zu einer kulturell pluralen Gesellschaftsordnung bei. Die Arbeiten von Glazer und Moynihan stellen einen Wendepunkt in der Forschung dar, weil sie das bis dahin vorherrschende Konzept des kulturellen Schmelztiegels widerlegten und anstelle der Assimilationstheorie eine nicht mehr unidirektionale und an die nationalstaatlichen Grenzen gebundene Theorie des Pluralismus in der Integrationsforschung einführten.
Diese Gedanken aufgreifend entwickelten die Ethnologinnen Linda Basch, Nina Glick Schiller und Cristina Blanc Szanton das Konzept der transnationalen Migration.[30] In ihren Arbeiten wandten sie sich jenen Migranten zu, die zwischen ihrem Herkunfts- und Zuwanderungsland pendeln und im herkömmlichen Sinne weder als permanente noch als temporäre, sondern vielmehr als zirkulierende Migranten zu beschreiben sind. Die Migranten schaffen über nationale Grenzen hinweg soziale Verbindungen, die durch ihre familiären Bindungen und vielfältigen ökonomischen, politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Aktivitäten voneinander entfernte geografische Standorte zu einem eigenen sozialen Raum verdichten. Mithilfe ihrer Netzwerke in den Herkunfts- und Zuwanderungsländern bewegen sich diese Migranten in transnationalen sozialen und kulturellen Räumen und entwickeln transnationale Identitäten. Das transnationale Konzept ermöglicht, neben den Migranten auch die Daheimgebliebenen stärker in den Blick zu nehmen, zu denen die Migranten weiterhin enge Beziehungen pflegen.
In der deutschen Migrationsforschung hat Ludger Pries den Forschungsansatz der Transnationalität eingeführt.[31] Nach ihm sind die dauerhaften Ortswechsel der Migranten in einem pluri-lokalen, transnationalen Sozialraum sowohl als räumliche Bewegungen als auch als soziale Wechsel zu verstehen. Die Raumerfahrung der Migranten variiert stark, abhängig von ihrer jeweiligen Chancen- und Ressourcenausstattung: Denn während kosmopolitische Jet-Setter den Raum als eine pluri-lokal oder international zusammenhängende Einheit erfahren, leben etwa Flüchtlinge in einer räumlich gespaltenen Welt, in der ihre weit entfernte Herkunftsgemeinde viel bedeutsamer sein kann als ihre Ankunftsregion.
Kritik erfuhr das Konzept der Transnationalität, weil es ihm trotz des erklärten Ziels nicht gelungen war, den nationalstaatlichen „Container“ zu verlassen. Vorgeschlagen wurde deshalb, den Blick von den geografischen und sozialen Räumen mehr auf die Differenziertheit und Komplexität der Kulturen zu verlagern. Das Konzept geht davon aus, dass Kulturen nicht homogen und klar voneinander abgrenzbar sind, sondern einander durchdringen. Migranten werden als transregionale oder translokale Akteure bewertet, die kulturelle Verknüpfungen hervorbringen. Aus der Interaktion zwischen Einheimischen und Migranten entstehen kulturelle Ausdrucksformen, die nicht einfach nur international oder transnational, sondern auch transkulturell gekennzeichnet sind. Der Philosoph Wolfgang Welsch, der den Begriff in den 1990er-Jahren in Deutschland eingeführt hatte, hob hervor, dass die durch die globale Migration hervorgerufene und immer häufigere Begegnung unterschiedlicher Kulturen zu einer Verwischung oder sogar zu einer Aufhebung der kulturellen Grenzen führt.[32] Die Folge ist eine Transkulturalität, die allerdings nicht mit einer Globalkultur oder uniformen Weltkultur gleichzusetzen ist. Vielmehr bildet sich eine Vielheit neuen Typus, die durch hybride Kultur- und Identitätsformen gekennzeichnet ist. Nichts ist gänzlich Fremdes und auch nicht gänzlich Eigenes mehr.
Andere Ansätze in der Forschung heben dagegen hervor, dass Migration eine existenzielle Erfahrung der Diversität, der Differenz oder der alltäglichen Konfrontation mit dem Anderen bedeutet. Untersucht wird deshalb die Frage, wie Gesellschaften mit der wachsenden kulturellen und religiösen Vielfalt umgehen, die durch die Einwanderungen entsteht. Da die Zuwanderung von Fremden auch für die Sesshaften eine ungeahnte kulturelle Herausforderung darstellt, stellen sich zudem die Fragen nach den sich verändernden Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung zu Immigration bzw. nach den Kompetenzen und dem Mehrwert des Immigranten für die Zuwanderungsgesellschaft.
