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Wörterbuch der Soziologie


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und Wahrnehmungsstrukturen und Handlungsverläufe des erhobenen Falls rekonstruiert; gerade auch im Widerspruch zur Selbstpräsentation. Wie bei quantitativen Befragungen gibt es auch in qualitativen Interviews Antworttendenzen, die sich an der sozialen Erwünschtheit orientieren; im Gegensatz zur quantitativen Erhebung erhält man jedoch in einem gelungenen qualitativen Interview ausreichend viele Kontextinformationen, um widersprüchliche Aussagen und die Handlungswirksamkeit von postulierten Einstellungen erkennen zu können. Dies verweist aber darauf, dass ein Interview vollständig, also als Fall, interpretiert werden muss. Das – bisweilen praktizierte – Herauspicken von einzelnen Passagen reicht von der Auswertungstiefe her nicht aus. Für das narrative Interview wurden unterschiedliche narrationsanalytische Auswertungsverfahren entwickelt. Grundsätzlich finden bei der Interviewanalyse die eingeführten qualitativen Auswertungsverfahren wie z. B. die Objektive Hermeneutik oder die Dokumentarische Methode der Interpretation Anwendung.

      Literatur

      Zur standardisierten Befragung: Diekmann, Andreas, 2007: Empirische Sozialforschung, 4. Aufl., Reinbek. – Beiträge in der Zeitschrift »Methoden-Daten-Analysen. Zeitschrift für empirische Sozialforschung«, ab 2007 (s. a. die Publikationen unter www.gesis.org).

      Zu qualitativen Interviews: Bogner, Alexander et al. (Hg.), 2009: Experteninterviews, 3. Aufl., Wiesbaden – Hoffmann-Riem, Christa, 1980: Die Sozialforschung einer interpretativen Soziologie – der Datengewinn; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32, 339–372. – Küsters, Ivonne, 2009: Narrative Interviews, 2. Aufl., Wiesbaden. – Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika, 2009: Qualitative Sozialforschung, 2. Aufl., München, 91–159.

       Nicole Burzan/Ivonne Küsters

      Die Beobachtung (engl. observation) ist Grundlage empirischer Forschung, da wissenschaftliche Erkenntnisprozesse allgemein auf sinnlichen Erfahrungen der Wahrnehmung und Beobachtung beruhen (Bortz/Döring, Kap. 4). Im engeren Sinne ist die Beobachtung eine empirische Methode der Untersuchung von Verhalten in den Human- und Sozialwissenschaften. Im Vergleich zu sprachbasierten Verfahren (z. B. Befragung) wird bei Methoden der Beobachtung eher der Anspruch betont, dass sie einen unmittelbaren, weitgehend unverfälschten Zugang zu menschlichem Verhalten liefern. In der experimentell orientierten Psychologie liegt dabei ein Schwerpunkt auf der Beobachtung unter standardisierten Bedingungen, um eine größtmögliche Kontrolle [49]von Störvariablen zu gewährleisten. Da aus soziologischer Perspektive die Beobachtung eine geeignete methodische Zugangsweise zur Prüfung theoretischer Fragen hinsichtlich der Herstellung sozialer Wirklichkeit in alltäglichen Interaktionen ist, steht die Beobachtung in natürlichen Verhaltenskontexten im Mittelpunkt (z. B. teilnehmende Beobachtung). Zur ergänzenden Dokumentation werden hierzu auch visuelle Medien (Foto, Video) herangezogen, die z. B. mittels Bildanalyse untersucht werden (Flick, Kap. 17–21). Beobachtung ist ein Sammelbegriff für eine Reihe teilweise sehr unterschiedlicher Datenerhebungstechniken (z. B. Beobachtung sprachlichen und nicht-sprachlichen Verhaltens, Beobachtung kultureller Zeichen wie Kleidung). Davon abhängig variieren das methodische Vorgehen und damit einhergehende Probleme der Reaktivität (vgl. nicht-reaktive Verfahren).

      Formen der Verhaltensbeobachtung

      In Abgrenzung zur Alltagsbeobachtung bezieht sich systematische Beobachtung auf spezifische Fragestellungen und erfolgt daher zielgerichtet und geplant. Dies beinhaltet eine systematische Aufzeichnung der Daten sowie die Sicherstellung von Reliabilität und Validität (Hoyle et al.). Ferner wird eine Differenzierung zwischen systematischer und freier Beobachtung, die nicht hypothesengeleitet erfolgt, vorgenommen (Greve/Wentura). Der Beobachtung durch trainierte externe Beobachter (Fremdbeobachtung) steht die systematische Beobachtung und Protokollierung des eigenen Verhaltens gegenüber (Selbstbeobachtung), die z. B. in der psychologischen Diagnostik Anwendung findet (z. B. Tagebuchmethode) (Bodemann).

