verstauchst du dir eine Pfote“, sagte Lisa sarkastisch.
„Ich werde bald so fit sein, dass so etwas nicht mehr vorkommen kann“, behauptete Sandra, verließ humpelnd mit Lisa den kleinen Park – und die ersten Regentropfen fielen vom dunklen Himmel.
18. Kapitel
„Ich habe Sandra ins Gewissen geredet“, berichtete Lisa, als ihr Vater am Abend heimkam. Es regnete noch immer, und zwischendurch flammten grelle Blitze auf und ließen schmetternde Donner die Krautmannsche Villa erbeben.
„Und?“, fragte Florian Krautmann neugierig. „Hat es genützt?“
„Nicht sofort“, antwortete Lisa. „Das muss sich jetzt erst mal langsam setzen, muss in Ruhe durch ihren eingebauten Filter sickern. Wir werden sehen, wie viel sie von dem, was ich gesagt habe, durchlässt. Wenn es nicht genug ist, werde ich sie mir in ein paar Tagen noch mal vornehmen.“
Ein gleißender Blitz. Ein brüllender Donner. In der Küche gab es Scherben. Und nach dem Klirren machte sich Cäcilie wütend Luft: „Himmelsakraherrschaftszeitennochmal!“ Florian Krautmann schmunzelte. „Dicke Luft in der Küche. Da geht jetzt besser keiner von uns rein.“
„Verrecktes Gewitter, verrecktes!“, schimpfte Cäcilie, ohne wohl zu ahnen, dass sie im ganzen Haus zu hören war.
„Sie hat Angst vor Gewittern“, grinste Christoph.
„Aber das würde sie niemals zugeben“, bemerkte Julian.
„Ich hoffe, ihr seid alle so taktvoll und zieht sie nicht auf“, wandte sich Melanie Krautmann an ihre Kinder.
„Ich finde, es ist keine Schande, sich vor Gewittern zu fürchten“, sagte Kim bedrückt.
„Du würdest ja selbst am liebsten unter den Tisch kriechen“, stänkerte Christoph, doch sie machte ihm nicht die Freude, etwas zu erwidern.
„Im Haus fürchte ich mich nicht“, sagte Lisa. „Aber ganz allein auf einem Feld, in Gottes freier Natur, möchte ich jetzt nicht sein.“
„Pst, sie kommt“, zischte Kim, als die Wirtschafterin die Küche verließ.
„Hat es vorhin in der Küche geklirrt, Cäcilie?“, fragte der vierzehnjährige Christoph scheinheilig.
„Christoph!“ Melanie Krautmann sah ihn streng an und schüttelte den Kopf.
Die Haushälterin wandte sich an sie. „Diese alte Suppenterrine – die mit dem Sprung … Jetzt ist sie ganz hin.“
Melanie winkte ab. „Ist nicht so schlimm, Cäcilie. Wir wollten sie ohnedies bereits ausmustern.“
„Jetzt fiel sie der natürlichen Auslese zum Opfer“, bemerkte Julian, und seine Zwillingsschwester hatte Mühe, ernst zu bleiben.
19. Kapitel
„Ich liebe Gewitter“, sagte Dorothee Simonis zur selben Zeit am Fenster stehend zu Oliver Wiechert. Sie befanden sich bei ihm. Dotty hatte ohne Voranmeldung an seiner Tür geschellt und sicherheitshalber eine Flasche Wodka mitgebracht. Draußen konnte es ruhig nass sein, aber drinnen wollte Dotty nicht auf dem Trockenen sitzen. „Das Aufflammen der Blitze, das Krachen der Donner, das Rauschen des Regens“, schwärmte sie. „Da zeigt die Natur dem Menschen ihre gewaltige Kraft, lässt ihn erkennen, wie klein und schwach er, der glaubt sich die Erde nach dem Willen unseres Schöpfers untertan machen zu können, doch eigentlich ist. Diese ungeheure Energie beeindruckt mich immer wieder.“
Oliver trat hinter sie. Er war beschwipst. Sie waren beide beschwipst. „Hast du gewusst, dass die meisten Blitze nach oben gehen?“, sagte er und legte die Arme um sie.
Dotty schmiegte sich sofort an ihn. „Nach oben?“
„Vier von fünf“, sagte Oliver.
„Das wusste ich nicht.“
„Also hast du wieder was dazugelernt“, raunte er ihr ins Ohr.
