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Naturphilosophie


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für funktionsgerechte Organe und Artkonstanz, d.h. für eine zweckmäßige Ordnung des Lebenden. Bei ungünstigen Abweichungen – die als Zufälle im Sinne von Nebenursachen ebenfalls möglich sind – kann die Natur aber nach dem Vorbild der Medizin heilend in den Bauplan eingreifen (Kullmann 2014: 178–200), z.B. indem sie die anatomisch ungünstige Lage der menschlichen Luftröhre direkt neben der Speiseröhre durch die Schaffung des Kehlkopfdeckels „heilt“ (De partibus animalium 665a6–9). Die Natur hat demnach als Ganze das Potenzial, ihre einzelnen Naturen nachzubessern. In Über Werden und Vergehen (De generatione et corruptione) geht es nicht mehr um die Natur von etwas (z.B. von Lebewesen oder Staaten), sondern um deren vorgeordnete Prozesse und, wie sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse gemacht werden können – ein Unterfangen, das erst im 20. Jh. von Alfred N. Whitehead mit seiner Prozessphilosophie wieder versucht worden ist (Buchheim in Aristoteles 2011: XVI). Mehrfach betont Aristoteles, dass die Kreisbewegung die primäre Form aller Bewegungen ist, der auch die Natur prozessual folgt. Eingedenk der Vier-Elemente-Lehre des Empedokles schreibt er: „Denn wenn Wasser aus Luft geworden ist und aus Luft Feuer und wiederum aus Feuer Wasser, dann ist, so sagen wir, durch einen Kreis gegangen das Werden, weil es wieder |15|zurückkehrt“ (Aristoteles 2011: II 337a4–7). Das Vergehen oder „Kaputtgehen“ (so Buchheim) der Naturdinge und ihrer Mischungsverhältnisse ist für Aristoteles die wichtigste Bedingung des Werdens von Substanz. Aber von dem, was vergeht, gibt es keine Wissenschaft (Metaphysik VII 1039b20–1040a5). Diese Einsicht ist auch angesichts der heutigen Umweltwissenschaften und ihrer technischen Konzepte zur Rezyklierung (Recycling von Stoffen und Energie, aber z.B. nicht von genetischer Information) noch bedenkenswert (→ III.5).

      In Über den Himmel (De caelo) wird die All-Natur auf ihre Größen und Dimensionen, auf ihre ersten und vollkommensten Körper (Planeten/Gestirne) sowie kleinsten und letzten Bestandteile („Elemente“) hin befragt. Sie werden in Relation zur – mittlerweile mathematisch gesicherten – Kugelform der Erde und der sie konzentrisch umgebenden, acht Kristallschalen (von der Mond- und dann der Sonnenschale bis zur achten Schale der Fixsterne) des Kosmos gesetzt. Die Grenze des Wirkens der vier Elemente ist die sublunare Sphäre. Der Kosmos als Weltraum ist damit zweigeteilt (→ IV.7), denn jenseits des Mondes gibt es eine planetarische All-Natur „ohne Organe“ und wirkt der Äther als erste Substanz (prṓtē ousía). Der Äther ist ewig und weder leicht noch schwer; er wird als „fünftes Element“ überliefert (s.o., Abschn. 2). Die Fixsterne, die äußerste Grenze des Kosmos, haben keine eigene Bewegung, sondern werden von der Umdrehung des ganzen Himmels mitgezogen (De caelo II.8).

      Mit dem Ziel, die Fülle und Vielgestaltigkeit der Welt systematisch begreifen zu wollen, legt Aristoteles die Basis für eine differenzierte, prinzipienbasierte Wissenschaftslehre und für die seitdem durch separate Problemstellungen markierten Naturwissenschaften Astronomie, Physik, Chemie und Biologie, denen er jeweils eigene Werke widmet. Aus ihnen wird deutlich, dass Aristoteles auch selbst Naturwissenschaft betrieben hat, bevorzugt im Rahmen der Zoologie (Kullmann 2014). Er und sein Schüler Theophrast von Eresos (372/379–288/286 v. Chr.), der sich den Pflanzen widmete, entwerfen eine biologische Systematik. Anders als später die meisten Scholastiker interpretieren werden, ist Aristoteles’ Natur nicht gemäß eines universalen teleologischen Prinzips strukturiert, das nur die Verwirklichung eines Zwecks (télos) ermöglicht und damit determiniert wäre. Vielmehr fordert das aristotelische Telosprinzip die Möglichkeit des Zufalls (Wieland 1992: 256–277), wodurch experimentelle Naturforschung und das Denken von Entwicklung möglich wird. Die aristotelische Natur ist zwar prinzipiell auf das Gute gerichtet, regelgeleitet und zweckgemäß, aber nicht, wie bei Platon, durch einen Schöpfer harmonisch gefügt.

      4. Ewige Bewegtheit statt Chaos

      Bereits im ersten Buch der Metaphysik (983b7–11) erwähnt Aristoteles kritisch, dass diejenigen, die „zuerst Philosophie betrieben“, d.h. die Vorsokratiker, davon ausgingen, dass der Ursprung allen Seins in einem Urstoff oder Element im Sinne der Materie (hýlē) zu suchen sei. Dies weist er kategorisch zurück, v.a., da man mit Sein und Materie nicht den Wandel (metabolḗ) erklären könne. Der aristotelische Kosmos basiert deshalb auf Bewegung (kínēsis) als oberstem Prinzip. In Folge werden zwei |16|Modalitäten jeglicher Substanz (ousía) unterschieden: dýnamis und enérgeia, das Vermögen (Möglichkeit) und seine Verwirklichung (Wirklichkeit).

