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Naturphilosophie


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      1. Ursprünge im Vorderen Orient

      Bereits in den alten Kulturen des Vorderen Orients (Sumerer, Assyrer, Ägypter, Babylonier; vgl. Keel/Schroer 2008) entstehen entsprechende Motive und Erzählungen, die die Welt als Ganze mit ihren biologischen und geophysischen Gegebenheiten, aber auch die vorfindlichen Gesellschaftsstrukturen auf eine Schöpfung durch göttliche Wesen zurückführen. In ihnen sind religiöse Deutung, philosophische Spekulation und naturkundliche Beobachtung noch nicht geschieden, ebenso wie Theogonie (die Erschaffung der Götter selbst bzw. ihre Abstammung voneinander), Kosmogonie (Entstehung der Welt mit ihren Lebensräumen) und Anthropogonie (die Erschaffung des Menschengeschlechts, oft in Form eines ersten Menschenpaares) noch eng miteinander verwoben sind. Auch gehen verschiedene Vorgänge von (Ur-)Zeugung, Hervorbringen und Anordnen von Materie, Kampfmotive sowie Selbstentfaltungs- und Transformationsvorstellungen eine Synthese ein. Dabei steht weniger der Versuch einer genetischen Herleitung im Vordergrund als vielmehr das Interesse an der Verlässlichkeit der Natur, der Einsicht in ihre Grundkräfte und entsprechender praktischer Lebenssicherung. Das zeigt sich an der verbreiteten Verwendung von Schöpfungsmotiven im Hymnus und an der rituellen Verankerung der Schöpfungstexte im Kontext von Geburts- und Hochzeitsriten (vgl. das babylonische Atramḫasīs-Epos) oder des |24|babylonischen Neujahrsfestes (vgl. das Epos Enūma-eliš), in dessen jährlicher Feier die Schöpfermacht des Gottes Marduk vergegenwärtigt wurde. Im Verständnis der Natur als Schöpfung wurde die Bedrohtheit des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen bei gleichzeitiger Erinnerung an die dem Chaos (→ I.1.A) wehrenden schöpferischen Mächte vergegenwärtigt.

      2. Biblische Traditionen

      Die hebräische Bibel nimmt zunächst in hymnischen Texten und später auch in den beiden ausführlicheren Erzählungen zu Beginn des Genesis-Buches vielfältige Motive aus anderen vorderorientalischen Traditionen auf, so die Urgeschichte in Form von „Noch-nicht“-Beschreibungen, den Zusammenhang von Schöpfung und Flut (Babylon), das Chaoskampfmotiv (Ugarit) oder Elemente ägyptischer Weisheit (vgl. Ps 104 mit dem Atons-Hymnus). Vor allem die Menschenschöpfung findet sich schon in alten israelitischen Traditionen, während die Weltschöpfung erst in der Königszeit (seit ca. 1000 v. Chr.; vgl. die biblischen Bücher) an Bedeutung gewinnt und vollends in der Exilszeit (587–539 v. Chr.) theologisch reflektiert wird, als die geschichtlichen Heilstraditionen fraglich geworden sind (vgl. Schmid 2012). In diesem Zusammenhang wird wohl auch das hebräische Verb bara‘ für (er-)schaffen geprägt, das als spezielles Tätigkeitswort für das göttliche Schaffen reserviert ist und keine Materialangabe oder zusätzliche Beschreibung des Schöpfungshergangs mehr benötigt. Hier deutet sich die spätere Konzeption einer creatio ex nihilo, einer Schöpfung aus dem Nichts an, wie sie die christliche Schöpfungstheologie prägen wird: Der Schöpfer steht der Schöpfung als Woher ihres Ursprungs und als Woraufhin ihres Geschaffenseins souverän gegenüber. Er ist kein Werkmeister, der einen vorhandenen Stoff gestaltet, sondern der, der das Nichtseiende ruft, dass es sei (vgl. Röm 4,17). Die israelitischen Schöpfungstraditionen kennen dabei allerdings keinen umfassenden Naturbegriff, der alles Geschaffene begrifflich vom ungeschaffenen Schöpfer zu unterscheiden erlaubte, insofern dem Hebräischen das Äquivalent für das griechische physis (Natur) fehlt. Trotz der Verwendung des griechischen Begriffs ist der Befund im Neuen Testament ähnlich: ‚Physis‘ hat zumeist die Bedeutung von Wesen und kann sich sowohl auf die göttliche wie auf die menschliche Natur beziehen. Natur als Inbegriff der natürlichen Schöpfung im Neuen Testament wird eher mit dem griechischen Terminus ‚kosmos‘ (Ordnung) bezeichnet (s.u.; → I.1.A). Die Welt wird geordnet und nicht als Chaos wahrgenommen, diese Ordnung aber wird nicht als selbstverständlich angesehen, sondern als das absichtsvolle Werk des Schöpfers.

      |25|3. Antike und frühe christliche Theologie

      3.1 Schöpfung aus dem ‚Nichts‘?

      In der Antike lehren v.a. Aristoteles (384–322 v. Chr.) und die sich an ihn anschließende Schule gemäß dem Axiom, dass aus Nichts nichts werden kann, die schon von Heraklit (um 520–um 460 v. Chr.) und Parmenides (um 510–um 450 v. Chr.) vertretene Ewigkeit der Welt, die keinen eigentlichen Schöpfungsakt voraussetzt (→ I.1). Platon (428/427–348/347 v. Chr.) dagegen macht im Timaios einen Werkmeister der Welt (Demiurgen) für die faktische Verfassung des Kosmos verantwortlich, der der ungeschaffenen Materie nach Vorgabe der ewigen Ideen Gestalt verleiht. Doch auch er kennt keine Schöpfung aus dem Nichts. Für die Stoiker ist die Materie ebenfalls ohne Anfang. Zu dem Baumeister der Weltordnung treten bei ihnen keimartige Kräfte der Natur selbst hinzu, die die Vielfalt der Einzelerscheinungen mit hervorbringen. Dennoch ist der Kosmos von einem einheitlichen, göttlichen Grundgesetz durchwirkt, das für die Einheit und Harmonie der Wirklichkeit verantwortlich ist. Dagegen vertreten die Epikureer die schlechthinnige Zufälligkeit der Welt.

      Die sich langsam entwickelnde christliche Schöpfungstheologie sucht die biblischen Schöpfungsvorstellungen durch eine intensive Auseinandersetzung mit zeitgenössischen naturphilosophischen und kosmologischen Anschauungen zur Geltung zu bringen (→ I.1). Vor allem gegen die Aristoteliker und die Epikureer sucht man im Platonismus einen Verbündeten, der es erlaubt, die Entstehung der Welt aus einem göttlichen Ursprung zu denken und die Güte der Schöpfung auf die Güte des Schöpfers zurückzuführen. Zudem scheint das platonische Weltbild Lösungsmöglichkeiten für innertheologische Problemstellungen bereitzuhalten. Wenn das Alte Testament vom Urgeist über den Wassern und von der Mitwirkung der himmlischen Weisheit bei der Schöpfung spricht, und das Neue Testament Jesus Christus als Schöpfungsmittler und als Weltvernunft (logos) bezeichnet, so lässt sich dies in Anlehnung an die Vermittlungsfunktion der Ideen bei Platon als Mitwirkung des Logos-Sohnes bei der Weltschöpfung verstehen, so dass Schöpfung und Erlösung zusammengedacht werden können.

      Andererseits stellen sich je länger je mehr auch fundamentale Differenzen heraus. Einzelne Versuche einer christlichen Aufnahme des Gedankens einer ewigen Existenz der Materie werden mit Verweis auf das biblische Schöpfungsverständnis abgelehnt. Gegen gnostische Kosmologien, die die materielle Welt zur Gottheit in einen Gegensatz stellen, aber auch gegen neuplatonische Vorstellungen eines Hervorgangs (Emanation) der Welt aus Gott wird spätestens von Irenäus von Lyon (um 135–um 202) betont, dass Gott selbst die Welt voraussetzungslos aus Nichts, d.h. nicht aus etwas ewig Seiendem, erschaffen habe. Das Bekenntnis, Gott habe alles, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt, aus Nichts (ex nihilo) erschaffen, bildet seitdem eine Grundformel christlicher Schöpfungslehre.

      |26|3.2 Die Schöpfung als Gottes Buch der Natur

      Das Christentum bringt mit dem Gedanken der Natur als Schöpfung aus Nichts auch einen erheblichen Entmythologisierungsschub mit sich, insofern herausgestellt wird, dass die Natur als solche nicht göttlich und nicht religiös zu verehren ist. Der Schöpfer ist der Herr über die Natur, deren Kräfte und Gestalten ihm untergeordnet und von ihm abhängig sind. Zugleich kann die Natur verstanden werden als Ausdruck der Weisheit, Macht und Absicht des Schöpfers. Aurelius Augustinus (354–430) prägt in seiner Auslegung der alttestamentlichen Schöpfungserzählung und in Anknüpfung an Clemens Alexandrinus (um 150–um 215) ein weiteres Motiv christlichen Naturverständnisses, die Sicht der Natur als Buch. Gott ist nicht nur – vermittelt über die Inspiration der Autoren – der Verfasser der heiligen Schrift, sondern auch – durch den Akt der Schöpfung – der Urheber des Buches der Schöpfung (liber creaturae). (Augustinus: Genesis V, 1.1). Das Buch der Schöpfung ist als Abbild und Gleichnis anzusehen, das von sich weg auf seinen Urheber weist. Doch hat das Verstehen des Buches der Natur enge Grenzen, die v.a. in der Begrenztheit des Menschen und seiner Sünde begründet sind. Augustinus stellt denn auch das Buch der Schrift an die erste Stelle und bedient sich nicht der Unabhängigkeit beider Bücher, um etwa im Sinne einer natürlichen Gotteserkenntnis aus den Werken der Natur direkt auf das Wesen Gottes zu schließen. Es gibt für ihn keine authentische, menschliche Gotteserkenntnis aus der Natur, ja im Grunde keine letztlich adäquate Naturerkenntnis, weil diese die rechte Erkenntnis der Geheimnisse des Schöpfers voraussetzen würde. Für ihn folgt deshalb aus der Buchmetapher keine Aufforderung, das Buch der Schöpfung als solches