„Ich lerne gern dazu“, gab sie sanft zurück. „Ich bin sehr wissbegierig.“
Er lachte leise. „Neugierig nennt man das bei euch Frauen.“
„Macho.“ Sie drehte sich in seiner lockeren Umarmung um, und plötzlich waren sich ihre Augen, ihre Nasen und ihre Lippen gefährlich nahe. Dotty seufzte sehnsüchtig. „Ich glaube, ich möchte jetzt von dir geküsst werden, Oliver.“
Sein Mund betupfte ihre warmen, sinnlichen Lippen, sein Herzschlag beschleunigte sich, und ein süßer, wilder Rausch bemächtigte sich seiner.
Manchmal entgleiten einem die Dinge, obwohl man es eigentlich nicht will. Oliver hatte nichts beabsichtigt und nichts geplant. Es passierte einfach. Fast ohne sein Zutun.
Seine Hände strichen über ihren schlanken Rücken, sein Atem klang tief und rasselnd. Blitz, Donner, Regen – er nahm nichts mehr davon wahr.
Ein zufriedenes triumphierendes Lächeln lag auf Dottys schönem Gesicht. Endlich hatte sie Oliver soweit! Die Bastion, die ihren raffinierten Verführungskünsten so lange standgehalten hatte, war gestürmt, überrannt, es gab sie nicht mehr. Kapitulation! Sieg! Dottys Herz jubelte. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass kein noch so starker Mann die Kraft hatte, ihr auf Dauer zu widerstehen.
Oliver war so stürmisch, dass sie ihr Kleid lieber selbst auszog, damit er es ihr nicht vom Leib riss. Sie landeten in seinem Bett.
Auf nichts anderes hatte Dorothee Simonis seit Wochen zielstrebig hingearbeitet. Einmal hätte sie beinahe aufgegeben, weil Oliver Wiechert nicht anbeißen wollte, doch nun war sie froh, dass sie nicht das Handtuch geworfen hatte. Das Ziel war erreicht!
Ein Blitz. Ein Donner. Das Haus dröhnte und bebte. Es schien so, als wollte der Himmel den jungen Mann wachrütteln, und er hatte Erfolg damit, denn plötzlich zerrissen die roten Schleier in Olivers Kopf, er konnte wieder vernünftig denken und klar sehen – und er sah Dorothee Simonis. Nackt! In seinem Bett! Und er dachte: Mein Gott, was tue ich?
Er sprang entsetzt auf und stürzte aus dem Schlafzimmer. So etwas war Dotty noch nie passiert. Sie starrte fassungslos auf die Tür, die hinter Oliver zugefallen war. Sie hörte ihn draußen schluchzen. Liebe Güte, was ist denn das für eine Memme?, dachte sie verächtlich. Ist die Möglichkeit, mit mir zu schlafen, wirklich so zum Heulen?
Beleidigt, gekränkt, gedemütigt, erbost und enttäuscht zog sie sich an. Was habe ich falsch gemacht?, fragte sie sich gereizt. Bin ich über Nacht so abstoßend hässlich geworden, dass alle Männer die Flucht ergreifen, wenn sie mich sehen?
Als sie aus dem Schlafzimmer trat, zuckte Oliver wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Rasch wischte er sich die Tränen ab, dann drehte er sich um.
„Angst vor der eigenen Courage gekriegt, wie?“, fragte Dorothee Simonis spöttisch.
„Entschuldige, Dotty.“
„Du bist ein Waschlappen, Oliver Wiechert“, sagte sie verächtlich.
„Es tut mir leid.“
„Ja, mir auch. Dass ich meine Zeit mit dir vertrödelt habe. Ich hätte wissen müssen, dass du’s nicht wert bist.“
„Dotty, ich wollte dich nicht beleidigen.“
„Ach, vergiss es. Noch mal passiert mir eine solche Pleite nicht, das weiß ich. Du wirst demnächst ziemlich in der Luft hängen und alt aussehen, mein Lieber. Sandra wird mit Karsten ins Bett hüpfen – und du?“ Dorothee Simonis zuckte die Schultern. „Dein Problem, nicht wahr? Mich geht das nichts mehr an. Ich habe dich bereits mit einem ganz dicken Stift von meiner Wunschliste gestrichen. Ciao.“
Sie verließ die Wohnung, und am lauten Knall der zuschlagenden Tür war zu erkennen, wie wütend sie noch immer war.