      Namentlich Hesiods Vorstellung vom Chaos kritisiert Aristoteles ausgehend vom tópos, der einen Raumort meint oder genauer: einen Bereich, in dem sich Ort und Raum gegenseitig bedingen (Physik IV 208b27–209a2). Der „natürliche Ort“ eines Körpers, zu dem dieser teleologisch hinstrebt, wird von Aristoteles zwar als trennbar von dessen aktuellem Aufenthaltsort gedacht. Man könne aber keinen Raum denken, in dem nichts ist und der als Weltbehälter den Kosmos aufnehme. Gegen die Atomisten und ihr Konzept der Leere entgegnet er, dass die Leere selbst nicht bewegt werde und auch nichts in ihr bewegt werden könne (vgl. auch Metaphysik I 985b4–19). Damit ist auch eine Kritik an Platons Raumbegriff formuliert. Platon sieht den Raum als ein Drittes zwischen Sein (Welt der Ideen) und Werden (Welt der Wahrnehmung) an, der als „Amme des Werdens“ fungiert, als ein aufnehmender Raum oder platzbietendes Feld (chṓra, von chôros für: Tanzplatz), in und qua dem die Elemente und schließlich die Welt überhaupt erst erschaffen werden können. Platon setzt sich dabei mit dem Chaos auseinander, das als ontologische Problematik auch im Begriff ‚Information‘ noch aufscheint (→ II.8), weil in und gleichzeitig mit und aus etwas formiert wird, ohne angeben zu können, „woraus“ dieses etwas ist. Einerseits gilt: „Seiendes, Raum und Werden waren, bevor noch der Himmel entstand, als in dreifacher Weise“ (Timaios 52d). Dabei handelt es sich um drei Formen der einen Vernunft. Andererseits hat der Raum für Platon eine mediale Funktion zwischen Geistigem und Realem, denn als formloser, aber bewegter Raum ist er selbst formativ. In und mit ihm werden die noch nicht in Maßverhältnissen vorliegenden Vorfahren der vier Elemente vom Demiurgen gerüttelt und geschüttelt und nach Dichte und Schwere zu einem Weltganzen geordnet (ebd.: 52e/53a). Dagegen fragt Aristoteles kritisch, warum Platons „Formen“ und „Zahlen“ nicht an einem Ort sind (Physik IV 209b33–210a2). Denn so haften die platonischen Abbilder den ideell-ewigen Substanzen nur irgendwie an, wohingegen nach Aristoteles (2011) die Substanzen in ihrer Verhältnismäßigkeit (als „Elemente“) selbst werden und vergehen.

      Für Aristoteles ist die Welt nicht erschaffen, sondern ewig, und mit ihr die Zeit. Ihn leitet die Ansicht, dass das Verändernde seine Form stets mitbringen muss (Physik III 202a9–12), was gegen das Chaos spricht. Auch der Ort kann nicht allem vorgeordnet sein im Sinne eines „irgendwo“ eines Körpers. Eine Ordnungsstruktur schafft vielmehr die Zeit, die als Zeitlichkeit (früher/später) in die Bewegung fällt, ohne mit ihr identisch zu sein. Die uns über Veränderung phänomenal zugängliche Zeitlichkeit der Zeit ist die Wirklichkeit des Möglichen als solchem (Metaphysik XI 1065b15f.; Physik III 201a9f.). Im Fortgang des dritten Buchs der Physik setzt sich Aristoteles ausführlich mit Anaximanders Apeiron, dem Grenzenlos-Unbestimmbaren, auseinander, das nur der Möglichkeit nach, aber nicht in Wirklichkeit existiere. In diesem Zusammenhang steht auch das aristotelische Konzept der potenziellen Unendlichkeit. Sie ist mengentheoretisch zu denken als dasjenige, zu dem es immer noch ein Äußeres gibt (Physik III 207a1). Ein Unendliches, das als Ganzes vorliegt, gibt es für Aristoteles hingegen nicht (→ I.1.B).

      |17|Die Vorstellung, dass es nur einen Himmel, aber unterschiedliche Sphären der Himmelskörper gibt, ist der Hintergrund für Aristoteles’ kosmologische Theorie des „unbewegten Bewegers“ (Metaphysik XII 1071b3ff.), der aus logischen, nicht ontologischen Gründen gesetzt wird. ‚Er‘ befindet sich als oberstes Bewegungsprinzip an der äußersten Grenze des damals bekannten Himmels, d.h. direkt hinter der Sphäre der Fixsterne, und sorgt für die kontinuierliche Kreisbewegung des Kosmos. Der unbewegte Beweger ist ewig und ungeschaffen. Diese aristotelische Annahme und Platons „Weltseele“ in den Nomoi sind die Basis des sog. „kosmologischen Arguments“ als einem Argumenttypus, der die Naturphilosophie und Physik bis in die Gegenwart durchzieht. Darin sind Positionen versammelt, die für und gegen einen hinreichenden Grund für die Annahme von „Welt“ (→ II.3) sowie für eine erste Ursache (lat.: prima causa) des Kosmos argumentieren. Zur Argumentfamilie gehören Fragen