Roland Wenzlhuemer

Mobilität und Kommunikation in der Moderne


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ließen sich aber aus dem prozessualen Zugang des Buches heraus schwerlich vermeiden. Umso weniger kann und will diese Einführung einen Anspruch auf eine vollständige Abbildung der Mobilitäts- und Kommunikationsgeschichte der Moderne erheben.

      Untersuchungsrahmen

      Jedes der acht thematischen Kapitel beginnt mit einem anschaulichen, manchmal außergewöhnlichen Beispiel, dessen Ziel es ist, den Kern des besprochenen Großprozesses freizulegen. Diese historischen Episoden stammen aus dem Repertoire des Autors und spiegeln dementsprechend dessen partikulare Expertise und Forschungsinteressen wider. Sie stammen zu einem überwiegenden Teil aus einem britischen oder einem britisch-imperialen historischen Zusammenhang (vom nur forschungsbiografisch zu erklärenden Übergewicht telegrafischer Beispiele einmal ganz zu schweigen) und sind damit in ihrer Auswahl ebenso wenig repräsentativ für die gesamte moderne Geschichte von Mobilität und Kommunikation wie der Inhalt der Kapitel selbst. Es kann allerdings auch nicht der Anspruch dieses dünnen Bandes sein, sich möglichst umfassend mit dem in seiner Gesamtheit kaum zu überblickenden Untersuchungsgegenstand zu beschäftigen. Vielmehr soll dieser in seiner historischen Bedeutung erfassbar und zugänglich gemacht werden. In diesem Licht ist auch die Auswahl der acht Großprozesse zu sehen. Auch hier hätte man natürlich andere Prozesse und Entwicklungen auswählen können. Es handelt sich bei den acht ausgewählten Zugängen nicht um eine abgeschlossene Liste oder – schlimmer noch – um einen wie auch immer gearteten Kanon der Mobilitäts- und Kommunikationsgeschichte. Vielmehr spiegelt die Auswahl den Versuch, nachvollziehbare und analytisch sinnvolle Schneisen in einen schwer zu überblickenden Gegenstand zu schlagen und dadurch dessen umfassende gesellschaftliche Bedeutung besser nachvollziehbar zu machen, wider.

      Das Buch betrachtet seinen Gegenstand in einem zeitlich wie auch räumlich begrenzten Untersuchungsrahmen. Es fokussiert auf die Geschichte von Mobilität und Kommunikation in einem weitgehend europäischen, europäisch-kolonialen oder – wie zum Beispiel im Fall der Vereinigten Staaten – europäisch-postkolonialen Kontext. Entwicklungen außerhalb dieser Regionen und Kulturen bleiben in der vorliegenden Darstellung weitgehend unberücksichtigt. Ebenso eng umrissen ist der Betrachtungszeitraum. Dieser liegt hauptsächlich im so genannten „langen 19. Jahrhundert“, das grob den Zeitraum von den Atlantischen Revolutionen im ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beschreibt. Bisweilen blickt das Buch aber auch ganz bewusst über diesen zeitlichen Fokus hinaus – besonders deutlich etwa in Kapitel III.3 zu Fragen der Kommodifizierung von Information oder in Kapitel III.8 zu Digitalisierungsprozessen.

      Die Festlegung sowohl des räumlichen wie auch des zeitlichen Rahmens ist somit aus dem Blick auf die europäische Geschichte abgeleitet. Dies ist eine bewusste Eingrenzung des Gegenstands, die zum einen den professionellen Limitationen des Autors Rechnung trägt. Andererseits kann dieser analytische Eurozentrismus hoffentlich einen noch schädlicheren normativen Eurozentrismus verhindern. Viele der größeren Entwicklungen, die dieses Buch im Bereich von Mobilität und Kommunikation untersucht, sind in der Art und Weise, wie sie hier betrachtet werden, Ausprägungen einer spezifischen europäischen Moderne, die nicht ohne weiteres auf andere Weltregionen oder Kulturen umgelegt werden kann. Dieses Buch will durch seinen Fokus auf die europäische Geschichte keinesfalls europäische Idee, Praktiken und Entwicklungen zu einem Maßstab erhöhen, an dem sich andere messen lassen müssen.

      [1] New York Sun, 26.08.1864.

      [2] Eine detaillierte und dennoch gut lesbare Rekonstruktion des Mordfalls findet sich u. a. bei: Colquhoun; eine Erörterung des Falls auf Basis des Gerichtsprozesses wurde schon vor längerer Zeit hier vorgenommen: Knott u. Irving; Zudem sind die Unterlagen des Verfahrens auch einsehbar: Trial of Franz Muller.

