verfolgte Sandra. Ihr Vorsprung schrumpfte.
Die Gruppe folgte den beiden in gemächlichem Trab. „Karsten reitet wie der Teufel“, sagte Julian Krautmann mit unverhohlener Bewunderung. „Er hätte Sandra selbst bei einem Dreihundert-Meter-Vorsprung noch geschlagen.“
Soeben holte Karsten Sandra ein. Sie ritten wenige Augenblicke nebeneinander, dann zog Karsten vor und jagte seinem unangefochtenen Sieg entgegen. Sandra wollte, dass dieser Sieg so dünn wie möglich ausfiel, und hetzte keuchend hinter Karsten her. Wild trieb sie ihr Pferd an, obwohl sie sich kaum noch im Sattel halten konnte.
Sie verließ sich auf ihr Glück. Es wird schon nichts passieren, dachte sie, während sie das Allerletzte aus sich und dem Tier herausholte – und dann passierte doch etwas.
Ehe sie begriff, was mit ihr geschah, flog sie im hohen Bogen durch die Luft und landete mit ungeheurer Wucht im glücklicherweise weichen Gras.
Lisa Krautmann schrie erschrocken auf. Karsten Rüge wusste nichts von Sandra Falkenbergs spektakulärem Sturz. Er erreichte soeben den Baum, das angegebene Ziel, zügelte seinen Hengst und warf triumphierend die Arme hoch.
Zu siegen machte ihm immer wieder ungeheuren Spaß, egal gegen wen. Sandra Falkenberg hatte sich mehrmals überschlagen. Sie hatte den Kopf eingezogen, und nun trübten dunkelgraue Schleier ihren Blick.
Karsten drehte sich um und sah, was passiert war. Er ritt sofort zurück. Sandra war ziemlich benommen, aber sie zwang sich, aufzustehen.
Sie wollte nicht, dass irgendjemand ihr Vorwürfe machen oder sie gar auslachen konnte. Vielleicht hätte Oliver das getan. Wenn sie aufrecht stand und behauptete, es wäre alles in Ordnung, konnte er nichts sagen, und mit ihrer Zähigkeit würde sie Karsten Rüge bestimmt Bewunderung abringen. Hufgetrappel. Rufe. „Sandra! Bist du verletzt?“
Sandra streckte die Arme hoch. „Alles okay. Es ist alles okay.“
„Der Sturz hat böse ausgesehen!“, rief Julian Krautmann.
„Ich bin in Ordnung“, behauptete das Mädchen.
„Geht es dir wirklich gut, Sandra?“, fragte Karsten Rüge. Seine Besorgnis schmeichelte ihr.
„Klar. Und ich möchte vor Zeugen festhalten, dass ich nur ganz knapp gegen dich verlorenn habe.“
Da war ein bewundernder Ausdruck in seinen Augen. Ihre zur Schau gestellte Zähigkeit imponierte ihm offensichtlich wirklich. Mädchen, du bist auf dem richtigen Weg, sagte sich Sandra.
Karsten holte ihr Pferd. Sie hatte Schmerzen beim Aufsteigen, aber das ließ sie niemanden sehen.
Oliver tauchte neben ihr auf, sah sie besorgt an und sagte vorwurfsvoll: „Du bist nicht ganz bei Trost, so wild zu reiten. Du hättest dir den Hals brechen können.“
16. Kapitel
Als die Schmerzen nach drei Tagen noch immer nicht vergangen waren, suchte Sandra Falkenberg die Wiesenhain-Klinik auf, um sich von Dr. Krautmann untersuchen zu lassen.
Er wusste von ihrem Sturz, Lisa und Julian hatten davon berichtet, und die Untersuchung ergab nun, dass Sandra sich eine Beckenprellung zugezogen hatte.
