(Kap. 3.5.1).
Im Bereich der Richtlinien gibt es eine ganze Reihe wichtiger Bestimmungen, die in das deutsche Arbeitsrecht übernommen wurden. Einige dieser Richtlinien dienen der Beseitigung von Diskriminierungen:
•Die Gleichbehandlungsrichtlinie (2006 / 54 / EG) soll die Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherstellen, während die sog. „Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie“ (2000 / 78 / EG) den Schutz vor Diskriminierungen wegen der Religion und Weltanschauung, aber auch wegen Behinderung, Alter oder der sexuellen Orientierung bezweckt. Die Vorgaben beider Richtlinien sind in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingeflossen (Kap. 3.1.3 und 3.5.3).
•Mit der „Entsenderichtlinie“ (1996 / 71 / EG) wird ausgeschlossen, dass die deutschen Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzbestimmungen umgangen werden. Diese Richtlinie wird im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) umgesetzt.
Im Bereich des Arbeitsvertragsrechts existiert eine ganze Reihe weiterer Richtlinien, die in das deutsche Recht überführt wurden. Diese zeigt Tabelle 1.
Tab. 1: EU-Richtlinien zum Arbeitsvertragsrecht
Richtlinie | Ziel/Inhalt | Umsetzung in |
Nachweisrichtlinie (1991/533/EWG) | Pflicht der Arbeitgeber zur Unterrichtung ihrer Arbeitnehmer über die für deren Arbeitsverträge geltenden Bedingungen | Nachweisgesetz (NachwG) |
Befristungsrichtlinie (1999/70/EG) | Verhinderung der Aushöhlung des arbeitsrechtlichen Schutzes von Arbeitnehmern durch die Befristung von Arbeitsverhältnissen | Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) |
Richtlinie über Teilzeitarbeit (1997/81/EG) | Beseitigung von Diskriminierungen Teilzeitbeschäftigter; Förderung der Teilzeitarbeit und einer flexiblen Organisation der Arbeitszeit | Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) |
Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) | verbesserter Schutz von Leih- oder Zeitarbeitskräften (Grundsatz des „equal pay, equal treatment“) | Arbeitnehmerüber lassungsgesetz (AÜG) |
Betriebsübergangs richtlinie (2001/23/EG) | schützt die vertraglichen Rechte von Arbeitnehmern, wenn ein Betrieb oder ein Unternehmen verkauft wird und dadurch ein anderer Arbeitgeber an die Stelle des früheren tritt | § 613a BGB |
Besonders bedeutsam sind auch die im Bereich des Arbeitsschutzrechts vorhandenen Richtlinien der EU, die in Tabelle 2 genannt werden.
Tab. 2: EU-Richtlinien im Bereich des Arbeitsschutzes
Richtlinie | Ziel/Inhalt | Umsetzung in |
Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) | Vorgaben zu Höchstarbeitszeiten, Nachtarbeit, zwingend einzuhaltenden Ruhe- und Pausenzeiten sowie zum Mindestjahresurlaub | Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) |
Richtlinie über den Jugendarbeitsschutz (1994/33/EG) | schützt Minderjährige durch Beschäftigungsverbote für bestimmte Tätigkeiten sowie durch Vorgaben zur Arbeitszeit einschließlich eines Nachtarbeitsverbots | Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) |
Mutterschutzrichtlinie (1992/85/EWG) | Schutz werdender und junger Mütter durch ein Kündigungsverbot, Beschäftigungsverbote, Mutterschaftsurlaub und Freistellungen für Vorsorgeuntersuchungen | Mutterschutzgesetz (MuSchG) |
Elternurlaubsrichtlinie (2010/18/EU) | Anspruch auf Freistellung von der Arbeit im Fall der Geburt oder der Adoption eines Kindes | Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) |
Auch wenn die vorgenannten Richtlinien vollständig in das deutsche Recht überführt wurden, sollte man stets bedenken, dass der Ursprung der entsprechenden Regelungen letztlich im europäischen Recht liegt. Deshalb sind die deutschen Umsetzungsregelungen, wie sie etwa im ArbZG, dem AGG, dem TzBfG und weiteren Vorschriften enthalten sind, entsprechend den Zielsetzungen und der Entstehungsgeschichte der jeweiligen europäischen Richtlinie zu interpretieren und anzuwenden. Dieses „Gebot richtlinienkonformer Auslegung“ geht letztlich auf Art. 4 Abs. 2 und 3 AEUV zurück. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die besondere Rolle, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Arbeitsrecht einnimmt: Er entscheidet über Fragen zur Auslegung und Anwendung der europäischen Verordnungen und Richtlinien. Selbst wenn sich Urteile des EuGH auf Rechtsstreitigkeiten aus anderen EU-Staaten beziehen, geben diese auch für die Anwendungspraxis in Deutschland wichtige Hinweise.
