tragen zugleich zur Maximierung des Einkommens und schließlich sogar der Umwandlung des ländlichen Haushaltes zu einem kapitalistischen Betrieb bei.
Die vom Sozialgeografen Akin L. Mabogunje entworfene Theorie des Migrationssystems untersucht hingegen den engen Austausch von Informationen, Gütern, Kapital und Personen, die zwischen bestimmten Ländern oder Regionen stattfinden.[17] An diesen Austauschprozessen nehmen zahlenmäßig viele Migranten teil, und deren Migration, die verschiedene Formen wie z. B. Arbeitsmigration, Bildungsmigration, Familienzusammenführung und Touristenströme annimmt, erfolgt über einen längeren Zeitraum. Zwar ist das so entstandene Wanderungssystem das Ergebnis ungleicher Entwicklungen, dennoch verläuft die Migration zwischen den beiden Ländern oder Regionen nicht nur in eine Richtung. Es finden vielmehr wechselseitige Zuwanderungen wie auch Rückwanderungen statt. Voraussetzungen für ein solches Migrationssystem sind historische, kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen. Eine geographische Nähe ist dagegen nicht zwingend.
1974 entwickelte der Soziologe Immanuel Wallerstein seine Theorie über das Weltsystem,[18] die u. a. dem Konzept einer frühneuzeitlichen kapitalistischen Weltökonomie des französischen Historikers Fernand Braudel verpflichtet ist. Nach Wallerstein entstand bereits im 16. Jahrhundert ein Weltmarktsystem, in dem Zentren, Peripherien und Zwischenregionen in einem arbeitsteiligen Netz ökonomischer Tauschbeziehungen eng miteinander verbunden waren.
Mit der Weltsystemtheorie argumentierten auch Alejandro Portes und John Walton in ihrer 1981 veröffentlichten Untersuchung dahingehend, dass die innerhalb der Weltwirtschaft bestehende Ungleichzeitigkeit und die strukturelle Abhängigkeit zwischen Zentren und Peripherien dazu führen, dass kapitalistische Verhältnisse aus den Zentren in die peripheren, nicht-kapitalistischen Gesellschaften eindringen und dort eine breite Bevölkerung zur Auswanderung verleiten.[19]
Die Historische Migrationsforschung hat die systemtheoretischen Konzepte aufgreifend, mehrere Migrationssysteme im Laufe der Geschichte herausgearbeitet. Jan Lucassen [20], Leslie P. Moch [21] und Dirk Hoerder [22] beschrieben in ihren Arbeiten für das frühneuzeitliche Europa mehrere Systeme, darunter
1.
das System des auf die Hafen- und Handelsstädte und deren Hinterland gerichteten Ostseeraums,
2.
das System des auf die urbanen Niederlande gerichteten Nordseeraums und
3.
ein System, das Zentralfrankreich als Arbeitskräftereservoir mit dem Zentrum der Iberischen Halbinsel verband.
4.
Südosteuropa war Teil des den östlichen Mittelmeerraum umfassenden Migrationssystems des Osmanischen Reiches.
5.
Ein weiteres System verband das Zarenreich mit Mitteleuropa durch eine West-Ost-Wanderung von Experten und Kolonisten.
Infolge der sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts wandelnden politischen und ökonomischen Voraussetzungen veränderten sich diese Migrationssysteme. Während das Nordseesystem erhalten blieb, entstanden neue regionale und überregionale Wanderungssysteme, die vor allem auf die urbanen Zentren Europas ausgerichtet waren. Die kontinentalen Wanderungssysteme wurden ab 1500 außerdem durch ein erstes, aus Südwesteuropa auf Zentral- und Südamerika gerichtetes, dann durch ein zweites, aus Nordwesteuropa auf Nordamerika gerichtetes transatlantisches System erweitert.
Themenfelder der ökonomischen Migrationsforschung sind heute viel mehr als früher an den Schnittstellen zu anderen Disziplinen angesiedelt und greifen sozio- und verhaltensökonomische Aspekte auf. Die Öffnung geht nicht zuletzt auf die Adaptierung der von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu 1979 aufgestellten These zurück, der neben dem ökonomischen Kapital auf die Bedeutung des sozialen und kulturellen Kapitals beim Zusammenhalt von Großgruppen hingewiesen hat.[23] Eine Vielzahl der Theorien geht davon aus, dass das soziale Kapital, die Verankerung der Menschen in Werte-, Verhaltens- und Solidaritätsgemeinschaften, eine unverzichtbare Ressource der Migranten darstellt.
