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Maier, Johann, Geschichte der jüdischen Religion: Von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Aufklärung. Mit einem Ausblick auf das 19./20. Jahrhundert (Spektrum, Bd. 4116). Freiburg u.a. 1992 (2., vollst. neubearb. Aufl.).
Maman, Aharon, The Linguistic School: Judah Ḥayyūj, Jonah ibn Janāḥ, Moses ibn Chiquitilla and Judah ibn Balʿam. In: Magne Sæbø (Hg.), Hebrew Bible / Old Testament: The History of Its Interpretation, Bd. 1,2: The Middle Ages. Göttingen 2000, S. 261–281.
Polliack, Meira (Hg.), Karaite Judaism: A Guide to Its History and Literary Sources (Handbuch der Orientalistik, Bd. 1,73). Leiden/Boston 2003.
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Stökl Ben Ezra, Daniel, Qumran: Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum (Jüdische Studien, Bd. 3). Tübingen 2016.
Tov, Emanuel, Textual Criticism of the Hebrew Bible. Minneapolis 2012 (3., überarb. u. erw. Aufl.).
Vollandt, Ronny, Arabic Versions of the Pentateuch: A Comparative Study of Jewish, Christian, and Muslim Sources (Biblia Arabica, Bd. 2). Leiden/Boston 2015.
|8|1.1. Die Hebräische Bibel zwischen Text und Auslegung
a. Die Bibel als Text und Schriftencorpus
Die Handschriftenfunde aus QumranDer biblische Text wurde im babylonisch-persisch-palästinischen Kulturraum verfasst und über Jahrhunderte hinweg als reiner Konsonantentext überliefert. Seit dem 1. Jahrhundert v.u.Z. wurde der Text sukzessive standardisiert (z.B. Plene- und Defektivschreibung* sowie die besondere Schreibung einzelner Wörter oder Buchstaben). Weltbekannt sind heute die Textfunde von Qumran. Unter ihnen befinden sich die ältesten Bibelhandschriften, die uns erhalten sind (z.B. eine vollständig erhaltene Jesaja-Rolle mit der Signatur 1QIsa: goo.gl/vvx3Gi). In Qumran befanden sich mehr als 200 Bibelhandschriften (Stökl Ben Ezra 2016; VanderKam 2010; 2012; VanderKam/Flint 2002), die zwischen 200 v.u.Z. und 70 u.Z. entstanden sind (Tov 2012; ein gutes Schaubild bietet Fischer/Würthwein 2009, 88). Emanuel Tov teilt die Qumran-Bibelhandschriften folgendermaßen ein: 1. Manuskripte mit typischer Qumran-Orthographie 2. Manuskripte aus proto-masoretischer Tradition 3. Manuskripte aus prä-samaritanischer* Tradition 4. Manuskripte als Vorlage der griechischen Septuaginta* (LXX) (Wewers 2005) 5. Sonstige nicht einzuordnende (Lange 2015; 2009; Ulrich 2010). Alle biblischen Texte sind hier unvokalisiert. Auch die in diesen Rollen erhaltenen Abschnittskennungen entsprechen noch nicht unbedingt der heutigen Einteilung in Wochenabschnitte (paraschijjot). Die heutige Forschung zum samaritanischen Pentateuch insistiert darauf, dass dieser Text der samaritanischen Tora auf den prä-samaritanischen Text zurückgeht, wie ihn die Qumran-Handschriften bieten (entspricht der in Tov 2012 genannten Gruppe Nr. 3), und nur eine kleinere Anzahl Abweichungen vom späteren masoretischen Text als spezifisch samaritanische Ideologie zu werten sei (Tal/Florentin 2010, 11–42; Fischer/Würthwein 2009, 96–111; Schorch 2004, 14–75).
Der Kanon der Hebräischen BibelDas (deuterokanonische) Buch Ben Sira wurde 190–175 v.u.Z. auf Hebräisch verfasst und durch seinen Enkel nach 132 ins Griechische übersetzt. Durch die Genizafunde* sowie den Fund der Fragmente von Metzada (Masada) durch Yigael Yadin ließ sich ein Großteil des hebräischen Konsonantentextes rekonstruieren (Fischer/Würthwein 2009, 55). Ben Sira spricht in seinem Prolog (I,8) schon vom „Gesetz, den Propheten und den anderen Schriften“, kennt also bereits eine Einteilung in verschiedene Büchergruppen. Wie viele Bücher (d.h. der Textumfang en gros, nicht der genaue Wortlaut) Tora und Propheten hatte, erfahren wir erst aus den Schriften des 1. Jahrhunderts u.Z. Der jüdische Historiker und wichtigste Repräsentant der jüdisch-hellenistischen Literatur, |9|Flavius Josephus (ca. 37/38–nach 100 u.Z.), kennt vermutlich bereits die Dreiteilung des biblischen Kanons (vgl. aber die Diskussion bei Mason/Kraft 1996, 232–235), rechnet jedoch lediglich die Psalmen, das Hohelied, Proverbia und Qohelet zu den Schriften (ketuvim). Die Anzahl der heiligen Bücher wird bei ihm mit 22 angegeben, was vermutlich auf die Zusammenschau von Richter/Rut einerseits und Jeremia/Klagelieder (Ekha) andererseits zurückgeht (vgl. Josephus, Contra Apionem I, §§ 37–41). Die sog. Septuaginta (LXX) enthält nicht nur die Bücher der hebräischen Bibel, sondern weitere griechische Schriften, darunter die Bücher 1. Esra, Judit, Tobit, 1.–4. Makkabäer; Ben Sira (Sirach) und die Psalmen Salomos (zum Ganzen übersichtlich Fischer/Würthwein 2009, 115–118).
