Leonardo Sciascia

Ein Sizilianer von festen Prinzipien


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eine List, eine Irreführung: um nicht mit gleichen Waffen auf dem tückischen Terrain kämpfen zu müssen, auf dem die Frauen sich der Ehrhaftigkeit der Männer bedienen, um selbst unangreifbar zu sein. Und von dieser Überzeugung rührt das Verbot, das die Ehemänner, Väter, Brüder ihren Frauen hinsichtlich der Beichte erteilten. Was ihr eigenes Beichten anging, waren sie der Ansicht, das sei nichts für Männer, einem anderen Mann gegenüber die eigenen Empfindungen, Schwächen, geheimen Taten und Absichten zu bekennen; noch glaubten sie, dass ein Mann, einer ihresgleichen, von Gott mit der Macht ausgestattet worden war, ihnen ihre Sünden zu vergeben; und auch nicht, dass es tatsächlich Sünden gibt. Die einzige Vorstellung, die der Sizilianer von der Sünde hat, ist sehr prägnant in folgendes Sprichwort eingegangen: Cu havi la cummindità e nun si nni servi, mancu lu confissuri cci l’assorvi; was tatsächlich die ironische Umkehrung nicht nur der Beichte darstellt, sondern die des Grundprinzips des Christentums: Der Beichtvater wird dem die Absolution nicht erteilen, der nicht jede Gunst und Gelegenheit hinsichtlich fremden Besitzes und vor allem anderer Leute Frauen zu nutzen weiß. Und aus ebendieser Haltung gegenüber dem Anderen entspringt ja das Gefühl von Gefährdung und Unsicherheit in Bezug auf das Eigene; diese geschärfte und misstrauische Wachsamkeit, diese schmerzliche Bangigkeit, diese übersteigerte Besorgnis, die Frauen und Besitz umgeben und die wiederum eine Art von Religiosität, wenn nicht gar von Religion darstellen.

      Und dass die Beichte die Schwachstelle der Sizilianer war, das hatte der zuvor so rühmlich erwähnte Inquisitor Juan Bezerra de La Quadra wohl verstanden (man hatte es ihm zu verstehen gegeben, um genauer zu sein):

       Einige Personen aus der Diözese, die unserem Herrgott dienen möchten, haben uns dringend gebeten, die Pfarrer der einzelnen Pfarreien anzuweisen, eine Liste all jener zu führen, die zur Beichte und zur Kommunion gehen, damit wir wissen, wer eine solche Pflicht vernachlässigt, denn derer sind es viele … 16

      Aber sicherlich wurde diese Anordnung nicht gestreng umgesetzt: Wie wir Grund haben anzunehmen, entzogen sich tatsächlich viele einer so wesentlichen Pflicht.

      Es war also ein Leichtes, Anklagen wegen Luthertums zu erheben, und zwar zu Lasten von jedermann, wenn man dabei die grundsätzliche Gleichgültigkeit der Sizilianer gegenüber der Religion außer Acht ließ; und auch ein Element, das für die Ablehnung des echten Luthertums ausschlaggebend war: Und das ist, um es mit Verga zu sagen, der Krieg der Heiligen; was das einzige Element im katholischen Glauben war, das das sizilianischen Volk in seinem ureigenen Wesen berührte. Und das aus absolut unchristlichen Motiven.

      Selbstverständlich wollen wir nicht ausschließen, dass es in Sizilien, besonders im Osten der Insel, einzelne Personen oder kleine Gruppen gegeben hat, die tatsächlich lutherische oder calvinistische Auffassungen teilten; aber es scheint nicht, als könnte man ausgehend von den Fällen in Messina, in Mandanici, in Noto mit Fug und Recht von einer Verbreitung reformatorischer Fermente sprechen17. Mit umso mehr Recht glauben wir, auf Sizilien das übertragen zu können, was Américo Castro in Bezug auf die Inquisition über Spanien sagt:

       Selbst die Existenz eines so törichten, alles andere als heiligen Tribunals war nur möglich, weil es in seiner Umgebung an jedweder intellektuellen Kraft fehlte. In Wirklichkeit gab es keinerlei Häresie, die zu bekämpfen gewesen wäre … 18

      Sonst wäre in Sizilien die Irreligiosität eines ganzen Volks zu bekämpfen gewesen. Aber für diese Aufgabe fehlte es dem Heiligen Offizium wahrhaftig nicht nur an Heiligkeit, sondern auch an Intelligenz.

      In Racalmuto wurde bis vor wenigen Jahren eine Stelle auf der Piazza Francesco Crispi lu cuddaru, das Halsband, genannt: Erinnerung an ein Instrument, das vom Heiligen Offizium reichlich eingesetzt wurde, um gewöhnliche Gotteslästerer zu bestrafen, Gotteslästerer, die keine Ketzer waren. Am selben Platz hatte wahrscheinlich das Kommissariat der Inquisition seinen Sitz.

