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Wörterbuch der Soziologie


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die sich der Alltagssprache bedienen, umfassen Selbst- und Fremdbeobachtung (z. B. Tagebuch) oder Verlaufsprotokolle. Dies sind unsystematische Ereignisprotokolle, die einer weiteren inhaltsanalytischen Auswertung bedürfen. Index-Systeme beinhalten eine Aufzeichnung von Verhaltensmerkmalen, z. B. ethologische Verhaltensprotokolle, in denen bestimmte in einer Situation auftretende Verhaltensweisen oder Merkmale, die einen übergeordneten Aspekt (z. B. Verhaltensmuster) repräsentieren, registriert werden (Faßnacht). Ziel eines Kategoriensystems ist es, das beobachtete Verhalten möglichst erschöpfend zu beschreiben und anhand definierter Kategorien zu klassifizieren. Ein Kategoriensystem bestimmt Struktur und Regeln, die für eine systematische Zuordnung der beobachteten Verhaltenseinheiten zu einzelnen Kategorien erforderlich sind. Einzelkategorien müssen inhaltlich und definitorisch voneinander abgrenzbar sein, um eine eindeutige, exklusive Zuordnung der untersuchten Beobachtungseinheiten zu den Kategorien zu gewährleisten. Die Erstellung eines Kategoriensystems ist somit eine Voraussetzung für die spätere Übersetzung beobachteter Verhaltenseinheiten in numerische Variablen zwecks statistischer Datenverarbeitung. Mit diesem Schritt kann Beobachtung als eine Form der Messung im wissenschaftlichen Sinne verstanden werden (Greve/Wentura).

      Eine Alternative zu nominalen Klassifikationssystemen stellen dimensionale Systeme dar, bei denen Ratingskalen zur Anwendung kommen. Die Verwendung von Ratingskalen anstelle kategorialer Maße kann die Erfassung sozial komplexer Verhaltensweisen erleichtern und Informationen liefern, die bei der Verwendung rein verhaltensbasierter Kategorien verborgen bleiben. Ein kulturinformierter Beobachter, der auf einer Skala die Qualität einer Mutter-Kinder-Interaktion beurteilt, berücksichtigt möglicherweise kulturelle Besonderheiten, die durch eine Erfassung von Häufigkeit und Dauer rein verhaltensbezogener Beobachtungseinheiten (z. B. Körperkontakt) nicht abgebildet würden. Im Vergleich zu nominalen Kategoriensystemen sind Ratingskalen weniger zeitintensiv und können vergleichbar zuverlässige Ergebnisse liefern (Bakeman/Quera). Ein weiteres Beispiel ist die Sequenzanalyse, die es ermöglicht, Verhaltensmuster zu identifizieren und strukturelle Zusammenhänge im zeitlichen Verlauf zu untersuchen. Voraussetzung ist das Vorliegen zeitlich fortlaufend erhobener Daten zu mehreren Messzeitpunkten (Bakeman/Quera).

      Objektivität der Verhaltensbeobachtung

      Einschränkungen der Zuverlässigkeit und Objektivität können aufgrund von Urteilsverzerrungen seitens der Beobachter und durch die Tatsache der Beobachtung selbst entstehen. Da Beobachtung auf der individuellen Wahrnehmungsleistung der einzelnen Beobachter basiert, ist die Herstellung einer hohen Übereinstimmung zwischen verschiedenen Beobachtern (Interrater-Reliabilität) eine Voraussetzung, um die Objektivität einer Beobachtung zu gewährleisten. Unterschiedliche Quellen für Beobachtungsfehler[51] sind bei der Auswertung zu berücksichtigen. Bei der Verwendung globaler Ratingskalen besteht die Gefahr, dass bei der Kodierung extreme Werte vermieden werden (zentrale Tendenz), die Beurteilung durch den Gesamteindruck oder besonders saliente Verhaltensmerkmale überlagert wird (Halo-Effekt) oder Erwartungshaltungen des Beobachters die Urteilsbildung beeinflussen. Auch können Personenmerkmale des Beobachters (z. B. Geschlecht, Alter) zu Urteilsverzerrungen führen. Neben Auswahl und Training der Beobachter ist die Kontrolle der Auswertung unerlässlich, um Verzerrungen infolge von Beobachtungsfehlern entgegenzuwirken (Greve/Wentura). Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Kodierung werden sichergestellt, indem die Übereinstimmung zwischen unabhängigen Beobachtern ermittelt wird oder ein Abgleich der Auswertung mit einem zuvor etablierten Expertenrating erfolgt. Zur Prüfung der Interrater-Reliabilität wird z. B. Cohens Kappa als statistisches Maß verwendet (Bakeman/Quera). Eine Alternative für die Prüfung der Interrater-Reliabilität bei qualitativen Verfahren, die mit weniger Einschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Beobachter, Skalenniveau, Stichprobengröße und fehlender Werte verbunden ist, stellt Krippendorffs Alpha dar (Hayes/ Krippendorff).

