A. F. Morland

Für das Herz und die große Liebe: Arztroman Sammelband 5 Romane


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im Rucksack nach seinem Handy. „Wir müssen Hilfe holen!“ Ein Blick auf das Display zeigte ihm eine weitere Katastrophe: „Kein Empfang, so ein Mist!“ Wütend steckte er das Handy zurück in seine Tasche und sah die beiden anderen erwartungsvoll an. Auch bei ihnen sah es nicht besser aus: Ihre Handys hatten an dieser Stelle keinen Empfang und somit war es ihnen unmöglich, schnell die nötige Hilfe zu holen.

      „Der Wirt der Bärenlochhütte hat ein Funkgerät“, sagte Karsten Rüge. „Ihr bleibt bei Sandra. Ich sorge dafür, dass sie sofort Hilfe bekommt.“ Karsten kletterte die Felswand wieder hoch. Er war bald nicht mehr zu sehen. Oliver sah Julian verzweifelt an. „Ich hätte nicht zulassen sollen, dass sie sich für diese gefährliche Route entscheidet.“

      „Denkst du, du hättest sie daran hindern können, mit Karsten zu gehen?“

      Oliver schwieg. Er wusste, dass er das nicht geschafft hätte. Sandras Finger schlossen sich um Olivers Hand. „Es tut mir leid, so leid“, flüsterte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe es übertrieben.“

      Er drückte ihre kraftlosen Finger. „Mach dir keine Vorwürfe, Liebling. Wir haben beide Fehler gemacht. Ich zuerst.“

      „Ich habe mich so schrecklich dumm benommen.“

      „Du warst enttäuscht und gekränkt.“

      Julian kam sich überflüssig vor. Er hätte sich gern zurückgezogen und die beiden allein gelassen, aber er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Wie wird man Sandra von hier fortbringen?, fragte er sich. Mit einem Hubschrauber?

      „Ich liebe dich, Oliver“, hauchte Sandra.

      „Es wird alles gut, Sandra“, sagte Oliver bewegt. „Ich liebe dich auch.“

      „Kannst du mir meine Dummheit verzeihen?“

      „Aber ja.“ Er strich ihr übers schweißfeuchte Haar. „Aber ja.“

      Julian überlegte, wie weit Karsten inzwischen gekommen war. Schneller als er kann keiner die Schutzhütte erreichen, dachte er, und im nächsten Augenblick rann ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken, denn ihm war ein schrecklicher Gedanke gekommen: Was, wenn Karsten vor lauter Hast auch etwas zustößt? Dann dauert es viele Stunden länger, bis uns jemand hier findet.

      „Mein Rücken“, sagte Sandra leise.

      „Tut er dir weh?“, fragte Oliver sofort.

      „Nein, ich spüre ihn überhaupt nicht, und ich habe kein Gefühl in den Beinen. Ich spüre gar nicht, dass ich Beine habe.“

      Oliver beugte sich über sie und gab ihr einen tröstenden Kuss auf die Stirn. „Es kommt alles wieder in Ordnung.“

      „Und wenn nicht?“

      „Du musst positiv denken, Liebes. Es gibt immer eine Hoffnung.“

      „Wenn ich meine Beine nie mehr bewegen kann … Nie mehr.“

      „Rede doch nicht solchen Unsinn.“

      „Ich hab’ so eine schreckliche Ahnung, Oliver.“ Ihre Stimme klang rau.

      „Sie trügt dich. Sie trügt dich ganz bestimmt.“ Oliver sah Julian an, und in seinem Blick flackerte die bange Frage: Wann kommt endlich Hilfe?

      Doch Julian wusste es nicht. Er fragte sich das ja selbst ununterbrochen.

      26. Kapitel

      Die Bergung der Verunglückten gestaltete sich überaus schwierig. Der Rettungshubschrauber hatte wegen des stärker gewordenen Windes Schwierigkeiten, die Position zu halten, und die Trage, auf die man Sandra gelegt hatte, drohte beim Hochziehen zweimal gegen die steile Felswand zu schlagen.

      Eine Stunde später lag Sandra Falkenberg im OP der Wiesenhain-Klinik. Dr. Peter Dansberg hatte Dr. Daniel Frank, den Chefarzt der Chirurgie, zu Hause erreicht – nachdem Sandras Ankunft über Funk avisiert worden war – und ihn gebeten, unverzüglich in die Klinik zu kommen.

