Jörg Reinhardt

Grundkurs Arbeitsrecht für die Soziale Arbeit


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können. Dieses soll daher nicht „von heute auf morgen“ einseitig durch den Arbeitgeber beendet werden können.

      Eine sog. „betriebliche Übung“ kann in Bezug auf Leistungen des Arbeitgebers, aber auch hinsichtlich der Pflichten von Arbeitnehmern entstehen, die im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt sind. Dies gilt vor allem im Bereich freiwilliger Zusatzleistungen durch Arbeitgeber: Nach dreimaliger freiwilliger Gewährung einer Gratifikation ohne Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht beim Arbeitnehmer laut der Rechtsprechung ein schützenswertes Vertrauen, dass diese Leistung auch in Zukunft erfolgen wird. Obwohl es sich eigentlich um einen Fall der sog. „Vertrauenshaftung“ handelt, konstruiert das BAG das Zustandekommen der betrieblichen Übung im Wege des Vertragsschlusses: Das wiederholte Verhalten des Arbeitgebers wird als Vertragsangebot angesehen, dessen ausdrückliche Annahme durch den Arbeitnehmer nicht erforderlich ist (§ 151 BGB).

      Beispiel

      Im Arbeitsvertrag von Heilerziehungspflegerin A ist ein Weihnachtsgeld nicht vereinbart. Gleichwohl erhält sie in drei aufeinander folgenden Jahren eine Weihnachtsgratifikation ausgezahlt auf der Grundlage einer E-Mail mit dem Wortlaut: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns, Ihnen auch dieses Jahr wieder ein Weihnachtsgeld in Höhe von 500 EUR auszahlen zu können.“ Hier ist eine betriebliche Übung entstanden. Mitarbeiterin A hat also auch im kommenden Jahr einen Rechtsanspruch auf die Bezahlung von Weihnachtsgeld.

      Gegenbeispiel: Arbeitgeber A bewilligt seinen Beschäftigten ein Urlaubsgeld. Vor dessen Auszahlung erhält jeder Arbeitnehmer einen Brief mit dem Wortlaut: „… können wir ihnen aufgrund unserer guten finanziellen Entwicklung ein Urlaubsgeld von 1.000 EUR auszahlen. Wir weisen aber darauf hin, dass es sich hierbei um eine rein freiwillige Leistung handelt, mit der keinerlei Ansprüche auf erneute Auszahlung in den kommenden Jahren verbunden sind.“ Hier entsteht kein Anspruch aus betrieblicher Übung, da ein Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt wurde. Aus diesem wird deutlich, dass sich der Arbeitgeber rechtlich nicht für die Zukunft binden wollte. Das ist zulässig. Es besteht daher kein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Auszahlung eines Urlaubsgeldes im Folgejahr.

      Will der Arbeitgeber eine bestimmte Gratifikation künftig nicht weiter gewähren, so kann er dies laut der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur über eine Änderungskündigung (Kap. 4.4) oder durch eine entsprechende einvernehmliche Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer erreichen.

      Während die betriebliche Übung durch Wiederholung schlüssigen Arbeitgeberverhaltens entsteht, kann sich ein Arbeitgeber auch durch eine einmalige einseitige Erklärung (bspw. durch ein E-Mail-Rundschreiben, einen Aushang am „schwarzen Brett“ oder eine Info im betrieblichen Intranet) rechtlich binden. Voraussetzung hierfür ist, dass er ein Leistungsversprechen bekannt gibt und dabei keinen Freiwilligkeitsvorbehalt macht. Die Arbeitnehmer müssen das in der Gesamtzusage liegende Angebot des Arbeitgebers wegen § 151 BGB nicht ausdrücklich annehmen.

      Beispiel

      Der Geschäftsführer eines Senioren- und Pflegeheims gibt während seiner „Jahresabschlussrede“ im Rahmen der Weihnachtsfeier bekannt, dass er „ab sofort immer ein Weihnachtsgeld in Höhe eines halben Monatsgehalts ausbezahlen wird“. Hier ist eine Gesamtzusage erfolgt. Mitarbeiterin A kann aufgrund dieser ab sofort jedes Jahr die Auszahlung von Weihnachtsgeld fordern und ggf. gerichtlich durchsetzen.