      Das Halsband war, so erklärt es Pitré, ein Werkzeug aus Eisen, das sich mit einer speziellen Vorrichtung öffnen und schließen ließ und ganz und gar dem für Hunde glich, befestigt an einer Mauer oder einem Pfahl. Nackt vom Gürtel aufwärts und reichlich mit Honig beschmiert, blieb der lässlicher Sünden Beschuldigte hier ausgestellt – für nicht mehr als drei Stunden, wenn man sich an die Verse hält, die Guastella in der Umgebung von Modica gesammelt hat:

       Infamer, du! Das Halsband haben sie dir angelegt, und aufgefressen wirst du von den Fliegen, drei Stunden lang! 19

      Da diese Worte zur Beschimpfung ausgestoßen wurden, ist logischerweise anzunehmen, dass sie dem Infamen (was in diesem Fall, in einer seltenen Bedeutung, für schamloser Mensch, nicht für Spitzel steht), das Höchstmaß der Strafe vorhielten. Man beachte also, wie eine Strafe, die jeden treffen kann, Schmach über denjenigen bringt, der sie erduldet hat – so wie der Sanbenito, den zu tragen tatsächlich das ganze sizilianische Volk hätte verurteilt werden können.

      Das Monopol für das Halsband lag eigentlich beim Heiligen Offizium, wahrscheinlich wurde es aber auch vom Vikariatsgericht eingesetzt, einer Art Sittenpolizei, die in den Ortschaften äußerst umtriebig war. Es beschäftigte sich mit der Prostitution, Ehebruch, Konkubinat, dem Nichteinhalten der Fastenzeiten und der Abstinenz, mit dem Glücksspiel, den Liebschaften unter jungen Leuten und der Gotteslästerung. Vorsitzender dieses Gerichts war der Vikariatspater, und zusammengesetzt war es aus einem kirchlichen Richter, einem Notar, einem Steuerbevollmächtigten; ebenso aus Amtsdienern, deren Funktion zwischen der von Schutzleuten und Gerichtsbeamten lag, sowie aus Bediensteten, welche die vom Gerichtshof verhängten Körperstrafen auszuführen hatten. Nachts ging ein Vikariatstrupp aus zahlreichen Männern auf Streife (nicht selten kam es nämlich zu Hinterhalten seitens erboster Sünder, samt dazugehöriger Prügel, manchmal gab es sogar Tote), um die Sünder in den Tavernen, in den Funduks, in den Privathäusern zu überraschen: Und häufig befehligte der Vikariatspater höchstpersönlich die Schar.

      Einige kuriose Beispiele für die Unternehmungen des Vikariats finden sich in dem Buch La Sicilia feudale von Alessandro Italia20, wie das eines unverheirateten Paars, das obendrein bei der Nichtbeachtung einer Vigil überrascht wurde:

      Meister Paulo, mein Sohn, statt zu beichten und morgen zur Kommunion zu gehen, wo es doch der Tag und das so feierliche Fest des allerheiligsten Sakraments ist, bleibst du ganz schamlos mit der Buhlin im Haus, siehst du denn nicht, dass unser Herr die Weinberge unserer Sünden wegen durch Hagel zerstört hat; und Meister Paulo entgegnete: Pater Vikar, es ist nichts Besonderes, mich in Gesellschaft einer Frau anzutreffen, das ist bei Männern eben Brauch.

      Die Folgen sind für Meister Paolo Vianisi aus der Gegend von Palazzolo etwas weniger heiter, das versteht sich: Aber der Schlagabtausch zwischen den beiden, den wir hier wiedergegeben haben, stellt eine höchst vergnügliche Posse dar.

      Vom gleichen Niveau ist, laut lokaler Überlieferung, das Leben des Malers Pietro d’Asaro, geboren in Racalmuto 1591, gestorben 1647. Ein Maler, der für das sizilianische 17. Jahrhundert unter keinen Umständen außer Acht gelassen werden darf: Große Altarbilder von ihm sind in Racalmuto und in vielen anderen sizilianischen Orten erhalten (das wohl am besten erhaltene befindet sich in der Nationalgalerie in Palermo: eine Geburt Christi, signiert mit Monocolus Racalmutensis, wie er es zuweilen tat, also mit der Einäugige aus Racalmuto, fehlte ihm doch ein Auge). Er war ein Mensch, der die Tavernen und die Frauen liebte, immer abgebrannt, immer auf der Flucht vor Gläubigern; wir haben allerdings aufgrund einiger im Staatsarchiv von Palermo flüchtig eingesehener Blätter den Verdacht, dass er familiare des Heiligen Offiziums gewesen ist: was seinerzeit der beste Weg war, um den Gläubigern die Stirn zu bieten und sie so weit zu bringen, dass sie am Ende ein Gericht anriefen, das die Privilegien schützte.

      Zeitgenosse von d’Asaro (geboren 1590 in Racalmuto, gestorben 1662 in Palermo) war der große Arzt Marco Antonio Alaimo, dem seine Zeitgenossen viel Lob zuteilwerden ließen, hatte er doch mit menschlichen Kräften und Mitteln zu dem göttlichen, von der heiligen Rosalia vollbrachten Werk beigetragen, nämlich die Stadt Palermo im Jahr 1624 von der Pest zu befreien. An dieser Seuche starben nach den Berechnungen von Maggiore-Perni21 9.811 Personen allein in Palermo; und aus dem Vergleich mit den Auswirkungen anderer