Konsolidierung des hebräischen BibeltextesDie Konsolidierungsprozesse des biblischen Textes bilden ab, wie ernst die rabbinische* Elite die Hebräische Bibel als Text nahm, d.h. zunächst einmal als Zeichenmenge erfasste. Am Anfang standen Zahlen: Nach dem Babylonischen Talmud* (bQid 30a) enthält die Tora (Tora-Rolle) 5888 Verse und 304805 Buchstaben. Die ersten Masora-Gelehrten aus Tiberias zählten 5845 Verse, 79856 Wörter und 466945 Buchstaben. Dieser Unterschied lässt sich dadurch erklären, dass es zu rabbinischer Zeit in Babylonien und Eretz Israel verschiedene Traditionen zum Beginn und Ende kleinerer Sinneinheiten gegeben hat (Liss 2019a, 9; Würthwein 1973). Die Anzahl der Wörter und Buchstaben, der Zahlwert eines Wortes oder Buchstabens kann dabei ebenso ernsthaft in die Auslegung eingehen wie ein inhaltliches Motiv. Komplementär dazu kultivierten die rabbinischen Schriftausleger ein sehr formales Schriftverständnis, das Arnold Goldberg als die rabbinische Unterscheidung zwischen Schrift als Mitteilung und dem in der Schrift Mitgeteilten vorgestellt hat: Die Gültigkeit und damit je neue Aktualisierung der Schrift kann nur durch das erstgenannte Verständnis (Schrift als Mitteilung) erreicht werden. Das in der Schrift Mitgeteilte gehört der Vergangenheit an und kann von daher nie eine absolute Gültigkeit beanspruchen (Goldberg 1987).
Bibelübersetzungen und TargumimDas Hebräische war für die Rabbinen leschon ha-qodesch „heilige Sprache“. Sie ist die Sprache der göttlichen Offenbarung. Nach der rabbinischen Tradition wurden auch ha-ketav we-ha-mikhtav, d.h. die Form der Buchstaben und die in die Tafeln eingegrabene Schrift (Gottes) schon vor der Welt am Abend des Schabbat, des sechsten Tages, erschaffen (zum Ganzen Liss 2019c). Auch die Buchstabenform war mithin integraler Bestandteil der Offenbarung.
Jüdisch-griechische Übersetzungen der BibelVor dem Hintergrund dieses Verständnisses von ‚Heiliger Schrift‘ muss auch das jüdische Übersetzungsverständnis erklärt werden. Das rabbinische Verständnis (als Hermeneutik der Tannaiten* seit dem 1. Jahrhundert u.Z. und später der rabbinischen Amoräer*) |10|in Babylonien und Eretz Israel unterscheidet sich dabei grundlegend vom jüdisch-hellenistischen. Bei den jüdisch-hellenistischen Autoren wird das Thema Übersetzung mit Blick auf die adäquate Wiedergabe diskutiert, denn es stand außer Frage, dass eine Übersetzung als gleichwertiger Ersatz des Urtextes galt (Veltri 1994, 20).
Die SeptuagintaDie Septuaginta sowie einige Texte von Qumran betonen den Inhalt der Offenbarung. Dieser, und nicht primär die äußere Form, sei auch in der Übersetzung zu bewahren. Die Vorstellung der Unübersetzbarkeit gibt es hier nicht (Veltri 1994, 145). Nach Philo von Alexandrien transportierten die Übersetzer der Septuaginta „Name und Sache“ des Hebräischen, was sie zu hierophántai mache, also solchen, die heilige Geheimnisse enthüllen (Veltri 2002b, 42). Die Septuaginta galt als schriftliche Bibel, die auch im Gottesdienst verwendet wurde (Veltri 2002b, 55). Eine wortwörtliche Übersetzung (verbum e verbo) galt dabei als unpassend, weil die Bibel literarische Texte umfasst. Für die bessere Literatur sollte primär am Sinn orientiert übersetzt werden (sensus de sensu).
Die Übersetzung des AquilaDass das rabbinische Judentum sich dennoch im Laufe der Zeit von der Septuaginta abgewandt und sogar eine eigene griechische Übersetzung mit der Übersetzung Aquilas angenommen hat (jMeg 1,11; vgl. zum Ganzen Veltri 2002b, 78), liegt