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Naturphilosophie


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auch für Empedokles (um 485–425 v. Chr.) unmöglich, dass aus Nicht-Seiendem etwas entsteht und ebenso, dass Seiendes völlig verschwindet (DK 31 B12). Empedokles nimmt ein ewiges Sein der Natur an, das auf vier Wurzelgestalten (rhizṓmata) beruht, welche geflechtartig miteinander verwoben sind: Feuer, Wasser, Erde, Luft (DK 31 B6). Damit hat er dem Begriff nach die vier Elemente gedacht, das Wort „Elemente“ (stoicheîa) schreibt ihm erst Aristoteles zu. Die Elemente |12|des Empedokles mischen und trennen sich gemäß den Prinzipien von Liebe und Streit, wie er im Lehrgedicht Über die Natur schreibt (Primavesi 2008). Die durch Wechselseitigkeit bestimmbaren Elemente interagieren nicht wie beim Wettkampf, sondern wie beim Tauschhandel: Jeder Tauschpartner gibt und nimmt etwas, jeder tut und erleidet etwas. Die Elemente sind stofflich gedachte Grundverhältnisse. Der Kosmos und mit ihm die Natur hat somit nicht einen Ursprung, sondern Vielursprünglichkeit. Ein Anklang an das ursprüngliche Chaos findet sich dahingehend, dass am Anfang der Welt die vier göttlichen Grundstoffe nur als „Nebeneinander des Mehreren“, d.h. ungeordnet, vorlagen. Die Liebe (éros) verband sie dann miteinander, aber machte sie gleichzeitig sterblich (Reckermann 2011: 180, Anm. 131). Im Physischen sind die vier Grundstofflichkeiten zyklisch als Werden und Vergehen gedacht, d.h. die Ursprünge kehren immer wieder zu sich zurück und fangen wieder neu an, Mischungen zu bilden. „Mischung“ hat hier eine doppelte Bedeutung: „Werden des Vielen zu Einem und Werden des Einen zu Vielem“ (ebd.: 75). Der Wechsel dieses Seins ist ewig und unbewegt (DK 31 B17). Empedokles’ Vier-Elemente-Lehre beeinflusst die Alchemie und Medizin (Vier-Säfte-Lehre) bis ins Mittelalter und zuvorderst die Naturphilosophie des Aristoteles (s.u.).

      Zeitlich parallel zu den Vorsokratikern entwickelt sich im Klassischen China durch Konfuzius (551–479 v. Chr.) eine philosophische Lehre (Konfuzianismus), die fernöstlichen Philosophien bis heute zugrunde liegt. Für Konfuzius ist der Himmel (chin. Tian) das oberste Prinzip der Welt. Der Himmel hat eine eigene metaphysische Wesenheit, die als Weltgesetz für kosmische Harmonie sorgt und den Menschen ihre Sitten und Tugenden vorgibt. Dieser Gedanke wird auch im Daodeking (chin. Dao für: Weltgesetz; De für: Weg) durch Laozi (ca. 3–6. Jh. v.Chr.) und entsprechend im Daoismus wirksam.[6] Das Dao folgt seiner eigenen Natur (chin. Ziran, wörtlich: von selbst so sein) und ist wesentlich einfach, spontan und wortlos. Mensch, Erde, Himmel und Dao werden im Zusammenspiel ihrer Naturen als harmonische All-Einheit konzipiert, die spirituell zugänglich ist. Später entwickelt sich dies unter Einschluss vorkonfuzianischer Denkweisen zu verschiedenen Lehren von Yin und Yang, den zwei bipolaren Prinzipien oder Kräften, welche sich gegenseitig ergänzen und die sich stets wandelnden Naturen (‚von etwas‘) der All-Einheit hervorbringen. Im Gegensatz zur westlichen Lehre von den vier Elementen beruhen fernöstliche Philosophien auf der Maßgabe von fünf Elementen (Wu Xing), die als Kräfte kosmischen Wandlungsprozessen entsprechen: Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Allerdings begleitet auch die abendländische Geschichte das Spiel mit einem fünften Element bzw. einer Quintessenz; zuvorderst bei der Suche nach einer außerirdisch angesiedelten Qualität von ‚luftigem‘ Licht (aithḗr) oder ‚beseeltem Atem‘ (pneûma), das/der bis auf die Erde durchscheint und der kosmischen Macht der Nacht als ewigem Dunkel entgegengesetzt ist (Böhme/Böhme 1996: 143–145). In der aktuellen Kosmologie wird die Quintessenz als Energiedichte eines sich zeitlich langsam entwickelnden Skalarfeldes diskutiert, um gleichsam Licht in den sog. „dunklen Sektor“ des Universums zu bringen.

      |13|3. Physik und Metaphysik: der Umbruch durch Aristoteles

      Obwohl das Ziel der Vorsokratiker die vernunftgemäße Begründung eines Kosmos ist, die auf einen erschaffenden Gott oder Mensch verzichten kann, kommt z.B. Parmenides nicht ohne die Idee eines weiblichen Daimon aus, einer Göttin, die die Welt von ihrer Mitte aus beherrscht (vermutlich die Persephone der Orphik, s. Abschn. 1). Xenophanes entwirft eine einzige, höchste Gottheit, die vom Menschen wesentlich verschieden zu denken sei. Erklärbar ist dies vor einem historischen Hintergrund, in dem der Himmel noch voller vermenschlichter (anthropomorpher) Götter ist. Ferner sieht etwa Sokrates das gesellschaftliche Manko, dass einige der empirisch forschenden Vorsokratiker sich zwar der Natur und ihrer Wahrheit widmen (Naturtheorie), aber nicht der Frage nach dem Guten und Schönen im Kosmos. Gesucht ist eine höhere Einheit, die zum Denken einer Welt angesichts der Vielheit ihrer Erscheinungen und Wesenheiten notwendig ist. Aber ist diese Einheit selbst ein Wesen, eine Wesenheit?