      Das Direktionsrecht („Weisungsrecht“) des Arbeitgebers ergibt sich aus § 611a Abs. 1 S. 2 BGB und § 106 Gewerbeordnung (GewO), aber auch ganz allgemein aus dem Wesen des Arbeitsvertrags, das gerade durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers und dessen Eingliederung in den Betrieb gekennzeichnet ist. Das Direktionsrecht erstreckt sich auf die Durchführung des Arbeitsverhältnisses, also auf den Inhalt sowie Zeit und Ort der konkreten Tätigkeit des Arbeitnehmers (§ 611a Abs. 1 S. 2 BGB). Es gibt dem Arbeitgeber somit die Möglichkeit, die im Arbeitsvertrag in aller Regel nur allgemein bezeichneten beruflichen Aufgaben eines Beschäftigten („Heilerziehungspfleger“, „Gruppenleitung in den Erzieherischen Hilfen“, „Fachberaterin“, „Streetworker“) zu konkretisieren und zu bestimmen, welche Aufgaben der Beschäftigte genau zu übernehmen und zu erledigen hat (Kap. 3.4.2).

      Beispiel

      Sozialarbeiterin S wird im Jugendamt laut Arbeitsvertrag als „Fachkraft im Bereich der Allgemeinen Sozialen Dienste“ beschäftigt. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ermöglicht der Amtsleitung, die S künftig je nach Bedarf für die „Erzieherischen Hilfen, Buchstabe A bis C“, die Erziehungsberatung, die Trennungs- und Scheidungsberatung, die „präventiven Jugendhilfeaufgaben in den Stadtteilen Ostvorstadt und Zentrum Ost“ oder andere Aufgaben(teil)bereiche einer solchen Fachkraft einzusetzen.

      In der Praxis sind oftmals mehrere der vorgenannten Rechtsquellen auf einen Sachverhalt anwendbar, führen aber zu unterschiedlichen oder sich möglicherweise sogar widersprechenden Rechtsfolgen.

      Beispiel

      Urlaubsregelungen können sich im Arbeitsvertrag, dem einschlägigen Tarifvertrag und dem Bundesurlaubsgesetz finden.

      Deshalb gibt es Regeln, die festlegen, welche Norm von einer anderen Norm verdrängt wird und welche Normen vorrangig sind:

      Beispiel

      Das Europarecht (Kap. 1.1.1) hat im Arbeitsrecht oftmals Vorrang vor den nationalen Vorschriften.

      Aus dem Tarifvorrang (§§ 77 Abs. 3 und 87 Abs. 1 BetrVG) folgt, dass Tarifverträge grundsätzlich Betriebsvereinbarungen vorgehen. Betriebsvereinbarungen dürfen also keine Arbeitsentgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen regeln, die bereits Inhalt oder üblicherweise Gegenstand eines Tarifvertrages sind, sofern dies nicht in einer sog. „Öffnungsklausel“ des Tarifvertrags ausdrücklich gestattet ist. Fällt also bspw. ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags, der z. B. einen Jahresurlaub von 30 Tagen vorsieht, dürfen die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung keinen weitergehenden Urlaubsanspruch, etwa von 33 Tagen, vorsehen, auch wenn diese Regelung für die Arbeitnehmer des Betriebes günstiger wäre.

      Gemäß § 106 Satz 1 GewO reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers nur so weit, wie Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag nichts anderes regeln. Deshalb steht das Weisungsrecht in der Normenhierarchie ganz unten.

      •Innerhalb einer gleichrangigen Rechtsquelle löst eine spätere Regelung eine frühere Regelung ab (sog. „Ordnungsprinzip“).

      Beispiel

      Bis zum Jahr 2001 hatten Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Erziehungsurlaub, der sich aus § 15 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) ergab. Diese Regelung wurde durch des Bundeselternzeit- und Elterngeldgesetz (BEEG) abgelöst. Daher besteht nun kein Anspruch auf Erziehungsurlaub mehr – Eltern haben nun einen Anspruch auf Elternzeit (§ 15 BEEG), deren Ausgestaltung völlig anderen gesetzlichen Kriterien unterliegt als der im früheren Gesetz geregelte Erziehungsurlaub.

      •Bei