Vertreter der entscheidungs- und handlungstheoretischen Ansätze in der Soziologie wie Charles Tilly [24] entwarfen in den 1970er- und 1980er-Jahren die Theorie der Migrationsnetzwerke. Sie gingen davon aus, dass die Migranten bevorzugt jene Zielgebiete wählen, über welche sie durch bereits dorthin ausgewanderte Familienmitglieder, Freunde und Bekannte informiert sind und wo sie nach der Auswanderung mit einem helfenden Netzwerk rechnen können. Netzwerke stellen eine Form von akkumuliertem Sozialkapital dar, so Douglas S. Massey, und erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Migration und beeinflussen zugleich deren Ausrichtung.[25] Dabei entstehen Ketten von Migrationen, bei denen Nachwanderer die Beziehungen zu Vorausgewanderten als potentielle Ressource nutzen, um die Reise, die Suche nach Arbeit und die Eingliederung im Aufnahmegebiet erfolgreich vorbereiten und abwickeln zu können. Die Nachwanderung kann sogar eine Eigendynamik annehmen und ohne konkrete Migrationsursache, allein durch das Weiterwirken der Netzwerke ausgelöst, erfolgen. Diese Migrationsströme lassen sich nur schwer kontrollieren und regulieren. Eine Kettenmigration speist sich allerdings nicht immer aus dem Netzwerk im Einwanderungsgebiet. Auch der Rückgang und das Fehlen sozialer Beziehungen im Herkunftsort, verursacht durch die starke Aus- und Abwanderung von Verwandten und Bekannten, können die Kettenmigration für längere Zeit aufrechterhalten.
Mehrere Disziplinen widmen sich neben den Ursachen auch den weitreichenden Folgen der Migration sowohl für die Ab- und Zuwanderungsgesellschaften als auch für die Migranten selbst. Integrationsprozesse standen vor allem in klassischen Einwanderungsgesellschaften wie den USA von Anfang an im Mittelpunkt der Forschungen. Der erste Lehrstuhl für Soziologie wurde 1892 in Chicago gerade mit dem Ziel eingerichtet, Lösungen für jene sozialen Probleme zu finden, die infolge der Masseneinwanderung im 19. Jahrhundert entstanden waren.
Vertreter der Chicago-Schule wie Robert E. Park [26] entwickelten in den 1920er-Jahren die Theorie der Assimilation. Sie gingen davon aus, dass die Einwanderer sich allmählich in vier Stufen an die Zuwanderungsgesellschaft anpassen: Auf die Kontaktaufnahme zwischen Einheimischen und Einwanderern folgt zuerst die Phase des Wettbewerbs um Ressourcen wie etwa Arbeitsplatz und Wohnort. In einer nächsten Phase geht der Wettbewerb zu Konflikten zwischen Alteingesessenen und Migranten über, in deren Folge die Migranten zunächst Nischen der Gesellschaft zu besetzen versuchen. Mit der Zeit beginnen die Einwanderer sich der neuen Umgebung anzupassen, indem sie die grundlegenden Strukturen der Einwanderungsgesellschaft akzeptieren. Schließlich kommt es zu einem Ausgleich zwischen den miteinander konkurrierenden Gruppen von Einwanderern und Einheimischen. Das Endergebnis ist nicht eine einseitige Akkulturation der Einwanderer, sondern die Verschmelzung zu einer neuen, homogenen Gesellschaft. Die Häufigkeit und Intensität der sozialen Kontakte bestimmen, wie schnell und umfassend dieser Verschmelzungsprozess stattfindet. Für die Immigranten geht die Assimilation nach Park mit einer schmerzvollen Erfahrung einher, weil sie zunächst ein Leben in zwei Kulturen bewältigen müssen, zu denen sie nicht mehr bzw. noch nicht gehören. Park fasste diesen Zustand in dem Konzept des marginal man zusammen.
Die Assimilationstheorien der Chicago-Schule erwiesen sich sehr fruchtbar und wurden in den 1960er-Jahren wieder aufgegriffen. So beschrieb Milton M. Gordon Assimilation nicht nur als einen kulturellen, sondern zugleich einen sozialen Prozess, weil er davon ausging, dass die Identität der Immigranten vorrangig nicht durch ihre ethnische Herkunft, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse geprägt ist.[27] Die Assimilation setzt die Übernahme der Handlungsmuster der Mehrheitsgesellschaft durch die Einwanderer voraus und erst die strukturelle Assimilation eröffnet den Weg zur Akkulturation. Eine erfolgreiche Assimilation schafft Wertediskrepanzen und kulturelle Konflikte ab. In Deutschland vertritt Hartmut Esser ein in Grundgedanken ähnliches Assimilationskonzept, wonach erst der Erwerb kultureller Muster und die strukturelle Eingliederung der Migranten zu einer umfassenden Integration führen. Esser spricht in diesem Prozess dem Spracherwerb eine Schlüsselrolle zu.[28]
Gegenüber Gordon vertraten Nathan Glazer und Daniel Moynihan die Ansicht, dass sich ethnische Einwanderergruppen nur marginal unter dem Einfluss der Aufnahmegesellschaft verändern und dass sie, ohne die eigenen Identitäten ganz aufzugeben, mit der Zeit einen