      Auch die attische Philosophie hat darauf noch keine eindeutige Antwort. Im Timaios lässt Platon einen gottähnlichen Schöpfer in Person eines Handwerkers (dēmiourgós) auftreten, der den sinnlich erfahrbaren Kosmos und den Menschen erschafft. Der Kosmos ist die schönste aller gewordenen Welten, was in ihrem Bildner begründet liegt, der der beste unter den Guten ist – weil er beim Erschaffen auf das Ewige geblickt hat (Timaios 28c5–29b2). Dabei gab er der als schon vorhanden gedachten, aber noch ungeordneten Materie eine Ordnung nach mathematischen Zahlenverhältnissen, die – wie in der Geometrie – sich jeweils als Form (idéa) begründen und als Gestalt (morphḗ) anschauen lassen. Somit gibt es theoretisch zwei Welten, eine der Ideen und eine der sinnlichen Erscheinungen (Zwei-Welten-Theorie), die über Mathematik und Musik miteinander in Verbindung stehen. Wegweisend ist Platons Denken der Welt zwischen Modell und Bild oder Urbild und Abbild. Natur bleibt wie im Mythos bildlich verstehbar. Für die Lebewesen selbst handelt es sich beim Kosmos aber um den „ganze[n] Himmel“ (28b2) und nur „einen Himmel“ (31a/b), d.h. einen gemeinsamen Horizont.

      Alternativ zur Referenz auf eine erste einheitsstiftende Gottheit stilisieren sich die frühen Philosophen als Magier mit exklusivem Zugang zum einheitsstiftenden Wissen, wie es von den Pythagoreern und von Empedokles überliefert ist. Er soll seine Lehren von den vier Elementen und der Reinkarnation sogar damit gekrönt haben, dass er sich in den Vulkan Ätna stürzte (DL VIII, 69). Systematisch betrachtet, hat eine auf dem Logos basierende Naturphilosophie auch den Keim ihres Gegenteils, den Schamanismus und Okkultismus, mit hervorgebracht.

      Einen fundamentalen Umbruch erfährt die Philosophie und mit ihr die Naturphilosophie durch den Platon-Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.). Nicht nur wendet er sich von der dichterischen Darstellungsform der Philosophie ab; er legt auch das Fundament dafür, dass Welterkenntnis auf Prinzipien beruht und damit der logischen Argumentation und der naturwissenschaftlichen Forschung zugänglich ist. Für Aristoteles gibt es nur eine Welt, und zwar eine, die vom Menschen aus als Welt der Phänomene, ihrer Begriffe und Relationen zu denken ist. Seine Metaphysik eröffnet |14|mit dem Satz: „Alle Menschen streben von Natur nach Wissen“ (980a21). In der Natur liegt generell die Anlage zum Guten.

      Aristoteles vollzieht eine Trennung von Physik und Metaphysik, dem im Vergleich zum Empirischen höheren Wissen. Hegel würdigt dies so: „Wir lernen den Gegenstand in seiner Bestimmung und den bestimmten Begriff desselben kennen“ (Hegel [1833] 1986, Bd. 19: 148). Bei Aristoteles ist die Frage nach Prinzipien und bestimmenden Gründen („Definitionen“) eine Frage der Metaphysik oder, wie er sie selbst bezeichnet, der „Ersten Philosophie“. Metaphysische Begriffe sind u.a. ‚Seiendes‘, ‚Eines‘, ‚Element‘, ‚Grenze‘, ‚Natur‘, ‚früher/später‘, ‚notwendig‘ und ‚Teil/Ganzes‘ (vgl. Metaphysik V). Sie unterscheiden sich von den ‚physikalischen‘ Begriffen insofern, als sie die sinnlich-physische Welt zu strukturieren helfen, aber nicht vollständig aus ihr ableitbar sind.

      Die Auseinandersetzung mit der Vielgestaltigkeit von Natur und ihrem Begriff (phýsis) nimmt deshalb eine vermittelnde Position ein und durchzieht fast alle Werke des Aristoteles (weiterführend Wiplinger 1971; Dunshirn 2019). Dabei wird die Frage nach Natur, basierend auf den Prinzipien Bewegung und Wandel sowie Möglichkeit und Wirklichkeit immer wieder anders gestellt. Die Antworten fallen entsprechend unterschiedlich aus. Einige Beispiele: In der Vier-Ursachen-Lehre der Physik (II.3) wird Natur in Analogie zum bildnerischen Schaffen eines Künstlers in Material-, Form-, Wirk- und Zweckursache unterteilt. Von Technik ist Natur ursächlich dadurch abgegrenzt, dass sich letztere von selbst bewegt, wohingegen erstere von außen bewegt wird (ebd.: II.1). In der Nikomachischen Ethik (I 1097b10f.) wird die Natur des Menschen als auf staatliche Gemeinschaft ausgerichtet verstanden, der Mensch ist deshalb ein politisches Wesen; im Menschen ist ferner der Keim der Mitmenschlichkeit als Freundschaft bereits von der Natur eingepflanzt (ebd.: VIII 1155a16–21).