ihre Bewohner vertrieben und versklavten oder „wie die Säue“ erstachen.[40]
Gold wie Silber besaßen einen grundlegenden Wert für das europäische Wirtschaftssystem und die Sucht nach diesen Edelmetallen bestimmte das Verhalten der Eroberer gegenüber der indigenen Bevölkerung. Die Misshandlung und Versklavung der Eingeborenen durch die Konquistadoren löste eine von spanischen Vertretern des Dominikanerordens ausgehende Debatte über ihr Wesen und ihre Stellung in der europäischen Gesellschaft aus. Auf dem Höhepunkt der Debatten prangerte Francisco de Vitoria, ein an der Universität Salamanca lehrender Dominikaner, nicht nur die Gewaltmaßnahmen gegen die Ureinwohner an, sondern stellte sogar die aus der Entdeckung abgeleitete Legitimation der spanischen Herrschaft in Südamerika in Frage. In seinen Argumenten ging er von einem für alle Menschen gültigen Naturrecht aus und sprach allen Gemeinwesen, so auch den Heiden, Autonomie zu.
Unterstützung erhielten die Befürworter des gleichberechtigt menschlichen Wesens der Ureinwohner von Papst Paul III., der in seiner 1537 erlassenen Bulle „Sublimis Deus“[41] festhielt: Alle Völker der Erde sind ihrer Natur nach wahre Menschen und als solche genießen sie Freiheit und können nicht zu Sklaven gemacht werden. Schwebte dem Papst bei seinen Argumenten die Christianisierung der indigenen Bevölkerung als Ziel vor Augen, so muss für die spanischen Könige auch das ökonomische Argument ausschlaggebend gewesen sein, denn ohne die Arbeitskraft der Eingeborenen war die spanische Einrichtung in Südamerika nicht möglich. 1542/43 stellte deshalb Karl V. in den „Leyes Nuevas“, den Gesetzen für das spanische Überseegebiet, die indigene Bevölkerung unter den Schutz seiner Krone, womit er die Maßnahmen seiner Vorgänger fortsetzte. Diese hatten schon 1500 die Versklavung der indigenen Bevölkerung untersagt. Die von Theologen und Humanisten geführten Debatten über die Ureinwohner Amerikas stießen Überlegungen über das Naturrecht, aber auch über die Bedeutung von Bevölkerung an, die längerfristig bei der Handhabung von migratorischen Fragen eine Rolle spielen sollten.
2.2 Neue Dimensionen der Migration
Die geografische Expansion bewirkte im 16. Jahrhundert, wie Immanuel Wallerstein im ersten Band seines Werkes „Das moderne Weltsystem“ ausführte,[42] die Entstehung eines ersten Weltwirtschaftssystems. Darin eingebunden waren einerseits die Iberische Halbinsel, Nordwesteuropa und der christliche Mittelmeerraum sowie Mitteleuropa und der Ostseeraum, andererseits Gebiete außerhalb von Europa, die unter spanischer und portugiesischer Herrschaft stehenden Gebiete in Südamerika, die Inseln im Atlantischen Ozean und einige Enklaven an der Westküste Afrikas. In diesem Wirtschaftsraum kam es mit der Zeit zur Arbeitsteilung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion, die nicht nur neue Formen der Arbeitsorganisation, sondern auch die entsprechende Anzahl an Arbeitskraft erforderte. Der erhöhte Bedarf an Arbeitskraft bewirkte die Entstehung eines drei Kontinente – Europa, Afrika und Amerika – umfassenden Migrationssystems.
Die Hauptakteure und größten Profiteure dieser Entwicklungen waren bis Ende des 16. Jahrhunderts die beiden Seemächte Portugal und Spanien, die 1494 die von ihren Seeleuten entdeckte außereuropäische Welt im Vertrag von Tordesillas unter sich aufteilten. Doch während Portugal lange Zeit auf Handel und Errichtung von Handelsstützpunkten mit kleinen Kolonien vor den Küsten Afrikas und in Asien setzte, kam Spanien von dieser Art der Handelskolonisation ab. Die spanischen Könige waren bestrebt, ihre Vorherrschaft in der Neuen Welt dauerhaft zu sichern und die beanspruchten Gebiete als königliche Domäne ohne adeliges Mitspracherecht in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. Mit diesen Zielen stand die Krone vor einer großen Herausforderung, die schließlich eine gelenkte Bevölkerungs- und Wanderungspolitik erforderlich machte.
Eine der größten Schwierigkeiten stellte der Zugriff auf die indigene Bevölkerung dar, der die Krone die gesellschaftliche Stellung einer freien bäuerlichen Schicht zugedacht hatte. Weniger die von den Konquistadoren und Siedlern praktizierte nicht legalisierte Versklavung der Ureinwohner stand dieser Bestrebung entgegen als vielmehr der rapide Rückgang ihrer Zahl infolge der von den europäischen Einwanderern nach Amerika eingeschleppten Krankheiten. Die Auswirkungen der Infektionskrankheiten, gegen die die indigene Bevölkerung Amerikas nicht resistent war, zeigten sich auf der Insel Hispaniola als besonders verheerend, wo nach nur wenigen Jahrzehnten des Zusammenlebens die Mehrheit der Ureinwohner den Krankheiten zum Opfer gefallen war. Auf dem Festland sollte sich die demografische Katastrophe wiederholen. Berechnungen gehen davon aus, dass der ursprüngliche Bevölkerungsstand Südamerikas bis Ende des 16. Jahrhunderts auf etwa 13 Prozent zurückging.
