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Naturphilosophie


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dem Wasser und gerät so bisweilen in Erschütterung. Thales behauptet einen materiellen Anfang der Welt mit dem Wasser als Urgrund (archḗ), der insofern noch mit dem Mythos verträglich ist, als Homer in der Ilias den Gott Okeanos als Ursprung von allem erachtete. Eine Abkehr von göttlichen Über-Naturen der Dinge macht ein Fragment des Xenophanes von Kolophon (um 570–um 475 v. Chr.) deutlich. Er versteht den Regenbogen nicht mehr als Göttin Iris, d.h. nicht mehr analog, sondern als logisch erklärbare Naturerscheinung: „Und was sie Iris benennen, auch das ist seiner Natur nach nur eine Wolke, purpurn und hellrot und gelbgrün zu schauen“ (DK 21 B32).

      In mancherlei Hinsicht markieren die Vorsokratiker und ihre später mit dem Titel Perì phýseos (Über die Natur) bezeichneten Schriften nicht nur den Beginn der Naturphilosophie, sondern den der sog. westlichen Philosophie überhaupt. Allerdings führen viele ihrer Grundannahmen nach Persien, nach Babylonien und ins Alte Ägypten (Burkert 2008), weshalb die Philosophie auch im Mittleren Osten, in Indien oder in Nordafrika (vgl. Graness 2016) entstanden sein könnte.

      Mit u.a. den folgenden Fragen streben die Vorsokratiker vernunftbegründete Erkenntnis an:

       Ist der Kosmos ewig oder hat er einen Anfang in Zeit und Raum?

       Gibt es ursächliche Prinzipien bzw. einen anfänglichen Urgrund (archḗ), aus dem der Kosmos entstanden ist (z.B. das Wasser bei Thales, DK 11 A12, oder die „dicke Luft“, aḗr, bei Anaximenes, DK 13 A7)?

       Gibt es etwas dem Kosmos Entgegengesetztes, wie das „Nichts“, oder etwas anderes Unbestimmbares, Grenzenloses (etwa das ápeiron bei Anaximander, DK 12 B1)?

       Ist der Weltprozess linear oder zyklisch zu denken (letzteres z.B. explizit bei Heraklit und Empedokles)?

       Was sind die Elemente des Kosmos, inwieweit sind sie teilbar und mischbar? Gibt es ein ewiges, diskretes Unteilbares (átomos), aus dem die Welt aufgebaut ist (wie die Atomisten Leukipp und Demokrit behaupten, DK 67 A14)?

       Gibt es ein Element, das prinzipiell am wichtigsten ist, weil es alles Werden und Vergehen unterhält (z.B. das Feuer bei Heraklit)?

       In welchen Formen oder Prozessen wirken die Elemente im Kosmos? Kann man mit den Mischungen aus Erde, Feuer, Wasser, Luft den Wandel, aber auch die Konkretheit der Natur hinreichend beschreiben (vgl. Empedokles’ Vier-Elemente-Lehre, DK 31 B21)?

      |10|Mit dem Naturdenken und -beobachten der Vorsokratiker wird eine antike Naturwissenschaft möglich, weil Maßaussagen entstehen, die Prinzipienaussagen befördern (wie später bei Aristoteles). Als frühe Leitwissenschaften für die Etablierung theoretischer Naturverhältnisse (→ III.3) gelten Mathematik, Astronomie, Musik und Medizin (Diätetik). Mit ihnen entstehen zahlenbasierte und regelgeleitete Naturverhältnisse (→ I.3), die praktisch nutzbar gemacht werden und den Instrumentenbau anleiten. Dies meint sowohl Musikinstrumente, deren Töne auf Basis der nach einfachen Zahlenverhältnissen geordneten Intervalle kosmische Harmonie veranschaulichen können (Schule der Pythagoreer), als auch Messinstrumente, z.B. für die Navigation auf See, für die Feldvermessung und für die Erfassung der Zeit. Den Vorsokratikern geht es zwar auch um einheitsstiftende Begriffe von Natur und Welt im Sinne einer All-Natur („die Natur“), v.a. aber um die Bestimmbarkeit von Naturen der Dinge („Natur von etwas“), z.B. der Lebewesen oder der Elemente. Dabei wird der eigentliche Begriff für Natur, phýsis (von phýein für: wachsen lassen) – der nah am Irdischen und Beseelten bzw. Lebendigen steht und damit an dem von Demokrit so bezeichneten „Mikrokosmos“ Mensch (DK 68 B34) – mit dem übergeordneten kosmischen Geschehen, dem später sog. Makrokosmos, in Übereinstimmung zu bringen versucht. Natur als Physis meint keine statische Naturbeschaffenheit, etwa eine stoffliche oder atomare, sondern eine „Eigenwüchsigkeit“, die vor dem „unauffälligen Hintergrund“ des Kosmos „auflebt“ (Buchheim 1994: 93). Sie ist wesentlich dynamisch. Zu ihrem Verständnis muss man sich mit den Grundprinzipien des Kosmos auseinandersetzen.