      Grundsätzlich können Beobachtungsfehler jedoch auch durch die untersuchten Personen verursacht werden. Insbesondere Beobachtung ist anfällig für Probleme der Reaktivität, wenn die untersuchten Personen ihr Verhalten aufgrund ihres Wissens über die Untersuchungsabsicht verändern (Versuchspersoneneffekt). Bei teilnehmender Beobachtung über einen längeren Zeitraum (z. B. Feldforschung), wenn Beobachter und untersuchte Personen direkt miteinander interagieren, ist nicht auszuschließen, dass die Messung anhaltende Änderungen im Verhalten zur Folge hat (z. B. um Erwartungen des Beobachters zu erfüllen; Hawthorne-Effekt; Greve/Wentura).

      Methoden der Beobachtung stellen besondere Herausforderungen an Planung und Durchführung der Datenerhebung (z. B. Reaktivität) und -auswertung (z. B. Entwicklung eines Kategoriensystems, Training der Beobachter). Methoden der Beobachtung sind jedoch eine wichtige Alternative für die Erfassung von Verhalten, wenn die Verwendung anderer Verfahren (z. B. Befragung) schwierig ist (z. B. komplexe soziale Interaktionen in Gruppen) oder untersuchte Personen nicht über ihr Verhalten Auskunft geben können (z. B. Kleinkinder) (Greve/ Wentura; Schnell et al., Kap. 7). Generell empfiehlt es sich, unterschiedliche Datenquellen (z. B. Befragungen wie Selbst- und Fremdbericht) mit Methoden der Beobachtung zu kombinieren (Triangulation; Schnell et al., Kap. 7).

      Literatur

      Bakeman, Roger; Quera, Vincenç, 2011: Sequential analysis and observational methods for the behavioral sciences, New York. – Bodemann, Guy, 2006: Beobachtungsmethoden; in: Petermann, Franz; Eid, Michael (Hg.): Handbuch der psychologischen Diagnostik, Göttingen, 151–159. – Bortz, Jürgen; Döring, Nicola, 2009: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Heidelberg. – Cranach, Mario von; Frenz, Hans-Georg, 1969: Systematische Beobachtung; in: Graumann, Carl Friedrich (Hg.): Handbuch der Psychologie, Band 7, Sozialpsychologie, Göttingen, 269–331. – Faßnacht, Gerhard, 1995: Systematische Verhaltensbeobachtung: Eine Einführung in die Methodologie und Praxis, München. – Flick, Uwe, 2007: Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung, Reinbek. – Greve, Werner; Wentura, Dirk, 1997: Wissenschaftliche Beobachtung: Eine Einführung, Weinheim. – Hayes, Andrew F.; Krippendorff, Klaus, 2007: Answering the call for a standard reliability measure for coding data; in: Communication Methods and Measures, 1, 77–89. – Hoyle, Rick H. et al., 2009: Research methods in social relations, Belmont Drive, CA. – Schnell, Rainer et al., 2011: Methoden der empirischen Sozialforschung, München. – Trommsdorff, Gisela, 2007: Entwicklung im kulturellen Kontext; in Trommsdorff, Gisela; Kornadt, Hans-Joachim (Hg.): Enzyklopädie der Psychologie: Themenbereich C, Serie VII, Bd. 2: Kulturelle Determinanten des Erlebens und Verhaltens, Göttingen, 435–519.

       Tobias Heikamp

      Gegenstand

      In der Berufssoziologie (engl. occupational sociology/sociology of occupations) bzw. in berufssoziologischen Analysen geht es um die Bedeutung des Berufs für Individuen, Organisationen und gesellschaftliche Teilbereiche und genauer: um eine soziologische Beschreibung dieser Verhältnisse. In der mittelalterlichen Gesellschaft war der Beruf nicht nur ein Teil des Lebens, sondern er bestimmte die[52] Existenz des ›ganzen Hauses‹ sowie das ›ganze Leben‹ der in ihm arbeitenden und wohnenden Personen. Der Beruf fungierte als Leitgesichtspunkt für die ganze Lebensführung und war der bestimmende Orientierungsrahmen für betriebliche Organisationen. Diese umfassende Stellung hat er in der modernen Gesellschaft freilich längst eingebüßt, was gleichwohl nicht heißt, dass er bedeutungslos geworden wäre, worauf schon Helmut Schelsky (1960/1965) in seinem einflussreichen Aufsatz »Die Bedeutung des Berufs in der modernen Gesellschaft« hingewiesen hat. Obwohl Schelsky sehr wohl die Gefahr sieht, dass der »in seiner Lebensbedeutung reduzierte Beruf nur als Mittel und Zweck für die Lebenserfüllung in anderen Lebensbereichen angesehen« und damit zum »bloßen Job« werden könnte (240), betont er, dass auch in dieser teilhaften Bedeutung, die der Beruf jetzt noch für das menschliche Leben hat, »die Berufstätigkeit immer noch der wichtigste Faktor für die soziale Bestimmung des menschlichen Lebens in unserer Kultur« ist (240) und dass die Menschen »im Wesentlichen nach ihren Berufen sozial eingeordnet« werden (S. 241). Der Beruf ermögliche nämlich den Menschen nach wie vor den Großteil ihrer Sozialkontakte und strukturiert ihren Alltag und ihren Lebenslauf; er bestimmt ihre Einkommens- und ihre Vermögensverhältnisse und damit auch ihren sozialen Status und ihr soziales Prestige; und schließlich prägt er ihre Selbst- und Fremdeinschätzung,