Sabahat Gürbüz

Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit


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wenn die Ehegatten unstreitig seit mehr als einem Jahr räumlich getrennt voneinander leben und die Anhörung des an Demenz erkrankten Antragstellers nach § 128 FamFG sowie das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme den Rückschluss zulassen, dass dieser zum Zeitpunkt der Trennung bzw. zu einem danach liegenden Zeitpunkt noch den hinreichend sicheren natürlichen Willen zur Trennung und Ehescheidung sowie die Ablehnung der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft erklärt hat.

      Darauf, dass bei dem an Demenz erkrankten Antragsteller zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung hingegen kein natürlicher Trennungs- und Scheidungswillen mehr festgestellt werden kann, kommt es nicht für den Ausspruch der Ehescheidung an. Ist nämlich der antragstellende Ehegatte wegen einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, das Wesen einer Ehe und einer Ehescheidung erfassen zu können, ist bei ihm ein Zustand äußerster Eheferne erreicht, bei dem die Ehe der mehr als ein Jahr getrennt lebenden Ehegatten scheidbar ist.“

      Fehlende Einvernehmlichkeit

      Wenn eine Einvernehmlichkeit fehlt, ist die Ehe nur dann gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und eine tatrichterliche Prognose ergibt, dass nicht zu erwarten ist, dass sie wieder hergestellt wird, diese Zerrüttungslage wird in tatsächlicher Hinsicht gerichtlich überprüft (Wellenhofer 2017).

      Zerrüttung

      Indizien für die Zerrüttung (Beispiele aus der Rechtsprechung) sind:

      ■ Anderweitige Partnerverbindung (OLG Frankfurt, FamRZ 1977, 810)

      ■ Homosexualität (OLG Hamm, FamRZ 1978, 190)

      ■ Endgültige Abwendung eines Ehepartners ohne Versöhnungsversuch (OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2015, 9 UF 260/14)

      ■ Unüberbrückbare Gegensätze und Auseinandersetzungen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.09.2006, 15 WF 32/06)

      ■ Kein Geschlechtsverkehr mehr zwischen den Ehegatten (BGH, Beschluss vom 31.01.1979, IV ZR 72/78)

      ■ Unüberwindbare Abneigung des Ehegatten gegen den anderen (BGH, Urteil vom 14.06.1978, IV ZR 164/77)

      ■ Trunksucht und grobe Beleidigungen/Beschimpfungen (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1978, 590)

      ■ Fehlende Kommunikation zwischen den Ehegatten (KG, FamRZ 1978, 594)

      Vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 28.05.2014, 11 U 105/13: Zu den Voraussetzungen der §§ 1565, 1566 BGB.

      Dreijährige Trennung

      Bei einer dreijährigen Trennungszeit wird das Scheitern unwiderleglich vermutet. Eine Einigung der Eheleute über die Scheidung ist nicht erforderlich (Wellenhofer 2017).

      Entscheidung „Entbehrliche Anhörung“ (OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2014, 6 UF 30/14).

      Leitsatz: „Liegen die Voraussetzungen für das Scheitern der Ehe unzweifelhaft vor, weil die Ehegatten bereits seit mehr als 3 Jahren getrennt leben, bedarf es keiner Anhörung der Ehegatten mehr.“

      Unzumutbare Härte

      Auch bei der Härtefallscheidung gemäß § 1565 Abs. 2 BGB muss die Ehe gescheitert sein, § 1565 Abs. 1 BGB. Während die drei oben genannten Fälle der Scheidung (einvernehmliche bzw. streitige Scheidung nach einem Jahr Trennungszeit sowie streitige Scheidung nach dreijähriger Trennungszeit) jeweils eine Trennungsphase voraussetzen, kann die Zerrüttung der Ehe aufgrund eines Härtefalls ohne Trennungsphase geschieden werden. Nach ständiger Rechtsprechung reicht es aber nicht aus, wenn die Fortsetzung des realen ehelichen Zusammenlebens unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit muss sich vielmehr auf das Eheband als solches beziehen, das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“. Auf das subjektive Empfinden des scheidungswilligen Ehegatten kommt es nicht an. Maßstab ist hier, ob eine objektive dritte Person bei einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Verhalten des anderen Ehegatten ebenfalls als eine unzumutbare Härte empfinden würde (Wellenhofer 2017).