Migration wurde lange Zeit als ein androzentrisches Phänomen betrachtet, bei dem Frauen lediglich als Anhängsel wandernder Männer oder als Zurückgebliebene wahrgenommen wurden. Seit den 1980er-Jahren etablierte sich ein Forschungsansatz, der Fragen der Migrations- und Frauenforschung miteinander verbindet. In zahlreichen Studien, darunter in den Arbeiten von Hasia R. Diner, wurde seitdem die Annahme widerlegt, dass Frauen weniger mobil seien als Männer.[33] Allerdings konzentriert sich die Forschung auch in diesem Bereich weitgehend auf die Zeit seit der Industrialisierung. Die geschlechtertheoretische Migrationsforschung greift transkulturelle und intersektionale Perspektiven auf, wodurch verschiedene Kategorien wie etwa Geschlecht, Ethnie und Alter mit dem Ziel in die Untersuchungen einbezogen werden, multiple Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse zu analysieren.
Infolge der globalen Zunahme von Wanderungsbewegungen und des gleichzeitigen Wunsches, Migration zu steuern und zu lenken, wurden in der Politikwissenschaft Theorien zu Governance und Management von Migrationen entwickelt. Ansätze dieser Theorien wurden auch von der Historischen Migrationsforschung aufgegriffen und weiterentwickelt, indem Migranten nicht ausschließlich als Objekte betrachtet werden, sondern auch als handelnde Subjekte. Im Fokus des Forschungsansatzes „Migrationsregime“ stehen Fragen nach den staatlichen Praktiken, Organisationen und Institutionen einerseits und den Handlungsmöglichkeiten der Migranten andererseits. Damit versucht das Konzept des Migrationsregimes – anders als alle anderen Konzepte –, einen komplexen Zugriff auf sämtliche Teilaspekte des Migrationsprozesses zu gewinnen.
Nach Jochen Oltmer, der sich in Deutschland dezidiert diesem Forschungsansatz widmet, erfolgt Migration immer unter bestimmten Kontroll-, Steuerungs- und Kategorisierungsmaßnahmen, an deren Bestimmung und Durchsetzung mehrere Akteure beteiligt sind.[34] So versuchen institutionelle Akteure bei der angestrebten Regulierung der Wanderungs- und Niederlassungsvorgänge ihre eigenen Normen, Gesetze und Strategien durchzusetzen, können aber die spezifischen Merkmale oder Interessen der Migranten nicht ignorieren. Diese entwickeln nicht selten eigene Strategien, um Einfluss auf die Praktiken der staatlichen Institutionen zu nehmen. Migration ist deshalb immer auch als ein Aushandlungsprozess zu definieren. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Gestaltung ist nicht nur von den Interessen der Akteure, sondern auch von politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Verwaltungstechniken und Steuerungsinstrumenten stark beeinflusst.
Nach dieser kursorischen Darstellung der wichtigsten theoretischen Ansätze zur Erklärung von Migrationen kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sie stets aus den aktuellen Herausforderungen ihrer Zeit entstehen und somit immer im zeitlichen Kontext ihrer Entstehung zu beurteilen sind. Ihre Übertragbarkeit auf aktuelle oder historische Migrationen ist deshalb auch nicht immer möglich, doch ihre zentralen Aussagen behalten meist ihre Gültigkeit.
1.3 Von der Wanderungs- zur Historischen Migrationsforschung in Deutschland
Die Historische Migrationsforschung als Teilbereich der Geschichtswissenschaft etablierte sich in Deutschland erst seit den 1980er-Jahren, obwohl die Wanderungsforschung auch in Deutschland bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt erlebte. Das Augenmerk richtete sich damals infolge der Hochindustrialisierung und Urbanisierung zunächst auf die Massenauswanderung in die USA, dann auf die Land-Stadt-Migration sowie die Einwanderung von Arbeitskräften. In der Zwischenkriegszeit wurden die Diskussionen über die Wanderungsbewegungen stark unter deutschnationalen und völkischen Gesichtspunkten geführt; in den Fokus gerieten dabei immer mehr auch Fragen der „Ostkolonisation“ und die deutschen Migranten als „Kulturpioniere“ im östlichen Europa. Es verfestigten sich, gewissermaßen als Meistererzählungen, gleichzeitig zwei Erklärungen für die Auswanderungsbewegungen, die sich bis in die 1980er-Jahre hielten. Nach der einen Erklärung war Migration das Ergebnis der unverhältnismäßigen Entwicklung zwischen Bevölkerungszahl und dem zur Verfügung stehenden Nahrungsspielraum. Um den so auf der Gesellschaft lastenden Bevölkerungsdruck zu minimieren, wurde die Auswanderung als notwendiges Ventil zur Vorbeugung einer gesellschaftlichen Destabilisierung interpretiert. Die zweite Erklärung meinte, die Ursache für die Massenauswanderung in der latenten Wanderungsbereitschaft der Deutschen finden zu können. Verwurzelt war die eine Erklärung in den kameralistischen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts, während die andere die frühen Ansätze einer Völkercharakter-Forschung aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert weiterführte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg