Группа авторов

Naturphilosophie


Скачать книгу

könne als eine Auslegung des christlich-frommen Selbstbewusstseins, könne sie im Grunde nur immanente Prinzipien eines immer schon existierenden Etwas entfalten, aber keine Lehre über einen absoluten Anfang aufstellen. Gott und Natur stehen sich nicht gegenüber, sondern die Natur ist im frommen Gottesbewusstsein zu verstehen als mit der tätigen Wirksamkeit Gottes identisch, so dass die „göttliche Ursächlichkeit als der Gesammtheit der natürlichen dem Umfange nach gleich […] dargestellt“ (Schleiermacher [1830/31] 2008: 309) wird. Insofern sind ‚Gott‘ und ‚Welt‘ ähnlich wie ‚Natur‘ und ‚Geist‘ sich wechselseitig bedingende Kategorien: „Kein Gott ohne Welt, so wie keine Welt ohne Gott“ (Schleiermacher [1839] 2002: 269). Schleiermacher entfaltet deshalb die Natur nicht als das Produkt eines herstellenden göttlichen Handelns, sondern als unmittelbaren Ausdruck Gottes, der nicht planmäßig die beste aller möglichen Welten konstruiert, sondern in freier Kreativität beständig schaffend tätig ist. So teilt sich die göttliche Weisheit in Natur und Geist gleichermaßen mit und stellt sich in ihnen dar, so dass die Natur und also „das gesammte endliche Sein […] als das schlechthin zusammenstimmende göttliche Kunstwerk“ (Schleiermacher [1830/31] 2008: 507) aufzufassen ist.

      6. Herausforderungen eines christlichen Schöpfungsverständnisses heute

      Nach einer Phase der Konzentration auf anthropologische Fragestellungen sucht die christliche Schöpfungstheologie seit einiger Zeit die Kategorie der Natur in ihre Perspektive wieder einzuholen. Das geschieht zum einen im Gespräch mit den Naturwissenschaften, das nun nicht mehr das biblische Weltbild zu verteidigen sucht, sondern |30|als Debatte um ein angemessenes religiöses Wirklichkeitsverständnis geführt wird. Dazu haben auch Entwicklungen der Naturwissenschaften im 20. Jh. beigetragen, die eine Überwindung der Diastase von Natur – Geist bzw. Natur – Mensch möglich erscheinen ließen. Nachdem sich zunächst eher Einzelne dem Thema der Natur zuwandten (z.B. Karl Heim, 1874–1958, im evangelischen und Pierre Teilhard de Chardin, 1881–1955, im katholischen Raum), wird der vornehmlich in der angelsächsisch geprägten Welt geführte Diskurs zwischen science and religion in der deutschsprachigen Theologie etwa von Wolfhart Pannenberg (1928–2014), Jürgen Moltmann (geb. 1926) und Michael Welker (geb. 1947) aufgegriffen. Als anregend haben sich dabei prozessphilosophische und -theologische Entwürfe erwiesen (Charles S. Peirce, 1839–1914; Alfred N. Whitehead, 1861–1947) (vgl. z.B. Deuser 1993).

      Darüber hinaus haben ökologische Fragestellungen die Debatte angeregt (vgl. Rau et al. 1987), die die Natur nicht als bloße Ressource, sondern in religiöser Perspektive in ihrem Eigenwert wahrnehmen und den menschlichen Umgang mit der Natur entsprechend ausrichten wollen. Damit werden auch kritische Anfragen an das Christentum aufgenommen, denen zufolge eine religiös unterfütterte anthropozentrische Naturvergessenheit der christlichen Tradition für die ökologische Krise jedenfalls mitverantwortlich ist (Amery 1972). Seit den 1980er Jahren hat sich das Schlagwort der „Bewahrung der Schöpfung“ etabliert, das im Zusammenhang des sog. Konziliaren Prozesses geprägt wurde, auf den sich 1983 die Mitglieder der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver verpflichteten. Mit dieser nicht unproblematischen Formel (vgl. Graf 1990) sucht christliche Schöpfungstheologie auch den Anschluss an andere Formen wertschätzender Wahrnehmung der ethischen (→ III.5), leiblichen (→ III.1) und ästhetischen (→ III.2) Aspekte der Natur und des Natürlichen.

      Literatur

      Ahn, Gregor 1999: Schöpfer/Schöpfung I. Religionsgeschichtlich. In: Müller, G. et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie, Bd. 30. Tübingen: 250–258.

      Amery, Carl 1972: Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums. Reinbek.

      Augustinus: Genesis = Augustinus, Aurelius [401–414] 1961: Über den Wortlaut der Genesis. De Genesis ad litteram libri duodecim. Der große Genesiskommentar in 12 Büchern, I. Bd.: Buch I bis IV. Hg.: C.J. Perl. Paderborn. [https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00046071_00001.html].

      Descartes, René [1637] 21997: Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Frz.-Dt. Hg.: L. Gäbe. Hamburg.

      Deuser, Hermann 1993: Gott: Geist und Natur. Theologische Konsequenzen aus Charles S. Peirce’ Religionsphilosophie. Berlin.

      Galilei, Galileo [1623] 1968: Il saggiatore. In: Le opere di Galileo Galilei, Bd. VI. Hg.: A. Favaro. Firenze: 197–372.

      Gerhard, Johann [1657] 1864: Loci theologici, Bd. II. Hg.: E. Preuss. Berlin.

      Graf, Friedrich W. 1990: Von der creatio ex nihilo zur ‚Bewahrung der Schöpfung‘. Dogmatische Erwägungen zur Frage nach einer möglichen ethischen Relevanz der Schöpfungslehre. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 87 (2): 206–223.

      |31|Keel, Othmar/Schroer, Silvia [2002] 22008: Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen. Göttingen.

      Kepler, Johannes [1598] 1991: Johannes Kepler. Gesammelte Werke, Bd. 7: Epitomes Astronomiae Copernicanae. Hg.: M. Caspar. München.

      Luther, Martin [1530] 91982: Enchiridion. Der kleine Katechismus. In: Deutscher Evangelischer Kirchenausschuß (Hg.): Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Göttingen: 501–541.

      Platon, Timaios = Platon 2016: Timaios. Griech.-Dt. Hg.: M. Kuhn: Hamburg.

      Rau, Gerhard/Ritter, Adolf M./Timm, Hermann (Hg.) 1987: Frieden in der Schöpfung. Das Naturverständnis protestantischer Theologie. Gütersloh.

      Schleiermacher, Friedrich [21830/31] 2008: Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Hg.: R. Schäfer. Berlin.

      – [1839] 2002: Vorlesungen über die Dialektik, Teilbd. 1. Hg.: A. Arndt. Berlin

      Schmid, Konrad (Hg.) 2012: Schöpfung. Tübingen.

      Thomas von Aquin, Summa theologiae = Thomas v.Aquin 1982: Die deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. 1: Gottes Dasein und Wesen (I, 1–13). Lat.-Dt. Hg.: M.-D. Chenu. Graz.

      Zimmermann, Rainer E. (Hg.) 1998: Naturphilosophie im Mittelalter. Cuxhaven.

       [Zum Inhalt]

      |32|I.3 Mathematisierung der Natur und ihre Grenzen

      Brigitte Falkenburg

      Die Mathematisierung der Natur ist zentral für die neuzeitliche Naturphilosophie. Dabei reflektieren die Philosophen der Neuzeit die Bedingungen, unter denen der Mensch als erkennendes Subjekt zu Objektivität und Gewissheit in der Naturerkenntnis gelangen kann; und sie sehen den Garant für Gewissheit in der Mathematik. Die Ansätze von Descartes bis Kant sind typisch für die Aufklärung: Sie betonen den Imperativ, dass der Mensch sich des eigenen Verstandes bedienen soll, anstatt blindlings den Autoritäten zu folgen. Entsprechend werden diese Konzeptionen hier unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten skizziert.

      (1.) Das Programm einer Mathematisierung der Natur geht einher mit der Physik von Galileo Galilei (1564–1642) und Isaac Newton (1643–1727), die ein mechanistisches und deterministisches Weltbild begründet. Dabei sind Physik und Naturphilosophie zunächst nicht strikt gegeneinander abgegrenzt. (2.) Die naturphilosophischen Konzeptionen im 17. und 18. Jh. sind (2.1) eng verbunden mit der Philosophie des Rationalismus, nach dem alle Erkenntnis auf der Vernunft beruht und der Weltlauf rational und berechenbar ist (René Descartes, 1596–1650; Baruch de Spinoza, 1632–1677; Gottfried W. Leibniz, 1646–1716). (2.2) Die Gegenposition ist der britische Empirismus, nach dem die Erkenntnis ausschließlich auf Erfahrung beruht (John Locke, 1632–1704; George Berkeley, 1685–1753; David Hume, 1711–1776). (3.) Um zwischen den widerstreitenden Strömungen zu versöhnen, konzipiert Immanuel Kant (1724–1804) die Naturphilosophie als ‚metaphysische‘ Disziplin, die auf der Struktur der menschlichen Erkenntnis beruht, deren Maßstäbe für objektive Erkenntnis aber an der mathematischen Physik