Beispiel
Gerade im Bereich des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts hat der EuGH einige Grundsatzentscheidungen getroffen, die sich mit der Zulässigkeit von Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft befassen (Kap. 6.2).
Auch das Urlaubsrecht hat der EuGH nunmehr wesentlich geprägt. Seitdem werden die betreffenden Fragen auch durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entsprechend den europarechtlichen Vorgaben ausgelegt.
Bei einem Auslandsbezug, d. h., wenn etwa deutsche Staatsangehörige bei Firmen mit Sitz im Ausland oder umgekehrt Ausländer bei in Deutschland ansässigen Arbeitgebern tätig sind, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob sich ein arbeitsrechtlicher Sachverhalt nach deutschem oder nach ausländischem Arbeitsrecht beurteilt. Geregelt ist dies im sog. „Kollisionsrecht“ (auch „internationales Privatrecht“ genannt). Dieses geht grundsätzlich von der Möglichkeit einer freien Rechtswahl durch die Vertragspartner aus, sofern dadurch nicht Arbeitnehmern der Schutz entzogen wird, der ihnen zustünde, wenn keine Rechtswahl getroffen worden wäre. Geregelt ist das Kollisionsrecht im Einführungsgesetzbuch zum BGB (EGBGB), EU-Verordnungen und speziellen völkerrechtlichen Vereinbarungen.
Im Grundgesetz werden nur sehr allgemeine Aspekte des Arbeitsrechts angesprochen, etwa das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl (Art. 12 GG) oder das Koalitionsrecht (Art. 9 Abs. 3 GG). Ein Recht auf Arbeit findet sich hier dagegen nicht. Die Grundrechte sind im Grundgesetz nämlich (im Gegensatz zu Art. 24 Abs. 1 S. 1 der ehemaligen DDR-Verfassung) als reine Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat ausgestaltet, nicht aber als Forderungsrechte.
Zwischen den Vertragspartnern eines Arbeitsvertrags gelten die Grundrechte somit nicht unmittelbar. Allerdings entfalten sie auf dem „Umweg“ über die sog. „Generalklauseln“ des BGB (das sind Paragrafen, die allgemeine und letztlich auf die Verfassung zurückgehende fundamentale Rechtsprinzipien enthalten, vgl. etwa §§ 134, 138 oder 242 BGB) auch im Arbeitsrecht eine Wirkung, die man „mittelbare Drittwirkung“ nennt.
Beispiel
A will B gegen ein Festgehalt beschäftigen: B soll Frauen vermitteln, die sich als Leihmütter zur Verfügung stellen. Die Beschäftigung ist sittenwidrig und deshalb nach § 138 BGB unwirksam, da die Leihmutterschaft in Deutschland als nicht im Einklang mit den Persönlichkeitsrechten der Leihmütter vereinbar angesehen wird. Der auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG beruhende Persönlichkeitsschutz wirkt über § 138 BGB in das Arbeitsverhältnis hinein. Im Übrigen ist die Leihmuttervermittlung ohnehin gemäß § 13c des Adoptionsvermittlungsgesetzes (AdVermiG) verboten. Damit verstößt die Beschäftigung von B auch gegen ein Gesetz; der Arbeitsvertrag ist damit zusätzlich gemäß § 134 BGB unwirksam.
Weiteres Beispiel: In einem Kinderheim erhält ein Bezugsbetreuer ein jährliches Weihnachtsgeld; sein Kollege, der ebenso lange in derselben Abteilung arbeitet und die gleiche Qualifikation hat, nicht. Hier liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor, der durch die arbeitsgerichtliche Praxis entwickelt wurde, aber letztlich auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgeht (Kap. 3.5.3).