Kai Pannen

Die magische Schwelle


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weiß, wen du meinst. Möglicherweise hat er Halluzinationen. Er sieht oder hört Dinge, die ihm sein Gehirn vorgaukelt. Für ihn erscheint das wahrscheinlich ganz real.«

      »Wie kriegt man denn so etwas?«

      »Da gibt es viele Ursachen, jemand hat etwas Schlimmes erlebt oder ein Geschwür beeinträchtigt seine Gehirnfunktionen. Oft sind auch Drogen die Ursache für solche Psychosen.« Tanja hielt kurz inne. Dann fuhr sie fort: »Vor Robbi brauchst du aber keine Angst zu haben. Ich weiß zwar nicht, was heute genau mit ihm los ist, aber früher war der ganz normal.«

      »Du kennst ihn?«

      »Ja, klar. Ich kann mich sogar noch erinnern, wie Robbi plötzlich in der Stadt aufgetaucht ist. Damals war er ein echt cooler Typ, fanden wir. Auch weil er immer mit einer dicken amerikanischen Limousine herumfuhr. Ein bisschen angeberisch war das natürlich schon. Mit der Zeit wurde sein Verhalten jedenfalls immer sonderbarer, er begann über Sachen zu reden, die keiner verstand. Schließlich bot er seinen Chevrolet zum Verkauf an – und rate mal, wo der jetzt steht …«

      »Unser Chevi hat mal Robbi gehört?«, brach es ungläubig aus Flo heraus.

      Tanja lachte und fuhr fort: »Du kennst ja deinen Vater, der konnte nicht widerstehen, Robbi wollte auch nicht viel Geld dafür. Und seitdem steht die Karre da unten und ist nie wieder gefahren … Wir haben damals gewitzelt, dass das Ding ohne Robbi einfach nicht mehr will. Den Carport hat dein Papa dann erst später gebaut, damit der Wagen nicht wegrostet. Mal sehen, ob er ihn irgendwann zum Laufen bringt. Jedenfalls rutschte Robbi danach immer mehr in seine eigenen Welten, die nur er sehen konnte.«

      Das erinnerte Flo wieder daran, was er eigentlich von seiner Mutter erfahren wollte. »Ich hab auch schon mal mit meinem Teddy geredet, als ich jünger war. Und der hat mir geantwortet, ehrlich. Ich hab das wirklich gehört. Bin ich jetzt auch …?«

      Tanja strich Flo sanft durch die Haare. »Kinder haben in einem gewissen Alter oft eine lebhafte Fantasie. Manchmal wird für sie ein Kuscheltier lebendig, so wie damals dein Hulziwuk für dich. Und manchmal ist es auch nur eine erdachte Figur, die zum unsichtbaren Freund wird. Aber deswegen ist man nicht gleich verrückt. Irgendwann verlässt einen dieser unsichtbare Freund wieder und das Leben geht ganz normal weiter.«

      Flo ging in sein Zimmer und kauerte sich auf sein Bett. Er war kein kleines Kind mehr. Und dass Hulziwuk lebendig sei, daran glaubte er schon ewig nicht mehr. Aber in einer Miniaturwelt herumzulaufen, konnte eigentlich nur bedeuten, dass er komplett plemplem war.

      Flo zog seinen alten Teddy unter der Bettdecke hervor und betrachtete ihn nachdenklich.

      »Vielleicht ist irgendein schädliches Gas im Kofferraum des Chevrolets, durch das man Halluzinationen bekommt«, überlegte Hulziwuk laut.

      »Nee, glaub ich nicht«, antwortete Flo. »Beim zweiten Mal ist alles ganz normal geblieben, als ich aus dem Kofferraum rausschaute. Und wenn man von außen hineinkrabbelt, passiert schließlich auch nichts.«

      »Sicher?«, fragte Hulziwuk.

      »Hab ich ausprobiert«, gestand Flo und schwieg einen Augenblick. »Mannomann, ich bin echt verrückt. Jetzt rede ich schon mit meinem Teddy.«

      Selbstgespräche gingen viel einfacher, wenn man sie mit einem Teddy führte, und als er seinen Kuschelbären so ansah, kam ihm eine Idee.

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       DER TEDDY – TEST

      Um sicher zu sein, dass er sich wirklich auf der Modellanlage befand, musste Flo einen Beweis haben. Einen unverwechselbaren Gegenstand vorfinden, den er selbst auf die Anlage gesetzt hatte und der vorher garantiert noch nicht da war. Wer würde sich dafür besser eignen als sein alter Kuschelteddy Hulziwuk?

