Versorgung der produzierenden Industrie und der Infrastruktur unserer Zivilisation mit Rohstoffen ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Rohstoffe, aus denen wir unsere Werkstoffe gewinnen, sind Bodenschätze. Sie sind die Schätze unserer Erde. Ihre Förderung stellt in der Regel einen tiefen Eingriff in ökologische und soziale Systeme dar. Riesige Investitionen sind für ihren Abbau und die Weiterverarbeitung nötig. Dafür winken der Rohstoffbranche und ihren Investoren am Ende aber auch große Gewinne.
Seit einigen Jahren rücken die gravierenden Probleme der Rohstoffbranche zunehmend stärker ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Wenn Rohstoffkonzerne, von denen viele ihren Steuersitz in der Schweiz haben, ihren Reichtum in Ländern der Dritten Welt erwirtschaften, tun sie dies leider nicht immer unter Einhaltung von eigentlich selbstverständlichen ökologischen und sozialen Standards [3-5]. Diese hinreichend dokumentierten Missstände öffentlich zu machen und dagegen anzukämpfen kann für die lokale Bevölkerung, Hilfsorganisationen und Journalisten jedoch sehr gefährlich sein. Die Konzerne agieren dabei überaus geschickt. Sie haben zwar ihren Steuersitz in der Schweiz, in anderen Ländern Europas oder in den USA. Sie gründen in Drittweltländern mit schwachen Justizsystemen (oder korrup-ten Behörden)aber Tochterfirmen und arbeiten über diese mit einem Netzwerk ab-hängiger lokaler Unterlieferanten zusammen. So können sie an ihrem Steuersitz für die Verletzung ökologischer und sozialer Standards nicht belangt werden.
Ein anderes Problem ist die gerechte Verteilung des erwirtschafteten Reichtums. In Ländern der Dritten Welt weisen Rohstoffkonzerne und deren Töchter oft fiktive Kosten oder gar Verluste aus und versteuern die Gewinne in Steuerparadiesen [6]. In den Ländern der Dritten Welt, wo der Rohstoff abgebaut und die Wertschöpfung erbracht wurde, fehlen diese Steuereinnahmen für Investitionen in Schulen, Verkehrswege, Sanitäranlagen, Abfallentsorgung, die soziale Absicherung und das Gesundheitssystem. Dort leben und arbeiten aber Menschen, die Tag für Tag ihren Beitrag zu einer funktionierenden Weltwirtschaft leisten. Die in Steuerparadiese transferierten Gelder wären nötig, um auch die Drittweltstaaten am Ort der eigentlichen Wertschöpfung zu befähigen, eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen und verbindliche soziale und ökologische Rahmenbedingungen durchzusetzen.
Doch diese zweifelhaften Geschäftspraktiken einiger Rohstoffkonzerne stoßen zunehmend auf demokratischen Widerstand. Paradoxerweise sind in diesem Zusammenhang die politischen Entwicklungen in der rohstoffarmen Schweiz von zentraler Bedeutung, da viele Rohstoffkonzerne hier ihren Steuersitz haben. Die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative (KVI) des Jahres 2020 hatte zum Ziel, international tätige Konzerne mit Steuersitz in der Schweiz und ihre Tochterfirmen im Ausland zu einer verbindlichen Einhaltung sozialer und ökologischer Standards zu verpflichten und sie für Verstöße gegen Umwelt- und Menschenrechtsstandards direkt haftbar zu machen. Eigentlich wurde damit nur eine Selbstverständlichkeit eingefordert. In Frankreich gibt es seit 2017 bereits ein solches Loi de Vigilance. Auch die deutsche Regierung arbeitete zeitgleich wie die KVI an einer sehr ähnlichen Gesetzesinitiative, dem Lieferkettengesetz. Dies wurde notwendig, nachdem freiwillige Verpflichtungen der Konzerne zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Minimalstandards über Jahre kaum Ergebnisse brachten. Seit Mai 2020 gilt in Deutschland bereits das Mineralische-Rohstoffe-Sorgfaltspflichten-Gesetz für den Import von Zinn, Tantal, Wolfram und deren Erzen sowie von Gold aus Konflikt-und Hochrisikogebieten [7]. Vielleicht ist es mit der Einhaltung von Regeln etwa so wie mit dem Tragen der Corona-Maske in den öffentlichen Verkehrsmitteln: Solange es freiwillig ist, tut es kaum jemand. Existieren jedoch entsprechende Vorschriften, tun es (fast) alle.
Gemeinsam mit der Rohstoffbranche bekämpft traditionell auch die Finanzbranche Gesetzesinitiativen für mehr Konzernverantwortung in den Nationalstaaten. Dabei werden einzelne Länder als Steuersitze gegeneinander ausgespielt. Für die Finanzbranche ist der Rohstoffsektor ein lukratives Geschäft. Es umfasst den Handel mit Rohstoffen sowie mit Aktien und Obligationen von Rohstoffunternehmen, die Kreditvergabe an Rohstoffkonzerne, aber auch die Verwaltung riesiger Vermögen, die ihren Ursprung in der Rohstoffbranche haben. Auch die Finanzbranche ist in der Schweiz ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Die Schweizer Volksinitiative für mehr Konzernverantwortung wurde von einer mächtigen Gegenkampagne bekämpft. Diese Gegenkampagne wurde im Auftrag des nationalen Wirtschafts-Verbandes,,Economiesuisse“ von der Lobbyisten-Agen-tur Furrerhugi geleitet - ein heikles Mandat. Furrerhugi vertritt gegen Geld auch die Interessen des Rohstoffkonzerns Glencore mit Steuersitz im Kanton Zug gegenüber der Schweizer Politik [8-10]. Furrerhugi steht ebenfalls hinter einem Verein namens ,,succeSuisse“, der von einer Reihe bürgerlicher Politiker sowie der Swiss-American Chamber of Commerce getragen wird.