Die Erkenntnis der dringend notwendigen Schutzmaßnahmen für die indigene Bevölkerung veranlasste die spanische Krone, das Prinzip der „zwei Gemeinwesen“ einzuführen. Das bedeutete das Aufgeben des bis dahin praktizierten Zusammenlebens der indigenen Bevölkerung und der spanischen Einwanderer zugunsten von räumlich getrennten Siedlungen. Die neuen Dörfer der Indigenen, die anstelle der Streusiedlungen durch die teilweise zwangsweise durchgeführte Zusammensiedlung entstanden waren und in denen ab Mitte des 16. Jahrhunderts nur sie wohnen durften, wurden nach dem Muster der spanischen Dörfer errichtet. Mit der Kirche im Mittelpunkt wurden diese Siedlungen mit der Zeit nicht nur zum wichtigen Schauplatz der Christianisierung, sondern zugleich der beginnenden und allmählichen Europäisierung der indigenen Bevölkerung, womit ihre kulturelle Entfremdung den Anfang nahm.
Vor einer weiteren schwierigen Aufgabe sah sich die Krone im Fall der spanischen Konquistadoren, die als Wegbereiter der spanischen Herrschaft in der Neuen Welt ein starkes aristokratisches Selbstbewusstsein entwickelten und die Niederlassung als Bauern oder Handwerker für nicht erstrebenswert hielten. Auch nach dem allmählichen Abschluss der Eroberungszüge zogen die meist mittellosen Konquistadoren das Herumstreifen dem sesshaften Leben vor, während zum Wohlstand gekommene die Heimreise bevorzugten. Doch weder die mobile Lebensform noch die Rückkehr wurde von der Krone gutgeheißen, weil diese an der Stabilität der spanischen Einwanderer in den neuen Provinzen interessiert war. Sie versuchte deshalb, die Rückkehr durch die Einführung einer Genehmigung für die Heimreise zu unterbinden und zugleich Anreize für die Niederlassung in der Neuen Welt zu geben.
Die Konquistadoren, die hauptsächlich als Handwerker, Händler und Seeleute aus dem städtischen Milieu stammten, sollten in neu gegründeten Städten angesiedelt werden. Jeder Siedler erhielt ein Grundstück zum Hausbau und außerhalb der Stadt eine Landparzelle zur Selbstversorgung. Die geregelte Form der Ansiedlung ergab das charakteristische, seit 1521 vorgeschriebene Schachbrettmuster der neuspanischen Städte. Als Vorbild dazu dienten nachweislich die Pläne des römischen Stadt- und Kriegsbaumeisters Marcus Vitruvius Pollio aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Die geordnete Anlegung der Straßen wie auch die Registrierung der Einwohner sollten den Zweck der besseren Kontrolle der zu Müßiggang neigenden Neubürger erfüllen.
Eine nicht minder große Aufgabe für die Krone stellte die kontrollierte Einwanderung in die überseeischen Provinzen dar. Nachdem Amerikas Eroberung kein fester Plan zugrunde lag, wurde auch keine planmäßige Einwanderung von Siedlern aus dem Mutterland entwickelt. Solchen Plänen hätte auch das fehlende Reservoir an Arbeitskräften in Spanien widersprochen, hinterließen doch die erst 1492 vollendete Reconquista und die darauffolgende Ausweisung der Juden große Lücken in der Bevölkerung.
Die spanische Krone führte ein strenges Migrationsregime mit stark restriktivem Charakter ein, um Müßiggänger, Bettler und Vaganten von der Auswanderung in die neuen Gebiete abzuhalten. Auswandern durfte man nur mit der schriftlichen Genehmigung des im Jahre 1503 in Sevilla errichteten Handelshauses, der Casa de la Contratación de las Indias. Dieser dem Indienrat der Krone unterstellten Behörde wurde neben der Überwachung des Handels mit den neuen Gebieten auch die Auswanderungspolitik übertragen. Jeder, der in die Neue Welt auswandern wollte, musste dazu die Erlaubnis der Casa einholen und diese war an strenge Auflagen gebunden. Die Behörde war angehalten, Ausreiselizenzen nach dem Bedarf an bestimmten Arbeitskräften in den neuen Provinzen zu erteilen und dabei streng auf die religiöse Zugehörigkeit und die „Ehrbarkeit“ der Auswanderer zu achten. Nicht genehmigt wurden die Einreise und Ansiedlung von Juden und Muslimen, aber auch von Konvertiten und deren Nachkommen. Ebenso wurde dies Ketzern, also von der spanischen Inquisition verurteilten Personen, wie auch Zigeunern verweigert. Begründet wurde