      Flo machte eine Notfall-Durchsage. »Achtung, Achtung. In wenigen Sekunden landet ein Außerirdischer vor dem Bahnhof. Wir kennen seine Absichten nicht. Begeben Sie sich unverzüglich in Sicherheit! Und keine Sorge, das Militär ist auf dem Weg.«

      Flo konnte es nicht lassen, die Landung seines Teddys als kleines Abenteuer zu inszenieren. Er setzte die Plastikfiguren vom Bahnhofsvorplatz in alle möglichen Winkel und Verstecke und stellte sich vor, wie sie panisch schreiend davonrannten. Seinen Chevi brachte er ein paar Straßen weiter in Sicherheit und setzte dann sein Kuscheltier vorsichtig mitten auf den frei gewordenen Platz.

      »Rette sich, wer kann! Ein Riesenmonster, es wird uns alle vernichten!«, riefen die kleinen Plastikfiguren.

      Ein paar Polizeiautos und Polizisten gaben der Szene eine hübsche Dramatik. Sie errichteten eine Absperrung um Hulziwuk herum. Aber mit Polizisten alleine konnte man dieser intergalaktischen Teddy-Invasion nicht Herr werden. Also nahm Flo schnell eine Schachtel mit kleinen Soldatenfiguren aus dem Regal und stellte sie mit ihren schussbereiten Gewehren um das Monster auf. Rundherum beobachteten die Figuren aus ihren Verstecken heraus das Spektakel und lugten ängstlich bibbernd zum Monster-Teddy. Es störte Flo nicht weiter, dass sie nach wie vor in ihren Posen verharrten. Das verliebte Pärchen küsste sich, Herr Brettschneider war in seine Zeitung vertieft, andere schleckten genüsslich ein Eis.

      »Hulziwuk, du bleibst da sitzen. Und mach nichts kaputt, verstanden?« Natürlich hatte er nichts verstanden. Wie sollte er auch, er war ein Plüschtier. Und weggehen konnte er ohnehin nicht. Flo betrachtete zufrieden seine neue Szene und rannte dann hinunter zum Chevrolet.

      Ein paar Straßen abseits des Geschehens stieg Flo wieder aus dem Kofferraum. Es musste die Stelle sein, an der er den kleinen Chevi auf die Anlage gesetzt hatte.

      »Kakerlaken kriechen aus allen Ritzen. Die wahren Herren der Welt. Vergiften alles!«, rief Robbi. Flo hatte wohl dessen Figürchen direkt neben dem Chevi aufgestellt. Wie immer hatte der seinen Einkaufswagen dabei, in dem er sein gesamtes Hab und Gut aufbewahrte. »Du bist auch so ein außerirdischer Vogel. Bleib da. Überall sind sie, sie beobachten uns. Sie spielen mit uns.«

      ›Genau wie der echte Robbi‹, dachte Flo.

      »Außerirdische! Teddybären! Vor dem Bahnhof! Mein Platz ist futsch. Sie wollen mich holen!«

      »Ein Teddy, sagst du? Wie groß ist er denn? Größer als normal?«, unterbrach ihn Flo.

      »Wer weiß schon, wie groß Teddys normalerweise sind?« Anscheinend sprach Robbi doch nicht immer nur mit sich selbst.

      »Der ist wegen mir gekommen, um mich zu befreien«, brabbelte Robbi weiter. »Als ob. Zermalmen wird er dich wie ’ne Ameise«, ließ Robbi seinen unsichtbaren Begleiter entgegnen. »Aufsteigen mit ihm in andere Welten, er ruft mich, ich höre es!«

      Flo nutzte die Gelegenheit, dass Robbi wieder mit sich im Gespräch war und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Sich als kleiner Minimensch zurechtzufinden, war viel schwieriger, als wenn man von oben herab die gesamte Szenerie überblickte. Vorsichtig schlich er im Schatten der Häuserreihen durch ein paar Gärten und schaute dann um die Ecke eines Gebäudes, das ihm bisher den Blick versperrt hatte. Und dann sah er ihn.

      »Auweh, der ist ja riesig!«

      Hulziwuk, sein kleiner Teddy, überragte alles in der Umgebung. Er saß mitten auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Polizei hatte bereits eine provisorische Absperrung errichtet. Soldaten belagerten den Eindringling, Fotografen und Kamerateams wagten sich bis zur Absperrung, um sensationelle Aufnahmen zu machen. Ein paar Waghalsige waren aus ihren Verstecken gekommen und machten Selfies mit dem Monster im Hintergrund.

      Auch wenn er sie ursprünglich selbst dort hingesetzt hatte, schlotterten Flo beim Anblick der vielen Polizisten und Soldaten die Beine. Er hatte genug gesehen, nun war es bewiesen: Er befand sich wirklich in der Miniaturwelt und er war eindeutig verrückt! Nichts wie weg, er musste ganz schnell wieder da raus.

      Doch dann dröhnte das Kommando des Hauptmanns: »Hebt an das Gewehr! Auf mein Kommando! Fünf, vier, drei, zwei …«

      »Halt,