      Die in Abschnitt 1 gestellten Fragen bezüglich des Chaos, d.h. die nach Seiendem, Nichts und Grenze, sind dafür erkenntnisleitend. Zusammen mit Thales und Anaximenes ist es der aus Milet stammende Anaximander (um 610–546 v. Chr.), der den Aufbruch der ionischen Naturphilosophie markiert. Er soll auch als erster die geordnete Welt mit „Kosmos“ bezeichnet haben. Ihr Gegenteil, das er „Apeiron“ nennt, bestimmt er wie folgt:

      „Anfang und Ursprung der seienden Dinge ist das Apeiron (das grenzenlos-Unbestimmbare). Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung.“ (DK 12 B1)

      Das Apeiron ist das Maßlose und Unermessliche, das selbst weder Raum noch Zeit ist (→ II.4). Thomas Buchheim (1994: 61) begründet, dass das ‚Apeiron‘ Anaximanders dem ‚Chaos‘ Hesiods ähnelt, insofern beide Begriffe auf Grenzziehungen verweisen, die nicht Grenzen von oder an etwas sind. Das selbst undimensionierte Apeiron eröffnet eine Dimension, in der die werdenden und vergehenden Dinge sich nach Rechtsverhältnissen („Schuldigkeit“) gegenseitig bedingen. Anaximander postuliert mit dem Apeiron, anders als Thales mit dem Wasser, einen immateriellen Urgrund. Die Erde stellt er sich als einen in einer Sphäre, d.h. in einer Kugelgestalt, unbewegt schwebenden Zylinder vor. Er geht von drei Himmeln oder Sphären aus (um Sterne, Mond und Sonne), womit nach der Überlieferung des Aristoteles-Schülers Eudemos von Rhodos der „logos von Größen und Distanzen“ in die Philosophie eingebracht wurde (Burkert 2008: 71). Anaximenes (ca. 585–528 v. Chr.) korrigiert die Darstellung |11|dahingehend, dass der Mond näher an der Erde ist als die Sterne. Für Anaximander ist das irdisch vorrangige Element das Wasser, aus dem alles Leben entsteht, während das kosmisch wichtigste Element das Feuer ist, das als ein äußerster Ring die Hüllen der Welt umgibt. Feuer und Wasser ergeben schon am Anfang des Kosmos Maßverhältnisse von heiß/kalt und trocken/feucht, die auch auf der Erde wirken und Werden und Vergehen gleichsam ‚machen‘. Das Werden geschieht ausgehend von einem zentralen Urkeim (gónimon) des Kosmos, der ein zeugender Gegenbereich zum dimensionierenden Apeiron ist. Anaximander hat noch kein Materiekonzept, versucht aber das stoffliche „Woraus“ (etwas entsteht) zu fassen, das er in der Weltmitte ansiedelt.

      Heraklit von Ephesos will die All-Einheit der Welt begründen, indem er sie mit der Idee eines allumfassenden und alldurchdringenden Weltgesetzes (Logos) verbindet (Reckermann 2011: 60–68). Demnach gilt: hén pánta, „eins ist alles“. Im Logos ist Gegensätzliches vereint wie etwa, dass Natur sowohl ist als auch wird, d.h. nicht ist. Die prozessuale Identität von Einheit und Gegensatz ist in Heraklits Flussfragmenten überliefert, z.B. in der berühmten Aussage, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Grundsätzlich steht der Logos als eine Form des Denkens allen Menschen offen. Aber gleichzeitig betont Heraklit, dass obwohl der Logos ewig ist und immer gilt, die Menschen ihn nicht verstehen (DK 22 B1; vgl. entsprechend Platon, Timaios 51e). Die verschränkte Einheit von Gegensätzen bringt er sprachlich durch bewusste Doppeldeutigkeit zum Ausdruck, weshalb er von Georg W.F. Hegel (1770–1831) als Vordenker der Dialektik und spekulativen Naturphilosophie gefeiert werden wird: „Hier sehen wir Land; es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen“ (Hegel [1833] 1986, Bd. 18: 320). Für Heraklit ist die Naturbeobachtung Grund der logischen Vernunfterkenntnis, das Erkennen der Naturgemäßheit steht in Verbindung mit der Weisheit bzw. dem umfassenden Bescheid-Wissen (sophía) über die Verhältnisse (DK 22 B112). Damit grenzt Heraklit den Erkenntnisweg der Philosophen ab von dem üblichen Meinen „der Vielen“ – eine typische Attitüde der Vorsokratiker. Auf der kosmologischen Ebene entspricht dem Logos das Weltfeuer, das alles anfacht und sich stets nach anderem verzehrt. Das Feuer ist ein umfassendes, auch erkenntnistheoretisch wirksames Wandlungsprinzip.

      Heraklits Sicht, dass man zum Verständnis eines sich im stetigen Wandel befindenden Seins, d.h. des Werdens, ein Nicht-Sein voraussetzen müsse, findet eine Gegenposition erstens in der Schule des Parmenides von Elea (um 510–um 450 v. Chr.). Dieser zufolge gibt es nur ein ewiges und wahres Sein (DK 28 B6), während das Werden eine Scheinwirklichkeit darstellt – eine Position, die Platon maßgeblich beeinflusst hat. Zweitens sind es die Atomisten mit Demokrit (um 460–um 370 v. Chr.), die das Konzept der Leere (kenós)