den Kolonien. Sie schlossen schon im Mutterland mit einem Agenten, meist dem Schiffseigner oder dem Kapitän eines Schiffes, einen Vertrag ab, in dem sie sich für einige Zeit, in der Regel zwischen drei und zehn Jahren, für eine Arbeit in der Neuen Welt verpflichteten. Dafür erhielten sie freie Schiffspassage und Verpflegung während der Überfahrt. Bei ihrer Ankunft wurden sie den meistbietenden Plantagenbesitzern oder Siedlern verkauft. Während der Zeit ihrer Verdingung erhielten sie freie Kost und Logis und nach dem Ablauf des Kontrakts in der Regel Land. Dieser neue Typus des Siedlermigranten sollte die englische Auswanderung vor allem im 17. Jahrhundert charakterisieren. Doch sie wurde auch noch im 18. Jahrhundert in abgewandelter Form praktiziert, als Mittellose aus Großbritannien und Europa in die Kolonien auswandern wollten.

      Die allermeisten indentured servants wählten diese Form der Auswanderung aufgrund ihrer Armut. Die Ursache dafür war vor allem in dem Übergang von der feudalen zur frühkapitalistischen Produktion in der englischen Landwirtschaft zu suchen. Die Einhegung von Ackerland für Schafweiden sowie die erheblichen Pacht- und Steuererhöhungen ließen die Zahl der Arbeitslosen und Vagierenden ständig wachsen. Die Auflösung von Privatarmeen, der Ausbruch des Bürgerkrieges