Harald Jacobsen

Tatort Ostsee


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Fehmarn gebracht«, erklärte Sophie vorsichtig.

      Ben sah sie fragend an. »Was willst du damit sagen? Du meinst doch nicht, dass sie Olli verdächtigen? Das ist total lächerlich! Er hat sie geliebt! Und außerdem sind doch zwei Mädchen tot. Diese Sandra machte einfach einen Kurs bei ihm. Sie war ziemlich langweilig, aber …«

      Die Platten wurden auf den Tisch gestellt. Pelle setzte sich sabbernd vor den Tisch.

      »Ben! Wenn du eine Ahnung hast, wo Olli steckt, dann solltest du ihm dringend empfehlen, mit der Polizei zu sprechen.«

      »Das hatte ich eigentlich bereits getan. Aber mal im Ernst. Da gibt es doch gar keinen Zusammenhang. Sandra und Sarah kommen… kamen aus verschiedenen Welten. Sandra war aus Düsseldorf. Sie machte hier Ferien. Sie war allein angereist und hatte ein Zimmer in einer kleinen Pension im Nachbarort gemietet. Und Sarah lebte seit ein paar Monaten auf der Insel. Sie hatte ein schickes Appartement in Orth. Sie war kurz davor, die Deutschen Meisterschaften zu gewinnen.«

      Sophie konzentrierte sich. Es musste einen Zusammenhang geben. »Wie sahen die beiden denn aus? Ich meine, wie würdest du sie beschreiben?«

      Ben sah sie verwirrt an. »Wie sie aussahen? Puh! Sarah war ziemlich groß. Blonde Haare, schlank … Sie war hübsch. Und Sandra, ich habe sie ja nur ein paarmal gesehen. Sie war in Ollis Anfängerkurs, aber …« Er pfiff durch die Zähne. »Sie war zwar ganz anders, aber reduziert aufs Körperliche, Bingo! Groß, blond, schlank!«

      Sophie schnalzte mit der Zunge. War das der Schlüssel? Konnte es tatsächlich so simpel sein? Wählte der Mörder seine Opfer zufällig, wenn sie in sein Beuteschema passten?

      Olli saß bei seinem Kumpel Tobias auf dem Sofa und trank das dritte Bier.

      »Essen ist gleich fertig!«, erklärte Tobias und balancierte ein Tablett mit Geschirr und zwei Martini auf seinem Schoß. »Und komm mir nicht damit, dass du keinen Hunger hast! Es gibt wunderbare Steaks, gebackene Kartoffeln und einen tollen Salat. Hier, ein kleiner Aperitif zur Einstimmung auf das Festmahl. Gerührt und nicht geschüttelt, oder wie war das noch?«

      Olli hatte tatsächlich Hunger. Aus der Küche kam ein wunderbarer Duft. »Was würde ich nur ohne dich machen!«

      »Wahrscheinlich verhungern! Prost!« Tobias trank einen Schluck und stellte das Glas auf den Tisch. »Sorry, aber ich muss wieder an den Herd. Das perfekte Steak ist eine Frage des Timings.«

      Er wendete und fuhr in die Küche. Olli schluckte. Er würde sich nie daran gewöhnen, Tobias im Rollstuhl zu sehen. Er war mal einer der besten Surfer gewesen, bis er vor drei Jahren diesen grauenhaften Unfall hatte. Vor Sylt war er bei einem Rennen gestürzt und das Brett hatte mit voller Wucht seinen Rücken erwischt. Er würde seine Beine nie wieder bewegen können. Doch statt an der Situation zu zerbrechen, machte Tobias das Beste daraus. Wie früher auf dem Wasser hatte er monatelang in der Rehaklinik gekämpft. Schneller, als die Ärzte es für möglich gehalten hatten, war er so fit, dass er ohne Hilfe klarkam. Er hatte sich in Hamburg eine Wohnung im Erdgeschoss gemietet und sie behindertengerecht umbauen lassen. Als eine Straßenecke weiter ein Ladenlokal frei wurde, hatte er beschlossen, einen Surfladen zu eröffnen. Das Geschäft wurde zu einer echten Goldgrube. Auch wenn er nun im Rollstuhl saß, drehte sich sein Leben weiter um seine große Leidenschaft. Es gab keine Anzeichen von Neid oder Verbitterung. Wenn er doch ein bisschen was von Tobias hätte. Dann würde er jetzt wissen, was er als Nächstes zu tun hätte.

      Kurze Zeit später saßen sie am Esstisch und genossen die butterzarten Steaks. »Der Hammer!«, schwärmte Olli. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals so gut gegessen zu haben!«

      »Nicht übertreiben. Aber danke!«, erwiderte Tobias trocken und schenkte Rotwein nach.

