militärhistorische (Portaleone) Abhandlungen, die oftmals gar nicht mehr einem Bibelkommentar sensu stricto entsprechen. Diese Werke sind aber dennoch in Auswahl vorzustellen, um einen Eindruck davon zu vermitteln, welchen Veränderungen die Bibel und der Umgang mit ihr in diesen Zeiten ausgesetzt war.
Jüdische Bibelauslegung in Neuzeit und ModerneIm 15. und 16. Jahrhundert finden wir eine Reihe von Hebraisten und Textforschern, die sich vor allem der Masoraforschung und der Erstellung des biblischen Textes widmen. Bei dem italienischen Gelehrten Jedidja Salomon Raphael Nortzi (1560–1626; Hauptwerk Minchat Schai; gedruckt in Mantua erst 1742) wird vor allem die orientalische Masora, die auf dem Weg über Spanien nach Italien gelangte und durch den gedruckten textus receptus* vermittelt wurde, zum Instrument für kritische Textforschung: Unter dem Einfluss des wahrscheinlich ebenfalls aus Italien stammenden Gelehrten Menachem b. Jehuda de Lonzano (1555–1624; Penkower 2014), bestand Nortzis Interesse darin, die Bibel textkritisch aufzuarbeiten. Hier hat sicher auch die Auseinandersetzung mit der christlichen Hebraistik Pate gestanden.
Im 18. Jahrhundert hatten sich die wenigen jüdischen Gelehrten, die sich mit der Bibel und nicht in erster Linie mit dem Talmud* beschäftigten, vor allem mit der beginnenden protestantischen Bibelwissenschaft auseinanderzusetzen, die sich vornehmlich der sog. ,höheren Kritik‘ verschrieben hatte (vgl. Liss 2004). Die Textkritik, die ,niedere Kritik‘, diente ausschließlich der Erarbeitung des ,besten‘ Textes, d.h. der Annäherung an einen ,Urtext‘. Demgegenüber und in deutlicher Konkurrenz zur christlichen Exegese suchte Naphtali Herz Wessely (1725–1805) wiederum unter Einbeziehung der Masora, d.h. vor allem der Vokalisierung, der Akzentsetzung und |4|weiterer Metatexte, den Bibeltext philologisch gründlich zu kommentieren. Hebräische Philologie und Auslegungstradition werden hier zusammengebunden und die Masora um ihrer exegetischen Qualität willen konsultiert.
Das 19. Jahrhundert markiert dann in Teilen endgültig die Umbruchzeit von der traditionellen jüdischen Bibelauslegung zur historisch-literaturkritischen Erforschung der Bibel bzw. die damit einhergehende Auseinandersetzung um diese sehr unterschiedlichen Auslegungsparameter. Die diese Zeit prägenden Auseinandersetzungen um das Verständnis der Hebräischen Bibel können hermeneutisch nicht hoch genug veranschlagt werden und prägen die jüdische Bibelauslegung bis heute.
2. Jüdische Bibelauslegung als Teil einer jüdischen Theologie
Bibelkommentare sind ein Produkt der Herausforderung von innen und außen: Sie sind das Ergebnis der Reflexion über eigene Überzeugungstraditionen, und sie dienen der Schärfung der religiösen und sozio-kulturellen Position. Bibelauslegung gehört daher immer in den Bereich der Theologiebildung mit hinein, auch wenn sich gerade die jüdische Bibelauslegung, wie an einer Reihe mittelalterlicher Exegeten zu zeigen sein wird, nicht auf den religiös-theologischen Raum beschränken lässt. Die Auseinandersetzung mit der Bibelkommentarliteratur ist vor allem im Zuge der sich neu formierenden theologischen Fakultäten auf jüdischer wie auch auf islamischer Seite unabdingbar, denn auch für die wissenschaftliche jüdische Theologie sind Arbeitsmaterialien und Grundlagenwerke bereitzustellen. Diese ermöglichen nicht einfach eine religionswissenschaftlich-literaturgeschichtliche und damit eine von außen herangehende Zugangsweise, sondern stellen gleichzeitig Parameter und Denkmuster zur Verfügung, die auch den heutigen Studierenden zu einer theologischen, d.h. einer qualifizierten Urteilsbildung aus der Binnenperspektive verhelfen können.