      Die Gründe für die Härtefallscheidung können dabei auch erst nach dem Scheitern der Ehe eingetreten sein, also während die Ehegatten bereits getrennt leben.

      Voraussetzungen für eine sog. Härtefallscheidung nach §§ 1565 Abs. 1 S. 2, 1565 Abs. 2 BGB sind:

      ■ Die Ehegatten leben noch nicht ein Jahr getrennt

      ■ unzumutbare Härte

      ■ begründet in der Person des anderen Ehegatten

      ■ die Fortsetzung der Ehe als solche muss unzumutbar sein („das Festhalten am Eheband“)

      Rechtsprechung zu Härtegründen

      Ob in der konkreten Scheidungssituation ausreichende Härtegründe vorliegen, ist von den Gerichten zu prüfen. In der Rechtsprechung gibt es eine Vielzahl von Urteilen, die eine Orientierung bieten. Die nachfolgenden Beispiele nennen Fälle, in denen die Gerichte das Vorliegen von Härtegründen bejaht („ehefeindliche Willensrichtung“) bzw. verneint haben. Es zeigt sich dabei, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt. So wird das Vorliegen eines Härtefalls bei einem Ehebruch einmal angenommen und im anderen Fall abgelehnt. Die unterschiedliche Bewertung ergibt sich hier aus den jeweiligen weiteren tatsächlichen Umständen.

      Härtegründe bejaht

      In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung Härtegründe bejaht:

      ■ Alkoholmissbrauch/Alkoholismus verbunden mit wiederholten Gewalttätigkeiten, Bedrohungen und Beleidigungen

      Entscheidung „Alkoholkranker gewalttätiger Ehepartner“ (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2007, 15 WF 22/07):

      Aus den Gründen: „Gemäß § 1565 Abs. 2 BGB kann die Ehe, wenn die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben, nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzung liegt nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragstellerin vor. Danach ist die Ehe auf Grund der erheblichen alkoholbedingten Ausfälle des Antragsgegners gescheitert. Die unzumutbare Härte muss sich auf das Eheband, d. h., das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens beziehen. Der Antragstellerin darf insoweit nicht zuzumuten sein, mit der Scheidung bis zum Ablauf des Trennungsjahres zu warten. Deshalb ist es unerheblich, dass die Antragstellerin nicht nur von ihrem alkoholkranken Ehemann getrennt lebt, sondern diesem durch die einstweilige Anordnung sogar verboten ist, die Wohnung der Parteien zu betreten, sich in einem Umkreis von 100 m der Wohnung aufzuhalten und Verbindungen zur Antragstellerin aufzunehmen. Diese Maßnahmen vermögen die Antragstellerin zwar grundsätzlich davor zu schützen, dass sie sich erneut Bedrohungen oder gar körperlichen Übergriffen des Antragsgegners in der und um die Wohnung herum ausgesetzt sehen könnte. Sie besagen aber nichts darüber, ob der Antragstellerin zuzumuten ist, das eheliche Band und die damit verbundenen rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen aufrechtzuerhalten.

      Das ist ihr nicht zuzumuten.

      Die Antragstellerin hat den Antragsgegner seit Jahren immer wieder volltrunken, aggressiv und gewalttätig erlebt. Die gravierenden Vorfälle am 03.01.06 und im August 2006 über mehrere Tage mit Drohungen des Antragsgegners gegen das Leben der Antragstellerin zeigen, dass die in der Person des Antragsgegners liegende Unzumutbarkeit ein Ausmaß erreicht hat, das eine Scheidung vor Ablauf