Sie lächelte schief. „Wir Falkenbergs sorgen immer wieder dafür, dass Sie was zu tun haben.“
„Sie sind ziemlich über Ihre Verhältnisse geritten“, sagte der Chefarzt sachlich. „War das wirklich nötig?“
Sandra wiegte verlegen den Kopf. „Ich war wohl ein bisschen zu übermütig.“
„Übermut tut selten gut.“
Sandra atmete erleichtert auf. „Ich hab’ mir zum Glück nichts gebrochen.“
„Lassen Sie sich beim nächsten Ausritt ein weniger feuriges Pferd geben. Eines, wie Lisa und Julian es hatten. Und versuchen Sie bitte nicht mehr, besser zu sein als euer sportlicher Supermann Karsten Rüge.“
„Ich werde es mir hinter die Ohren schreiben“, versprach Sandra, und sie lächelte dabei so, dass niemand ihr böse sein konnte. Sie hatte nicht vor, in absehbarer Zeit wieder auf ein Pferd zu steigen.
Karsten Rüge hatte zum ersten Mal so Notiz von ihr genommen, wie sie es wollte, und das genügte ihr fürs Erste. Gestern Abend, im Café, hatte er vom Fallschirmspringen geschwärmt, und sie hatte sogleich gesagt: „Das würde ich auch gern mal probieren.“
Er hatte sie überrascht gemustert. „Hast du keine Angst, aus drei-, viertausend Metern Höhe aus dem Flugzeug zu springen?“
„Hast du denn Angst?“
„Willst du dich schon wieder mit mir vergleichen?“
„Es muss ein irres Gefühl sein, so zwischen Himmel und Erde zu schweben.“
„Es ist unbeschreiblich schön.“
„Nimmst du mich mal mit?“
Er hatte kurz überlegt und dann gemeint: „Wir könnten einen Tandem Sprung machen: ein Fallschirm, zwei Personen.“
„Hört sich gut an.“
„Du müsstest mir völlig vertrauen.“
„Du wirst schon gut auf mich auf passen und mich sicher runterbringen.“
„Ich gebe dir Bescheid, wann der nächste Sprungtermin ist.“
„Okay“, hatte sie gesagt, und nun hoffte sie, dass bis dahin ihre Beckenprellung ausgeheilt war.
17. Kapitel
Auch der Tandem-Sprung blieb für Sandra Falkenberg nicht ohne Folgen sie verstauchte sich den rechten Knöchel und landete wieder in der Wiesenhain-Klinik.
Dr. Jan Balzer verpasste ihr einen Zinkleimverband, und als sie das Behandlungszimmer verließ, humpelte sie geradewegs Dr. Krautmann in die Arme.
„Sie schon wieder?“, sagte der Chefarzt überrascht. „Was haben Sie denn diesmal angestellt?“
„Den Knöchel habe ich mir verstaucht.“
„Wobei?“
„Beim Fallschirmspringen.“
Florian Krautmann schüttelte den Kopf. „Mädchen, Mädchen.“
Sandra machte ein bedrücktes Gesicht. „Ich scheine zurzeit nicht besonders gut bestrahlt zu sein.“
„Warum treten Sie nicht etwas kürzer, wenn das so ist?“
„Ich wusste es bis heute ja nicht so genau“, erwiderte Sandra.
„Sind Sie schon öfter gesprungen?“
„Heute war’s das erste Mal.“
„Und das ging gleich schief.“
„Zuerst war’s wahnsinnig aufregend und wunderschön.“ Sandras Augen leuchteten. Sie war sehr stolz darauf, dass sie sich hatte überwinden können, mit Karsten aus dem Flugzeug zu springen. Mehrere hundert Meter freier Fall. Nervenkitzel. Und die bange Frage: Wird der Fallschirm sich öffnen?
„Die Landung war dann ein bisschen hart“, sagte sie. „Vielleicht waren Karsten und ich ein bisschen zu schwer.“
„Ach, Sie sind nicht allein gesprungen?“
„Nein, es war ein Tandem-Sprung.“
„Und Oliver Wiechert?“, fragte Florian Krautmann. „Sprang der auch?“
Sandra schlug die Augen nieder. „Nein, der war nicht dabei.“
Dr. Krautmann war froh, dass Julian und Lisa nicht mitgemacht hatten. Sie mussten ja nicht überall dabei sein. Es war ihm lieber, sie stürzten sich nicht allein oder mit irgendjemandem