Einflussreiche bürgerliche Politiker aus dem Umfeld von ,,succeSuisse“ und aus den ländlich geprägten Deutschschweizer Tiefsteuerkantonen sowie der Wirtschaftsverband ,,SwissHoldings“, der die multinationalen Konzerne mit Steuersitz in der Schweiz vertritt, schürten in der Kampagne gegen die KVI mangels stichhaltiger Argumente gezielt Ängste. Gegen die Einhaltung von Menschenrechten und ökologischen Standards ließ sich nichts einwenden. Sie verunglimpften daher die breit in der Gesellschaft verankerte Volksinitiative für mehr Konzernverantwortung in populistischer Art und Weise als linksradikale Idee. Damit versuchten sie, in den konservativ-ländlich geprägten Kantonen der Deutschschweiz auf Stimmenfang zu gehen. Sie verwiesen auf potentielle Probleme bei der juristischen Umsetzung, ohne jedoch tragbare Kompromisse mit den gesprächsbereiten Initianten anzustreben. Im Gegenteil: Ein von der unteren Kammer des Parlaments und den Initianten bereits fertig ausgehandelter Kompromiss zur Umsetzung der Volksinitiative wurde durch ein Manöver bürgerlicher Politiker aus dem Umfeld von ,,succeSuisse“ in letzter Minute in der oberen Parlamentskammer zu Fall gebracht. Sie argumentierten mit dem Wegfall von Steuereinnahmen, falls die Rohstoffkonzerne wegzögen [11]. Dies würde alle Steuerzahler treffen und den Wohlstand sowie Arbeitsplätze in der Schweiz gefährden. Diese Argumentation enthält einen starken ethischen Aspekt: Sind wir tatsächlich und wissentlich bereit, für unseren Wohlstand die grobe Verletzung sozialer und ökologischer Minimalstandards in ärmeren Ländern der Dritten Welt zu tolerieren?
Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sagte am 29.11.2020 Ja zu mehr Unternehmensverantwortung und damit zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Die Initiative scheiterte jedoch am sogenannten Ständemehr der vielen bevölkerungsarmen ländlichen Kantone. Die Schweiz bleibt (vorerst) ein sicheres Versteck für Rohstoffkonzerne, die in Ländern der Dritten Welt ein undurchschaubares Netz von Tochterfirmen und abhängigen Lieferanten betreiben. Die betroffenen Menschen, die unter den Folgen des Rohstoffabbaus in Form von Umwelt- und Gesundheitsschäden leiden, sind weiterhin auf das Engagement von Hilfsorganisationen angewiesen, um auf ihre Situation aufmerksam machen zu können und konkrete Hilfe zu erhalten.
Auch an der Verschiebung der Gewinne und Steuern vom Ort der eigentlichen Wertschöpfung aus Drittweltstaaten in sogenannte Steueroasen wird sich (vorerst) nichts ändern. Die Finanzbranche sowie eine große Anzahl von Politikern, Treuhändern, Anwälten, Immobilienmaklern, Unternehmern und einfachen Steuerzahlern in gewissen Tiefsteuerkantonen der Schweiz (und in anderen Steuerparadiesen) profitieren massiv von diesen riesigen Geldströmen und Vermögen sowie von den daraus resultierenden Unternehmens-, Einkommens- und Vermögenssteuern, Sponsorengeldern, Spenden und anderen Zuwendungen. Sie haben wenig Interesse, daran etwas zu ändern.
Veränderungen liegen jedoch in der Luft. Gerade ein zutiefst demokratisches Land wie die Schweiz hat es bisher immer geschafft, notwendige Korrekturen vorzunehmen und tragfähige Kompromisse zu finden. Den Dissens offen, aber respektvoll auszutragen und die Anliegen verschiedener Interessengruppen lösungsorientiert in einen nachhaltigen Konsens einzubinden braucht Zeit. Dafür sind die so herbeigeführten Veränderungen in der Regel nachhaltig und von breit abgestützt. Immerhin trat als Folge der KVI ein Gesetz in Kraft, das Konzerne mit Steuersitz in der Schweiz zu einer Selbstdeklaration bezüglich Einhaltung bestimmter Menschenrechte verpflichtet, allerdings ohne Haftungsklausel für Verstöße gegen Umwelt-und Menschenrechtsstandards im Ausland. Es bleibt zu hoffen, dass das Ergebnis mehr sein wird als weitere Hochglanzbroschüren der Konzerne ohne Substanz. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft noch mehr Menschen und Unternehmen erkennen, dass ökologische und soziale Nachhaltigkeit für den sozialen Frieden und das Überleben der Menschheit auf unserem Planeten mindestens genauso wichtig ist wie der