      Olli tunkte den Rest der Soße mit seinem Brot auf. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Tobias kam ihm zuvor. »So, und vor dem Espresso würde ich doch gern noch den Grund deines spontanen Besuchs erfahren. Du siehst scheiße aus! Was hat dir die Petersilie verhagelt?«

      Olli schluckte.

      »Hey! Raus damit! Los, langweile mich mit deiner Story. Ich lauf bestimmt nicht weg!«

      »Ich hatte eine Romanze, Affäre, ein Verhältnis, was weiß ich.«

      »Klingt ja wirklich schlimm! Da bin ich natürlich besser dran. Über so was muss ich mir nämlich keine Gedanken mehr machen.«

      Olli sah an ihm vorbei ins Leere.

      »Sorry«, entschuldigte sich Tobias. »Ich bin ein bisschen zynisch geworden. Was ist denn jetzt mit deiner Perle?«

      »Sie ist tot.«

      Tobias sah ihn erschrocken an. »Ach du Scheiße! Mann, Olli, das tut mir leid! Ich dachte, du hättest ein bisschen Liebeskummer. Irgendwas, das mit drei Flaschen Rotwein zu heilen ist.«

      Mit zitternder Hand griff Olli nach seinem Glas und trank einen Schluck, bevor er weitersprach. »Sie ist ertrunken!« Er atmete tief durch und flüsterte: »Wie Fenja.«

      »Fenja? Das ist doch eine Ewigkeit her. Da musst du doch langsam mal drüber weg sein.«

      Olli sah ihm in die Augen. »Nein! Ich werde nie darüber hinwegkommen. Nie!«

      Stefan saß in seinem Büro und starrte die Wand an. Wie sollte er jetzt weiter vorgehen? Sollte er nach Olli fahnden lassen? Die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen? Warum war ihnen diese Geschichte mit Oliver Konrad erst so spät aufgefallen? Durch diesen Fehler hatten sie ihm genug Zeit gelassen zu verschwinden. Ingmar würde ausflippen. Das Telefon klingelte. Stefan schnauzte seinen Namen in den Hörer.

      »Wie ich deiner Laune entnehme, weißt du bereits, welche Schlagzeile uns morgen erwartet.«

      Was kam denn jetzt noch? »Nein, Herr Staatsanwalt.«

      »Nein? Dann hör mal gut zu. ›Serienkiller auf Fehmarn‹.

      Finde den verdammten Mörder! Von mir aus kannst du auch diesen Schreiberling verhaften. Der hat einen Haufen Ärger angerichtet. Wegen nichts!« Ingmar Harder korrigierte sich schnell. »Wegen zwei toten Frauen auf Fehmarn. Die Medien machen einen Serienmörder aus unserem Mann! Die suchen einen zweiten Blaubart für ihre Verkaufszahlen.«

      Stefan zündete sich die nächste Zigarette an. Der Blaubart von Fehmarn hatte in den 70er-Jahren vier Frauen ermordet und zersägt. Stefan hoffte wirklich, dass er es nicht mit so einem Irren zu tun hatte. »Ingmar, was soll ich denn machen? Wir arbeiten wie die Tiere und vielleicht haben wir auch eine heiße Spur. Dieser Typ, Oliver Konrad, der hat sich in Widersprüche verstrickt.«

      »Dann nehmt ihn in die Mangel!«

      Stefan zog noch einmal tief an seiner Zigarette, bevor er die Bombe platzen ließ. »Er ist weg.«

      Am anderen Ende der Leitung wurde es für eine Sekunde still. Stefan hielt den Hörer etwas von seinem Ohr entfernt. Er wusste, dass der Staatsanwalt gleich toben würde.

      »Er ist was?«

      »Keine Sorge! Wir kriegen ihn!« Stefan fragte sich, woher er seine Zuversicht nahm.

      »Das will ich schwer hoffen! Gib eine Fahndung raus! Verdammt! Was wollen wir denn der Presse sagen? Wir müssen uns jetzt mal äußern, sonst schreiben die weiter diese Horrormeldungen. Verdammte Scheiße! Ruf mich an, wenn ihr irgendwas in der Hand habt oder diesen Surflehrer findet.«

      Ingmar hatte aufgelegt. Stefan atmete tief durch. Er öffnete den Ordner und sah sich die Autopsieberichte noch einmal genauer an. Die Bilder der jungen Frauen auf dem Sektionstisch ließen ihn frösteln. Er zog seine Schreibtischschublade auf und kramte die unscheinbare Flasche Apfelsaft hervor. Chivas Regal. Zwölf Jahre alt. Er kippte den kalten Rest Kaffee in den Topf des längst eingegangenen Gummibaums und schenkte die Tasse halb voll. Nach einem kräftigen Schluck ging es ihm besser. Er konnte wieder denken. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, Oliver Konrad hatte seine Freundin umgebracht und vorher schon mal geübt, oder ein Irrer hatte die beiden Frauen zufällig ausgewählt, weil sie sich