      Methoden der Beobachtung lassen sich hinsichtlich ihres Standardisierungsgrades einteilen. Die Kontrolle über die Durchführungsbedingungen ist hoch in künstlich erzeugten Situationen, in der durch Stimuli gezielt ein bestimmtes Verhalten evoziert wird (z. B. emotionale Reaktion auf Musik). Je nachdem, ob Beobachtung im natürlichen Verhaltenskontext erfolgt oder in einem Labor, ist der Ort der Beobachtung ein weiteres Unterscheidungskriterium (Feld-/natürliche vs. Laborbeobachtung). Ebenso ist zu berücksichtigen, inwieweit die untersuchten Personen wissen, dass sie Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung sind oder der Beobachter verdeckt agiert (offene vs. verdeckte Beobachtung). Bei der teilnehmenden Beobachtung ist der Beobachter in der Situation selbst anwesend, um eine bestimmte Rolle im sozialen Geschehen zu übernehmen oder gezielt mit den untersuchten Personen zu interagieren. Bei der nicht teilnehmenden Beobachtung hingegen ist der Beobachter nicht präsent (teilnehmende vs. nicht teilnehmende Beobachtung).

      Die Auswertung des beobachteten Verhaltens kann unmittelbar oder technisch vermittelt erfolgen. Die Auswertung aufgezeichneter Beobachtungsdaten (z. B. Ton-/Videoaufnahmen, Transkripte) bietet Vorteile gegenüber einer unmittelbaren Kodierung in der aktuellen Situation. Aufzeichnungen erlauben die wiederholte Betrachtung der Beobachtungsepisoden und tragen zur Reduzierung von Beobachtungsfehlern bei. Verschiedene Verhaltensaspekte können getrennt und nacheinander ausgewertet werden. Dies erlaubt zu prüfen, wie hoch die Beurteilerübereinstimmung ist. Digitale Videoaufnahmen erleichtern heute übliche computergestützte Auswertungen mit Programmen, die komplexe Auswertungsprozeduren (z. B. Sequenzanalyse) vereinfachen (Bakeman/Quera). Bei allen Auswertungsmethoden erfolgt eine Informationsreduktion. Diese Reduktion hängt davon ab, welche Aspekte des Verhaltens im Zeitverlauf erfasst werden sollen (z. B. sprachliches oder nicht sprachliches Verhalten) (Greve/Wentura).

      Beobachtungs- und Beschreibungssysteme

      Grundlage einer systematischen Beobachtung ist die Festlegung für die Fragestellung relevanter Beobachtungseinheiten. »Als Beobachtungseinheit wird derjenige Bestandteil in einem Verhaltensablauf bezeichnet, der dem Untersucher als kleinstes, nicht reduzierbares Ereignis zur Analyse des Verhaltens notwendig erscheint« (Cranach/Frenz: 286). Je nach theoretischem Interesse unterscheiden sich die gewählten Beobachtungseinheiten. In der Soziologie und Sozialpsychologie ist die Untersuchung von sozialen Interaktionen von Interesse (z. B. Kooperation in Gruppen), die Persönlichkeitspsychologie interessiert sich für individuelle Unterschiede in Verhaltensmustern (z. B. Wirkung von Stress auf Essverhalten), während in der Entwicklungspsychologie Veränderung und Stabilität von Verhalten im Mittelpunkt stehen (z. B. in Eltern-Kind-Interaktionen). Beobachtungseinheiten können qualitativer und quantitativer [50]Natur sein und hinsichtlich der zeitlichen Auflösung variieren. In Studien zur emotionalen Entwicklung wurde festgestellt, dass kulturelle Unterschiede bestehen, wie Mütter auf negative Emotionen ihrer Kinder reagieren (d. h. Sensitivität; Trommsdorff). Emotionen lassen sich hinsichtlich qualitativer (z. B. positiv, negativ) und quantitativer Merkmale (z. B. Intensität, Häufigkeit, Dauer) unterscheiden. Ebenso kann Sensitivität als eine qualitativ variierende Einheit (d. h. Formen der Sensitivität unterscheiden sich zwischen Kulturen) verstanden werden, deren Ausprägungen sich auf individueller Ebene einschätzen lässt. Bezieht sich die Erfassung von Sensitivität auf eine Interaktionssequenz mit einer Dauer von mehreren Minuten, lassen sich Verhaltensmerkmale auf der Mikroebene heranziehen (z. B. Position der Augenbrauen, Mundwinkel), um die Intensität des emotionalen Ausdrucks zu beurteilen (mikro- vs. makroanalytische Beobachtung). Beobachtungseinheiten variieren, je nachdem, ob sie natürliche Verhaltenseinheiten (z. B. weinen) oder komplexe soziale Handlungen (z. B. Aufmerksamkeit suchen) abbilden (Bakeman/Quera).

      Bei der Verhaltensbeobachtung nimmt ein Beobachter stets Zuschreibungen vor und erschließt Beobachtungseinheiten aufgrund des wahrgenommen Verhaltens (Cranach/Frenz). Bei der Beobachtung von Begrüßungsritualen werden Beobachter mit hoher Übereinstimmung, zumindest in einer bestimmten Kultur, Förmlichkeit und Höflichkeit beurteilen können. Kann eine hohe intersubjektive Übereinstimmung nicht gelingen (z. B. Kulturvergleich), ist es unerlässlich, direkt wahrnehmbare Beobachtungseinheiten (z. B. Körperkontakt) zu wählen.

      Beobachtungen