Philologie und TheologieDie Auslegung der Hebräischen Bibel wird so auch zur theoretischen Reflexion über die Lehre und die Praxis einer bestimmten religiösen Kultur. Schon bei Philo von Alexandrien findet sich der Begriff theologéō (theólogos) ‚von Gott/den göttlichen Dingen reden und/oder diese erklären‘ (Schmid 2013, bes. 13–16). Für den christlichen Bereich finden wir seit der Alten Kirche den Begriff der theología (griech., Lehre von Gott), der (neben den klassischen Bezeichnungen der sacra doctrina oder doctrina fidei) seit dem 11. Jahrhundert das ganze Gebiet der christlichen Glaubenswissenschaften |5|umfasst. Für das rabbinische* Judentum hat es eine vergleichbare und auf den Theologiebegriff selbst bezogene Debatte nicht gegeben, das heißt aber nicht, dass ihm eine intensive theoretische Durchdringung der eigenen Text- und Lebenstradition nicht zu eigen war. Auch wäre die Annahme falsch, dass Gelehrte des Judentums nicht, wie insbesondere die muslimischen Religionsphilosophen seit dem 10. Jahrhundert, ausgeprägte metaphysische Denkgebäude und eine eigene grammatisch-linguistische Forschungstätigkeit entwickelt hätten. Vielmehr hat sich insgesamt seit dem Mittelalter das ausgebildet, was man als theoretische Reflexion über die Lehre und die Praxis definieren kann. Exemplarisch verdeutlichen lässt sich dies an den spanischen Hebraisten des 10. und 11. Jahrhunderts und den hier geführten lexikographischen Debatten: Bibelauslegung bedeutete für sie in erster Linie Untersuchungen am biblischen Wortschatz und der Grammatik und eher untergeordnet die Klärung einzelner inhaltlicher Motive oder Bedeutungsfelder. So gesehen waren die spanischen Hebraisten die ersten, die sich in ihrer Beschäftigung mit der Bibel einem kritischen Forum stellten und diese den Kategorien von richtig und falsch unterordnen wollten.
Stabilisierung des jüdischen GlaubenshorizontesWas wir hier im Kontext einer intensiven exegetischen Beschäftigung mit der Bibel vorfinden, ist nichts anderes als ein Diskurs der Reflexivität und damit ein genuiner Teil eines Prozesses, der innerhalb der hebräisch-jüdischen Tradition durch Verifizierungs- und Falsifizierungsprozesse Wissen generiert und ausdifferenziert. Dabei ist das Ziel, ausgehend von der hebräischen Texttradition, den jüdischen Glaubenshorizont in Auseinandersetzung mit dem arabisch-muslimischen und christlichen intellektuellen Kontext diskursiv zu stabilisieren. Und dieser Kontext implizierte nicht einfach ein freies Spiel intellektueller Kräfte als ‚Wissenschaft um ihrer selbst willen‘ (analog zur tora lischma*), sondern eine nach außen gerichtete Polemik bei gleichzeitig nach innen gerichteter mentaler und intellektueller Aufbauarbeit zum Nutzen der jüdischen Gemeinschaft. Bereits an dieser Stelle wird also deutlich, dass die heute so gerne aufgebotene Unterscheidung zwischen Theologie und Philologie künstlich und der jüdischen Geistesgeschichte nicht angemessen ist. Denn ungeachtet aller philologischen oder philosophischen Waffen kämpften die jüdischen Gelehrten des Mittelalters und der Neuzeit vor allem gegen die Dummheit in den eigenen Reihen, gegen dogmatische Dunkelmänner ebenso wie gegen philologisch nicht versierte „Hohlköpfe“ (reqe moach; ibn Ezra zu Ex 31,18; 34,8 [langer Kommentar]).
Kritischer Umgang mit dem eigenen ErbeIn diesem Sinne wird die jüdische Bibelauslegung zum bewussten, begründeten und nach außen wissenschaftlich verantworteten Nachdenken über das (eigene) religiöse Erbe, seine heiligen |6|Schriften und deren Rezeptionsgeschichte. Daher geht es in dem hier vorliegenden Lehrbuch auch darum, nachzuzeichnen, wo die philologische (ab dem 18. und 19. Jahrhundert auch die philologisch-historische) Forschung zu Reibungsverlusten geführt hat, die die Selbstgewissheit einer Tradition oder einer Kultur in Frage stellen konnten. Die Bibelkommentatoren werden also auch darauf hin befragt werden, wo ihre Bereitschaft zur Selbstdistanzierung von liebgewordenen Überzeugungen möglich war (und wo nicht!). Die Auslegungen werden zeigen, welche intellektuellen Möglichkeiten zur Auslotung neuer Interpretationsspielräume zur Verfügung standen.
|7|1. Kapitel: Der Bibeltext und seine Überlieferung bis zum Hochmittelalter
Bloch, Réne, Moses und der Mythos: Die Auseinandersetzung mit der griechischen Mythologie bei jüdisch-hellenistischen Autoren (Supplements to the Journal for the Study of Judaism, Bd. 145). Leiden 2011.
Dotan, Aron, Masora. In: Fred Skolnik/Michael Berenbaum (Hgg.), Encyclopaedia Judaica, Second Edition, Bd. 13. Detroit u.a. 2007, S. 603–656.
Fischer, Alexander A./Würthwein, Ernst, Der Text des Alten Testaments: Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein. Stuttgart 2009.
Goldberg, Arnold, „Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger.“ Frankfurter Judaistische Beiträge 15 (1987), S. 1–15.
Khan, Geoffrey, Exegesis and Grammar in Medieval Karaite Texts (Journal of Semitic Studies Supplement, Bd. 13). Oxford 2001.