      [3] Hoerder, Migrations and Belongings; ders, Geschichte der deutschen Migration; ders. u. Moch, European Migrants; Bade.

      [4] Regulation of Railways Act 1868, III. Provisions for Safety of Passengers.

      [5] Gibbs, S. 116.

      [6] Zum Beispiel Schivelbusch, S. 51‒66; Krajewski, S. 25.

      [7] Bagwell, S. 15‒34.

      [8] Knoch.

II. Perspektiven auf Mobilität und Kommunikation

      1. Mobilitätsgeschichte

      Dieses Kapitel versucht zu vermitteln, auf welchen theoretischen Zugängen die historiografische Beschäftigung mit Mobilität und Kommunikation beruht bzw. beruhen kann. Es will verschiedene Fragestellungen und Erkenntnisinteressen im Zusammenhang der Mobilitäts- und Kommunikationsgeschichte vorstellen und dieses Feld damit vor allem im größeren Rahmen der Geschichtswissenschaft verorten. Genau dazu dienen theoretische Überlegungen in der Wissenschaft. Idealerweise bilden sie den Übergang vom Kleinen ins Große, vom Spezifischen zum Allgemeinen. Sie verweisen darauf, welche Rolle ein Untersuchungsgegenstand in einem größeren, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang spielt. Sie machen deutlich, an welche grundlegenden Fragen und Problemstellungen eine Arbeit anschließen will und kann, zu welchen breiteren Diskussionen sie einen Beitrag leistet. Theorie ist also, um eine Mobilitätsmetapher zu bemühen, eine Brücke – eine Brücke zwischen dem Forschungsgegenstand und dem größeren gesamtgesellschaftlichen Rahmen.

      Theorie leitet Forschung und verortet die Forschungsergebnisse. Um das zu gewährleisten, müssen theoretische Überlegungen weder besonders ausführlich noch besonders abstrakt oder kompliziert formuliert sein. Sie sollen schlicht dafür sorgen, dass die Bearbeitung eines bestimmten Gegenstandsbereichs auch zur Beantwortung von Fragen außerhalb des eng abgesteckten Beobachtungsrahmens beitragen kann. Im Zusammenhang der Mobilitäts- und Kommunikationsgeschichte tauchen dabei unter anderem folgende grundlegenden Fragen auf: Was ist eigentlich die Rolle kommunikations- oder mobilitätshistorischer Studien in einem größeren geschichts- oder kulturwissenschaftlichen Zusammenhang? Aus welcher Perspektive blicken wir auf historische Transportmittel, Mobilitätsformen oder Kommunikationsweisen? Jenseits einer reinen Beschreibung historischer Sachverhalte: Was wollen wir eigentlich wissen? Welche Aspekte betonen wir, welche vernachlässigen wir? Welchen Gültigkeitsbereich haben die Ergebnisse, die wir erhalten? Zu welchen gesellschaftlichen Diskussionen können sie beitragen?

      Das sind zunächst einmal keine komplizierten Fragen, die zweckdienliche Auseinandersetzung mit ihnen kann aber wissenschaftlich durchaus herausfordernd sein und braucht eine enge Abstimmung zwischen theoretischem Anspruch und empirischem Vorgehen. Dieses Kapitel will den forschungsleitenden Charakter von theoretischen Zugängen zur Mobilitäts- und Kommunikationsgeschichte anhand konkreter Beispiele herausarbeiten. Dazu wird es in einem ersten Schritt einen gerafften Überblick über die Entwicklung der historiografischen Beschäftigung mit Transport und Kommunikation geben und im Zuge dessen auch das in diesem Buch verwendete Verständnis von Mobilitätsgeschichte skizzieren. Im Anschluss greift das Kapitel vier historisch-theoretische Zugänge zum Thema Mobilität und Kommunikation heraus und stellt deren spezifische Erkenntnisinteressen vor. Exemplarisch behandelt werden in dieser Hinsicht technik-, wirtschafts-, kultur- und globalgeschichtliche Ansätze. Diese Auswahl stellt weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch auf exakte Trennschärfe. Die verschiedenen Zugänge überlappen sich in ihren Fragen und Interessen, und natürlich sind auch andere Perspektive auf Mobilität und Kommunikation genauso valide. Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch, dass die ausgewählten Ansätze analytisch nicht notwendigerweise auf derselben Stufe stehen. So informieren technikhistorische Fragestellungen nach der Rolle von Technologien in historischen Gesellschaften alle anderen