      Sandra hatte sich zwei Rückenwirbel gebrochen, ihr drohte eine irreparable Querschnittslähmung, wenn es Dr. Frank nicht gelang, das gequetschte Rückenmark und die eingeklemmten Nerven zu entlasten.

      Der Assistenzarzt Dr. Dansberg hatte auch Dr. Krautmann telefonisch zu erreichen versucht, aber er hatte nur die Haushälterin an den Apparat bekommen, und die hatte nicht gewusst, wo der Chef der Wiesenhain-Klinik sich zurzeit befand. Eine halbe Stunde später hatte Florian Krautmann sich gemeldet, und nun stand auch er im OP und versuchte der Patientin gemeinsam mit Dr. Frank zu helfen. „Trümmerbruch“, stellte Daniel Frank mit dumpfer Stimme fest. „Sieht nicht gut aus.“

      „In letzter Zeit hat sie das Unglück gepachtet“, sagte Florian Krautmann voll Mitleid.

      „Ihr Kreislauf wackelt“, meldete Dr. Andrea Ehrlich, die Anästhesistin.

      „Halte durch, Mädchen“, sagte Dr. Frank eindringlich. „Mach uns jetzt um Himmels willen nicht schlapp.“

      Dr. Ehrlich spritzte ein kreislaufstärkendes Medikament in den Infusionsschlauch.

      Wenig später konnte sie melden, dass sich der Kreislauf der Patientin wieder normalisiert hatte. Sandras Atmung war okay. Dr. Frank hatte gleich nach ihrer Einlieferung diverse Röntgenaufnahmen sowie ein MRT veranlasst, um sich ein präzises Bild ihrer Rückenverletzung machen zu können.

      Wichtig bei solchen Verformungen ist, dass man den Verformungsgrad ausrechnet. Dazu misst man die Wirbelhöhle vorn und hinten im Vergleich zu den Nachbarwirbeln und außerdem den Winkel des Achsenknicks infolge des Wirbelbruchs. Das hatte Daniel Frank getan, und er war dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Abknickung der Wirbelsäulenachse nach vorn oberhalb des sechsten Brustwirbels betrug fast dreißig Grad. Rückenmark und Nervenstrang waren gequetscht. Dr. Frank tat alles, um sie zu entlasten, doch er erzielte nur einen schwachen Teilerfolg.

      Nach vier Stunden intensivster Chirurgenarbeit unter höchster nervlicher Anspannung und geistiger Konzentration sagte Daniel Frank: „Mehr dürfen wir der Patientin im Moment nicht zumuten, sonst kehrt sich das, was wir erreicht haben, ins Gegenteil um.“

      Während sie sich wenig später die Hände wuschen, sah der Chefchirurg Florian Krautmann mit sorgenvoller Miene an.

      „Du hast wenig Hoffnung, nicht wahr?“, sagte der Klinikchef dumpf.

      „Wir sind Ärzte“, erwiderte Dr. Frank. „Es hat keinen Zweck, die Dinge schönzufärben.“

      „Befürchtest du, dass sie querschnittgelähmt bleibt?“

      „Zurzeit sieht es danach aus. Der Trümmerbruch macht mir große Sorgen.“

      „Wird sie nie wieder gehen können?“

      „Sie ist eine Freundin von Lisa und Julian, habe ich gehört.“

      Florian Krautmann nickte. „Ja.“

      „Wie alt?“

      „Vierundzwanzig“, antwortete der Klinikchef. „Sie hat noch so viele Jahre vor sich, Daniel.“ Er drehte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch.

      „Du möchtest nicht, dass sie diese im Rollstuhl verbringt“, sagte Daniel Frank gepresst. „Ich auch nicht, aber ich weiß nicht, ob ich es ihr ersparen kann. Wir müssen die heutige Operation als Beginn einer Reihe von Eingriffen sehen. Vielleicht können wir ihr helfen, wenn wir sie drei-, vier- oder fünfmal operieren, aber wird sie dazu bereit sein? Ich kann ihr nicht versprechen, dass sie nach der fünften Operation wieder gehen kann.“ Er seufzte. „Ihre Chancen sind denkbar schlecht. Vielleicht quälen wir sie mit weiteren Eingriffen nur unnötig. Auch das wäre möglich.“

      Die Ärzte setzten das Gespräch in Dr. Krautmanns Büro fort. „Du hast den Trümmerbruch eingerichtet“, sagte der Leiter der Wiesenhain-Klinik.

      „So